Austria Innovativ: „Entscheidend ist nicht, wie der Wind weht, sondern wie man die Segel setzt,“ sagen Sie, Sabine Herlitschka. Welchen Kurs fahren Sie derzeit, wenn ich an die neue 300-Millimeter-Chip-Fabrik in Villach denke, die drei Monate früher fertig sein wird als geplant?
Sabine Herlitschka: Trotz einer Pandemie wie dieser, mit all ihren Verwerfungen und Schmerzen, die sie verursacht, sind Krisen generell auch eine riesige Chance. Das lehrt uns die Geschichte. Denn in Krisensituationen bringt man leichter die Kraft auf, Dinge zu hinterfragen und sich weiterzuentwickeln. Das ist, was mich und uns als Infineon gerade jetzt ganz stark antreibt. Den Wind können wir nicht beeinflussen, aber den Kurs. Wir haben es in der Hand, ob wir die Digitalisierung als Chance nutzen. Es geht darum, die neuen Rahmenbedingungen jetzt für Veränderungen zu nutzen.
AI: Der Standortausbau bei Infineon ist die größte private Investition in Österreich und die größte der Halbleiterbranche in Europa. In der Fabrik sollen rund 400 hochqualifizierte Arbeitsplätze entstehen. Aus welchem Grund sind Sie auf dieses Vorhaben besonders stolz?
SH: Zum einen sind 1,6 Milliarden Euro schon an sich eine große Investitionssumme in einer Branche, in der über die Jahrzehnte Vieles nach Asien verlagert worden ist. Wir glauben an den Innovationsstandort Europa. Gerade in Zeiten wie diesen ist es ein starkes strategisches Statement in einer Branche, die so stark von Kosten getrieben ist. Der Ausbau in Villach ist ein klares Bekenntnis zum Forschungs- und Innovationsstandort Europa, Österreich und natürlich auch Kärnten.
AI: Und was ist der zweite Aspekt?
SH: Zum anderen reden wir sehr gerne über die Digitalisierung. Zu diesem Thema gibt es alle möglichen Studien, etwa wie viele Arbeitsplätze die Digitalisierung kosten wird. Ich gebe hier das Gegenbeispiel. Wir haben seit vielen Jahren einen großen Fachkräftemangel – auch heute noch. Gäbe es die Digitalisierung nicht, könnten wir unsere Aufgaben als technikorientiertes und forschungsintensives Unternehmen überhaupt nicht mehr bewältigen. Darüber hinaus geht es darum, die Arbeitsplätze der Zukunft zu gestalten. In unserer hochautomatisierten, stark digitalisierten Fabrik schaffen wir neue hochqualifizierte Arbeitsplätze. Das zeigt, wie wir in einem hoch automatisierten und digitalisierten Umfeld in Zukunft arbeiten können. Eins ist dabei sicher; die Arbeit wird uns nie ausgehen.
AI: Um nur ein paar Beispiele für Job-Profile der Zukunft zu nennen: Was darf ich mir unter einem Data-Scientist, einem Instandhalter oder einem Roboter-Trainer vorstellen?
SH: Daten sind das neue Öl. Überall entstehen Daten. Insbesondere auch wegen der fortschreitenden Digitalisierung. Die Daten an sich haben jedoch noch keinen besonderen Wert. Den bekommen sie erst, wenn man aus den Daten Schlussfolgerungen ziehen und aus ihnen etwas lernen kann. Zum Beispiel um zu verfolgen, wie sich ein bestimmter Chip im Laufe des Produktionsprozesses verhält. Deshalb ist es für uns wichtig, möglichst viele Produktions- und Zustandsdaten zu erfassen, um daraus die entsprechenden Schlussfolgerungen ableiten zu können. Dazu braucht es Data-Scientists, die die intelligenten Fragen und vor allem auch die Antworten aus den Datenmengen ableiten können, um nur ein Beispiel zu nennen.
AI: Ein Arbeitsplatz, der bei Infineon entsteht, soll zu drei weiteren im Umfeld führen?
SH: Diese Zahl wurde vom Industriewissenschaftlichen Institut erhoben und evaluiert. Die Analyse zeigt, wie sehr wir mit der Region vernetzt sind und mit dem ganzen Innovationssystem interagieren. Und das ist gut so. Es geht um Zulieferer, Kunden und Partner, mit denen wir zusammenarbeiten. Das erfolgt im Cluster, bei den Forschungsorganisationen, den Ausbildungseinrichtungen, den vielen kleinen und mittleren Unternehmen oder den Versorgern. Wir wollen ein gut verankerter Akteur in der Region, in Österreich und in Europa sein.
AI: Sie tragen den Beinamen „Kärntner Visionärin“. Die erste von vier Visionen lautet „Kärnten das Innovationsland“, die zweite „Kärnten, das Land der intelligenten Mobilität“; was darf ich mir darunter vorstellen, wie funktioniert beispielsweise eine intuitive App?
SH: Die Mobilität wird sich ändern. Das Bild, dass jeder und jede ein eigenes Auto hat und dann von A nach B fährt oder dass der öffentliche Nahverkehr so funktioniert wie bisher, dieses Bild verändert sich. Da geht es um ganz wichtige Themen im Kampf gegen den Klimawandel. In Zukunft wird Mobilität auch als Dienstleistung zugekauft, je nachdem, wie man sie gerade benötigt. Wenn ich zum Beispiel zwischen Wien und Kärnten pendle, mit dem Zug fahre und dann in Klagenfurt einmal aussteigen muss, weil ich dort noch Termine wahrnehme, um dann weiter nach Villach zu fahren. Da kann ich entweder wieder die nächste Bahn nehmen oder, zu außergewöhnlichen Zeiten, die Mobilitätsdienstleistung wie etwa Car-Sharing nutzen. Besonders attraktiv wird dieses Angebot dort, wo öffentliche Verkehrsmittel noch nicht so ausgebaut sind. Ein weiteres Modell sind Fahrgemeinschaften. Auch da laufen schon viele Versuche. Moderne Mobilität soll sich nach meinen aktuellen Mobilitätserfordernissen richten.
AI: Die Nachhaltigkeit ist eine der ganz großen Zukunftsthemen und bietet ihrer Meinung nach enorme Chancen. Früher haben wir von „Green Tech“ gesprochen, heute sprechen wir von „Tech for Green“. Inwiefern dienen hier etwa die Energieeffizienz-Chips, die Infineon erzeugt, als gutes Beispiel?
SH: Energieeffizienz ist immer noch eine der großen, der riesigen Ressourcen, die wir nutzen können. In der traditionellen Wertschöpfungskette von der Energieerzeugung über den Transport bis hin zum endgültigem Verbrauch verlieren wir rund 75 Prozent der Energie. Wenn wir erneuerbare Energieerzeugung mit der intelligenten Schaltung am Stromtransport koppeln, sehen wir, dass wir diese Energieverluste auf rund 25 Prozent reduzieren können. Und dazu sind unsere sogenannten Energiespar-Chips ganz wesentliche Elemente. Leistungselektronik ist vereinfacht gesagt nichts anderes als den Strom intelligent zu schalten. Und der Kern unserer großen Investition und Erweiterung unserer Chipfabik in Villach ist die Leistungselektronik. Die vielen Energiesparchips, die wir dort produzieren, sind ein ganz konkreter Beitrag, um mit Technologie intelligente Antworten auf die Klimakrise zu geben.
AI: Wie ist es gelungen, dass im Hochpreisland Österreich Produkte auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig sind?
SH: Es gibt zwei Elemente, mit denen man sich differenzieren kann. Das eine ist, sich über Kosten zu differenzieren, das zweite über Innovation. Beides spielt zusammen. Die Kostenvariante wird allein auf Dauer ebenso wenig funktionieren wie Innovation allein. Es braucht Innovation und Kostenbewusstsein. Wir haben bei Infineon schon vor vielen Jahren auf strategische Themen gesetzt wie Energieeffizienz, Mobilität, Sicherheit und Daten in einer digitalen, vernetzten Welt. Dass dies nachhaltige Wachstumstreiber sind, hat sich nun auch in der Krise gezeigt. In Kombination mit dem besten Know-how der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Automatisierung und Digitalisierung und dem attraktiven Wirtschaftsstandort Österreich gelingt es uns, global erfolgreich zu sein. Das zeigen wir hier in Villach.
AI: Welche Bedeutung haben Kooperationen, die Zusammenarbeit mit Universitäten und Forschungsinstitutionen?
SH: In einer vernetzten Welt kann man niemals das gesamte Know-how selbst abdecken. Das wäre auch gar nicht sinnvoll, ganz im Gegenteil. Wir müssen auf der einen Seite unser Kern-Know-how haben und auf der anderen Seite das zusätzlich benötigte Wissen, durch künstliche Intelligenz, durch weitere Digitalisierungen, durch die Entwicklungen gerade aus der Anwendung heraus, gemeinsam vorantreiben. Das tun wir in vielen Bereichen über große europäische Projekte mit unseren Kunden und Kundinnen und hier vor Ort in Villach mit vielen Initiativen, die wir setzen. Das ist eine ganz wichtige Säule.
AI: Wie weit oder wohin reicht das Innovationsnetzwerk von Infineon?
GP: Es ist stark in der Region und „in der Region“ heißt, um unsere jeweiligen Standorte herum; aber es geht natürlich deutlich über das hinaus. Die Mikroelektronik ist eine globale Branche. Vor diesem Hintergrund agieren wir und arbeiten auch mit globalen Partnern zusammen.
AI: Was bringt das neue, groß angelegte Forschungszen trum „Silicon Austria Labs“ in Graz, Linz und Villach konkret?
SH: Ich glaube, es war ein extrem mutiger Schritt, der vor ein paar Jahren gesetzt worden ist. Die Idee war, die Forschungs- und Entwicklungskompetenzen außeruniversitärer Forschungsorganisationen zu bündeln und durch die sprichwörtliche kritische Masse einen größeren Hebel zu schaffen. Das gesamte elektronikbasierte Know-how wird in Österreich zusammengeführt, um es besser und sehr viel breiter an Unternehmen in Österreich und auch darüber hinaus anbieten zu können, um so gemeinsam an den großen Fragestellungen unserer Zeit zu arbeiten. Ein Beispiel ist IMEC, das außeruniversitäre Forschungsinstitut in Löwen, Belgien. Dort hat man vor vielen Jahren mit rund 80 Leuten begonnen. Heute ist es ein Flaggschiff der außeruniversitären Forschung in Europa und auch international. Es gibt nichts Besseres als große Ambitionen zu haben, die richtigen Schritte zu setzen, die Kräfte zu bündeln und los geht´s! Das tun wir mit SAL.
AI: Welche Kooperationen sind gerade in Planung?
SH: Das leitet sich wieder von den Fragestellungen ab. Wenn wir über „vernetzte Mobilität“, über das Auto der Zukunft sprechen: das Auto wird immer noch ein Auto sein, aber es wird stärker vernetzt agieren, es wird automatisiert fahren, es wird autonom fahren. Da braucht es viel an intelligenter Sensorik im Auto und drum herum. Daran arbeiten wir mit Partnern. Oder die Verbesserung des Energiemanagements. Wir wollen die Elektromobilität verbessern, größere Reichweiten erzielen und ein noch schnelleres Laden ermöglichen. Unsere neuen Halbleitermaterialien werden beispielsweise beim Schnellladen verwendet, damit man nicht drei Stunden warten muss, sondern das Auto sich innerhalb von zehn Minuten laden lässt.
AI: Beim Neujahrsempfang des Rates für Forschung und Technologieentwicklung haben Sie als stellvertretende Vorsitzende betont, dass das Thema Technologie-Souveränität nicht erst seit der Covid-19-Pandemie besteht.
SH: Im ersten Lockdown in Österreich war es schwierig, Masken zu bekommen. Güter sind an den Grenzen innerhalb Europas hängen geblieben, weil jedes Land Sorge hatte, den eigenen Bedarf nicht decken zu können. Im Technologiebereich hat sich diese Frage schon viel früher gestellt. Wir haben seit mehreren Jahren gerade im Hightech-Bereich gesehen, dass sich die geopolitischen Verhältnisse geändert haben. Zugespitzt gesagt, früher wurde der Wettbewerb sehr stark über das Militär entschieden und in der Folge dann natürlich wirtschaftlich. Heute ist Technologie die neue „Währung“. In den USA setzt man auf zentrales Know-how bei Schlüsseltechnologien. China macht das ganz massiv und gibt heute mehr Geld für den Import von Halbleitern und Mikroelektronik aus als für Öl. Allein im Auto kommen 90 Prozent der Innovationen aus der der Elektronik. Die Sicherheit in einer digitalisierten Welt hängt ganz wesentlich von Mikrochips ab. Und die Nachfrage nach Mi-krochips steigt in vielen Anwendungsbereichen weltweit. Es braucht intelligente Zugänge und Ansätze, wie man es in einer globalisierten Welt schaffen kann, auf Augenhöhe die wesentlichen Kompetenzen zu haben. Darum geht es bei der Technologie-Souveränität. Technologie ist zudem nicht neutral, sondern mit Werten verbunden. Wir wollen in Europa keine Gesellschaft, in der nach diesem chinesischen Beispiel eine Art großer Überwachungsstaat aufgezogen wird.
AI: Sie sagen auch, dass „intelligente“ Investitionskontrollen äußerst sinnvoll seien…
SH: …ja, es darf nicht in unserem Interesse liegen, wichtiges Know-how zu verlieren. Wie etwa bei KUKA, einem führenden europäischen Robotik-Unternehmen, das 2016 an China verkauft wurde. China ist seit Jahren dabei, sich attraktive Akquisitionsmöglichkeiten zu suchen. Aus chinesischer Sicht ist das nachvollziehbar, aber es ist nicht in unserem Interesse. Deshalb sind Schutzmechanismen für strategisch wichtige, systemisch relevante Technologien – oder auch Unternehmen – so wichtig. In Österreich wurde unter der Federführung von Bundesministerin Margarete Schramböck die entsprechende Novelle gemacht. Und das ist gut so!
AI: Wo sehen Sie für den Infineon-Standort Villach die größten Chancen für das Wachstum neuer Produkte, in welche Richtung haben Sie Segel gesetzt?
SH: Jedenfalls in Lösungen zur Bewältigung der Klimakrise. Ich sage – wie viele andere –, auch wenn uns jetzt besonders die Pandemie beschäftigt: „Gegen die Klimakrise gibt es keine Impfung!“ Ganz zentral sind hier auch intelligenten Technologien und Produkte, die den CO2-Ausstoss reduzieren. Letztes Jahr haben wir beispielsweise in Villach rund
8,5 Milliarden Chips produziert, die „Strom intelligent schalten“ und während ihrer Nutzungsphase dazu beitragen, rund 9 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente einzusparen. Das entspricht in etwa etwas mehr als 60 Prozent der jährlichen PKW-Emissionen in Österreich, also ganz schön viel. Das meine ich auch mit „Tech for Green“. Es gibt heute viele Technologien, die dazu beitragen können, mehr in Richtung Nachhaltigkeit und mehr „Grün“ zu kommen. Und das brauchen wir auch. Regulatorik mit Nachhaltigkeit zu verbinden ist wichtig, öffentlicher Nahverkehr ist wichtig und auch wir als Konsumentinnen und Konsumenten müssen unser Verhalten ändern, aber umsetzen lässt sich das nur durch Produkte, die innovativer sind, die umweltfreundlicher sind, die nachhaltiger sind. Wir stehen genau für solche Produkte und Technologien, die das ermöglichen.
AI: Danke für das Gespräch!