Vor etwas mehr als 100 Jahren begann für die Wissenschaft ein neues Zeitalter. 1895 entdeckte Conrad Röntgen die später nach ihm benannte Strahlung, im Jahr darauf Henri Becquerel die Radioaktivität. Heute ist ionisierende Strahlung, aus zahlreichen Anwendungen in Industrie, Technik und Medizin nicht mehr wegzudenken. Als Beispiele seien die Werkstoffprüfung, die Radiodiagnostik, sowie die Strahlentherapie genannt. Mit der rasanten Weiterentwicklung der verwendeten Geräte, vor allem im medizinischen Bereich, muss die Aus- und Weiterbildung der Anwender Schritt halten, da neben dem Nutzen jede Anwendung dieser Strahlungen auch mit einem Risikopotenzial verbunden ist. Gut also, dass es in Österreich mit der Seibersdorf Labor GmbH das führende österreichische Kompetenzzentrum auf den Gebieten Strahlenschutz und Strahlenanwendung gibt. Die Geschäftsfelder „Radiation Safety and Applications“ und „Radiation Protection Dosimetry“ sowie die „Seibersdorf Academy“ verstehen sich als Service-, Know-how- und Technologie-Provider für alle Arten der Strahlenanwendung in Medizin, Technik und Forschung sowie für den Strahlenschutz von Mensch und Umwelt. Etwa 50 Fachleute kümmern sich um die Arbeitsgebiete interne und externe Dosimetrie, Analyseverfahren und Identifikationsmethoden, Strahlenschutzgutachten, Strahlenschutzausbildung, Geräteentwicklung und schließlich auch um die Eichung und Kalibrierung von Strahlenschutzmessgeräten.
Nachweis von geringster Radioaktivität
So liegt die Kernkompetenz im Fachbereich „Strahlenschutz/Radionuklidlabor“ in der Ultra-Low-Level-Gammaspektrometrie zur Bestimmung von geringsten Spuren von Radioaktivität. In Österreich gibt es rund 35.000 beruflich strahlenexponierte Personen, also Menschen, die im Rahmen ihrer Berufsausübung mit ionisierender Strahlung arbeiten. Für viele dieser Damen und Herren wird der Strahlenschutz durch externe und interne Dosimetrie (von Ganz-/Teilkörpermessungen bis zu Ausscheidungsanalysen) übernommen und damit ein wichtiger Beitrag zum ArbeitnehmerInnenschutz in Österreich geleistet.
Die Abteilung kann darüber hinaus unterschiedliche Proben in den Labors radiochemisch analysieren. Diese Messungen dienen u. a. zur Bestimmung der Radionuklidkonzentration in Stahl, Lebensmitteln, Holz, Baustoffen und anderen Materialien. Auch Messungen laut Trinkwasserverordnung werden durchgeführt. Die Gruppe verfügt auch über ein Mobiles Labor, das hochpräzise Vorort-Messungen und –Analysen ermöglicht. Das ist deshalb wichtig, weil Screening, Search & Finding, Identifizierung und Quantifizierung von radioaktiven Quellen im Einsatzfall von großer Bedeutung sind, um rasch die richtigen Maßnahmen ergreifen zu können. Neben der Messung der Dosisleistung können Wischtests prompt ausgewertet und die Aktivität von Luft-, Boden- und Wasserproben bestimmt werden. Auch Route-Monitoring ist mittels mobilem Labor möglich.
Das Risiko bei allen Arbeiten mit Strahlung muss für die Anwendenden, im Falle der medizinischen Nutzung auch für die Patient/innen, möglichst gering gehalten werden. Dazu ist neben ausgeklügelter Gerätetechnik und optimaler Gerätewartung die Aus- und Weiterbildung für das anwendende Personal von größter Bedeutung. In der „Seibersdorf Academy“ werden daher jährlich rund 300 Personen zu Strahlenschutzbeauftragten ausgebildet, die dann in ihren Betrieben, Krankenhäusern usw. für die sichere Anwendung jener Strahlentechnik sorgen, ohne die etwa die moderne Medizin nicht auskommen könnte.
Beitrag zu einer atomwaffenfreien Welt
Das Seibersdorf-Team ist mit seinen Ultra-Low-Level-Messungen sogar in der Lage, Aktivitätsmengen zu messen, die millionenfach unter der natürlichen Strahlung liegen, die die überall in der Natur vorkommt, auch in uns Menschen. Diese höchst sensiblen Messungen sind ein Beitrag der Seibersdorf Labor GmbH im Rahmen der „Comprehensive Nuclear-Test-Ban Treaty Organization“ (CTBTO), dem internationalen Atomteststoppvertrag, dessen Einhaltung mittels dieser Messungen überwacht wird. Das Radionuklidlabor der Seibersdorf Labor GmbH war übrigens weltweit das erste Labor, das die notwendigen Messstandards erfüllen konnte. In späterer Folge gelang dem Team auch die Entwicklung einer neuen Nachweismethode für radioaktive Edelgase. Die neue Methode beruht auf dem Nachweis von kleinsten Mengen an Edelgasen in den Luftproben der CTBTO-Mess-Stationen. Radioaktive Edelgase gehen keine chemischen Verbindungen ein, sie können nach einem unterirdischen Kernwaffentest auch aus großer Tiefe das Erdreich durchwandern und in die Atmosphäre gelangen, wo sie aus der Luft extrahiert und aufgefangen werden. Der Nachweis dieser Edelgas-Nuklid-Zusammensetzungen, wie sie in der Natur nicht vorkommen, ist ein eindeutiger Beweis für eine vorangegangene Kernspaltung bei einem Kernwaffentest. Mit dieser Technologie wird die Überwachung des internationalen Atomteststopp-Abkommens entscheidend verbessert. Diese Methode erleichtert den Nachweis unterirdischer Kernwaffentests. Österreichisches Know-how spielt somit seit vielen Jahren eine wichtige Rolle bei der Umsetzung des internationalen Atomteststopp-Abkommens. Das Labor in Seibersdorf wurde auch als weltweit erstes für die neue Methode von der CTBTO zertifiziert.
Schutz für den Menschen bei Strahlenanwendung
In Seibersdorf beschäftigt man sich aber auch seit Jahrzehnten mit der Entwicklung und Anwendung unterschiedlicher dosimetrischer Methoden. Die periodische Überwachung von zehntausenden beruflich strahlenexponierten Personen im Dosimeterservice und die Kalibrierung und Eichung von hunderten Messgeräten pro Jahr bilden die Schwerpunkte der Tätigkeit. Der Einfluss von ionisierender Strahlung auf den menschlichen Körper birgt viele Gefahren. Dosimetrie – also die exakte Bestimmung der Dosis, hervorgerufen durch diese Strahlung, ist sowohl bei gezielter therapeutischer Anwendung als auch bei einer unvermeidlichen Strahlenbelastung (z.B. beim Umgang mit Strahleneinrichtungen) eine Notwendigkeit. Das Dosimeterservice Seibersdorf hat bereits vor mehr als 40 Jahren als erste große Auswerterstelle in Europa Thermolumineszenzdosimeter (TLD) zur Bestimmung der Personendosis eingeführt. Diese Neuentwicklung löste die bis dahin verwendeten Filmdosimeter ab. Die Vorteile: automatisierte Auswertung (kurze Auswertungszeit) und wesentlich verbesserte Nachweisgrenze (sogar die natürliche Untergrundstrahlung kann zuverlässig gemessen werden). Laufende Weiterentwicklung der Produkte und kontinuierliche Erweiterung der Produktpalette (Ganzkörper-, Teilkörper- und Ortsdosimeter) erlauben es dem Unternehmen, eine Vielfalt von benutzerfreundlichen Dosimetern anzubieten. Rund 80 Prozent der Kunden kommen hier aus dem medizinischen Bereich: Spitäler (Radiologie, Chirurgie, Strahlentherapie und Nuklearmedizin), niedergelassene Ärztinnen und Ärzte (Radiolog/innen, Lungenfach- und Zahnärzt/innen) und Rettungsdienste zählen zur Schlüsselkundschaft der Seibersdorf Labor Gmbh. Auch in der Industrie werden tausende Personen monatlich überwacht, vor allem in der Materialprüfung (Durchleuchtung von Materialproben) und anderen Fertigungsprozessen wird ionisierende Strahlung meist zur Qualitätskontrolle eingesetzt. Das „Dosimeterservice“ liefert also eine verlässliche dosimetrische Überwachung von rund 24.000 beruflich strahlenexponierte Personen aus Medizin, Technik und Forschung. Gleichzeitig ist das Team für Messung, Aufzeichnung und Übermittlung der Ergebnisse an das zentrale Dosisregister (Datenbank für die physikalische und ärztliche Kontrolle beruflich strahlenexponierter Personen beim Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus) verantwortlich. Im Falle einer Dosisüberschreitung erfolgt unverzüglich eine Benachrichtigung.
Wissensvermittlung im Strahlenschutz
Ein weiterer Pfeiler der Strahlenschutz-Kompetenz der Seibersdorf Labor GmbH ist die „Seibersdorf Academy“. Sie verfügt über mehr als 50 Jahre Erfahrung in der Erwachsenenbildung und ist auf dem Gebiet des Strahlenschutzes die größte Ausbildungsstätte in Österreich. In unterschiedlichen Strahlenschutz-Ausbildungen erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das nötige theoretische Wissen und erlernen den richtigen Umgang mit Strahlung in ihren jeweiligen Einsatzgebieten, und zwar unter dem Motto: „Lernen von den Profis“. Die Vortragenden der „Seibersdorf Academy“ sind anerkannte Expertinnen und Experten mit langjähriger Berufserfahrung auf ihrem jeweiligen Fachgebiet. Neben Vermittlung der theoretischen Grundlagen stehen praktischen Übungen im Mittelpunkt. Dazu verfügt die Seibersdorf Academy über realistische operative Arbeitsplätze. So können Übungen mit umschlossenen oder offenen Quellen bzw. Röntgeneinrichtungen durchgeführt werden. Das Team der Seibersdorf Academy veranstaltet auch Strahlenschutz-Leistungsbewerbe, bei denen es eng mit den österreichischen Einsatzorganisationen und Streitkräften zusammenarbeitet. Auch diese Kooperation hat jahrzehntelange Tradition: Bereits kurz nach Gründung des ehemaligen Forschungszentrums wurde gemeinsam der Aufbau des Strahlenschutzes in Österreich in Angriff genommen. Besonders auf dem Sektor „Ausbildung“ ist die Zusammenarbeit sehr intensiv. Es werden „Strahlenschutzleistungsbewerbe“ mit dem Bundesheer und den Feuerwehren und Rettungsorganisationen abgehalten, die das Ziel haben, einen allgemeingültigen Ausbildungsstandard zu erhalten. Dieser soll im Ernstfall die Zusammenarbeit der verschiedenen Organisationen erleichtern. Die Seibersdorf Labor GmbH kann aber auch im Ernstfall Behörden und Einsatzorganisationen mit gebündeltem Know-how im Bereich des Strahlenschutzes aktiv unterstützen, weil sie über moderne und oftmals eigenentwickelte Methoden und Geräte zur Auffindung radioaktiver Materialien verfügt. Das ist deshalb wichtig, weil im Krisenfall effektive Hilfeleistung für die betroffenen Personen raschest geboten werden muss – bei gleichzeitig bestem Selbstschutz der Einsatzkräfte. Zur Bewältigung der neuen Bedrohungsbilder wird gemeinsam mit den Einsatzorganisationen ein Ausbildungsprogramm „Dekontamination“ entwickelt, das für die Handhabung großräumiger Kontaminationen, wie sie bei einer „Dirty Bomb“ entstehen, maßgeschneidert ist. Damit ist sichergestellt, dass die Seibersdorf Academy auch weiterhin DIE Ansprechpartnerin in allen Belangen der Ausbildung im Strahlenschutzes bleibt.