Österreich verbraucht so viele Rohstoffe, dass das Jahreskontingent erneut bereits Anfang April ausgeschöpft wurde. Wie viele andere Industrienationen auch leben wir somit den größten Teil des Jahres auf Kosten nachkommender Generationen. Trotz dieses Wissens tun wir uns in der Praxis offenbar mit einer Kehrtwende schwer. Vor etwa eineinhalb Jahren wurde eine nationale Kreislaufwirtschafts-Strategie beschlossen. Ziel ist „Die Umgestaltung der österreichischen Wirtschaft und Gesellschaft in eine klimaneutrale, nachhaltige Kreislaufwirtschaft bis 2050“.
Austria Innovativ interessiert, ob das aus jetziger Sicht machbar ist, und hat darüber mit einer renommierten Expertin zum Thema Kreislaufwirtschaft gesprochen: Karin Huber-Heim hat eine Stiftungsprofessur der Stadt Wien für Kreislaufwirtschaft & transformative Geschäftsmodelle an der FH des BFI Wien und ist Vorstandsmitglied des Circular Economy Forum Austria.
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Austria Innovativ: Können wir die Kreislaufwirtschaft in unser Wirtschaftssystem mit jetzigem Stand überhaupt erfolgreich integrieren?
Karin Huber-Heim: Der Veränderungsprozess ist ein Generationenprogramm – es bedarf vieler verschiedener systemischer Veränderungen sowie der Kooperation unterschiedlicher Akteure aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Design und Gesellschaft dafür. Die Komplexität ist hoch – aber definitiv zu schaffen. Denn tatsächlich braucht es vor allem ein Umdenken „Regenerative, Circular Thinking“ und die Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Technologie, Investitionen und die nötige grüne Energie dafür ist vergleichsweise einfach, denn vieles davon gibt es bereits im Innovations- und Forschungsbereich. Es wird davon abhängen, wie rasch wir vom Reden ins Handeln kommen. Dazu braucht es auch raschen und profunden Wissensaufbau bei Entscheidungsträger:innen aller Bereiche. Und es muss uns klar sein, dass einzelne Innovationsprojekte und Unternehmenslösungen allein das zugrundeliegende System nicht grundlegend verändern können.
Wo stehen wir im Moment?
Derzeit liegt das Schwergewicht -österreichischer Aktivitäten noch im Abfallmanagement, in Recyclingtechnologien und Materialersatz-lösungen. Technologische Lösungen sind zwar wichtig, aber eine Innovation für das 21. Jahrhundert muss auch die Entwicklung von neuen Fähigkeiten, die Erprobung neuer Geschäftsmodelle und den Aufbau neuer Wertschöpfungskreisläufe für Sekundärmaterialien umfassen. Es bedarf neuer Ansätze und politischer Rahmenbedingungen – idealerweise auf europäischer Ebene –, die neue Märkte für Unternehmenslösungen eröffnen und durch kontinuierliches Lernen unterstützt werden. Eine Vielzahl von Akteuren aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik ist sich einig darüber, dass dies der einzige gangbare Weg in die Zukunft ist, in der wir unseren Wohlstand und hohen Lebensstandard sichern und gleichzeitig Abhängigkeiten sowie auch den Druck auf natürliche Ressourcen verringern können.
Was für die Kreislaufwirtschaft gut ist, ist für Unternehmen oft mit Einschränkungen oder gar Einbußen verbunden. Muss das ein Widerspruch sein?
Die vermeintlichen Einschränkungen bestehen ausschließlich dort, wo ein „business as usual“ einfach nicht mehr wirtschaftlich sinnvoll oder in Hinsicht auf die zu erreichenden Klimaziele nicht mehr angebracht ist. Es ist eine Kerncharakteristik von Organisationen, dass sie sich über die Zeit entwickeln und an ihre Umgebung anpassen: wirtschaftlich, gesellschaftlich und nun auch klimatisch. Das ist sicherlich neu und durch die Regulatorik wird in dieser Hinsicht auch nachgeholfen, denn der Veränderungswille ist vor allem in Österreich überschaubar und die Beharrung groß. Es ist vor allem dem Unwissen geschuldet, dass Unternehmen keine Kenntnisse von den Vorteilen der Implementierung kreislaufwirtschaftlicher Praktiken und der zu erzielenden erheblichen Kostenersparnisse haben. Hier braucht es sicher noch viel Kommunikation zu bereits erfolgreich bestehender Best-Practice-Beispielen in Österreich und international.
Welche Vorteile meinen Sie konkret?
Die Vorteile liegen auf der Hand: Durch Strategien zur Wertschöpfung durch neue Geschäftsmodelle der Wiederverwendung von Materialien und der Verlängerung der Lebensdauer von Produkten müssen weniger neue Rohstoffe beschafft werden, was zu Kosteneinsparungen bei der Beschaffung führt. Darüber hinaus verringert die Reduzierung von Abfall die in den kommenden Jahren stetig ansteigenden Ausgaben für die Entsorgung und trägt so zu weiteren Einsparungen bei. Neue Kundengruppen und Märkte können damit sowohl im B2C- als auch im B2B-Sektor erreicht werden.
Von großer Wichtigkeit sind auch die Vorteile für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschafts- und Industriestandorts Österreich. Die Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft erfordert in vielerlei Hinsicht innovative Technologien, einen gut ausgebauten Digitalisierungsgrad sowie neue Geschäftsmodelle und Zusammenarbeitsformen. Dies fördert die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, die den Bedürfnissen einer nachhaltigeren Wirtschaft gerecht werden, und steigert die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen auf dem globalen Markt – ein gewichtiger Faktor für die stark exportorientierte österreichische Wirtschaft.
Wie bewerten Sie finanzielle Anreize?
Finanzielle Anreize spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung der Kreislaufwirtschaft, da sie Unternehmen und Verbraucher motivieren können, nachhaltigere Entscheidungen zu treffen. Förderungen machen in Bereichen Sinn, in denen sie dazu beitragen können, die Hindernisse für die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft zu überwinden und den Übergang zu beschleunigen. Dazu gehört die Unterstützung von Innovationen, Infrastrukturinvestitionen, ressourceneffizienten Produktionsmethoden und Bildungsmaßnahmen.
Sie sind dort sinnvoll, wo neue Geschäftsmodelle und Technologien entwickelt und bis zur Marktreife gebracht werden müssen. Wichtig ist dabei aber auch, eventuell konterkarierende, eine „lineare“ Wirtschaft stützende Förderprogramme auslaufen zu lassen, um keine sich aufhebende Doppelgleisigkeiten zu schaffen. Fördermittel sollten auch dafür eingesetzt werden, Unternehmen zu ermutigen, in die Entwicklung von Wiederverwendungslösungen und langlebigen Produkten zu investieren.
Bleiben wir kurz beim Reparaturbonus: Was ist bislang dabei herausgekommen?
Der österreichische Reparaturbonus ist ein europaweites Erfolgsmodell, bis Ende 2023 wurde der Reparaturbonus mehr als 840.000-mal eingelöst – davon allein rund 480.000 Bons im Jahr 2023. Dadurch wurden geschätzt etwas mehr als 4.000 Tonnen Elektro-Müll eingespart.
Er trägt damit dazu bei, durch Verlängerung der Lebensdauer von Produkten den Bedarf an neu gekauften Produkten zu verringern, und ist damit auch ein bedeutender Schritt weg von der Wegwerfmentalität hin zu einem nachhaltigeren Umgang mit wertvollen Ressourcen. Gleichzeitig werden die heimische Reparaturwirtschaft gestärkt, Abfallmengen reduziert und eine nachhaltigere Konsumkultur gefördert.
Eine im Sinne der Kreislaufwirtschaft effiziente Produktion verlangt nach mehr Sekundär- und nachwachsenden Rohstoffen. Wie ist es damit in den heimischen Unternehmen bestellt?
Um die Ziele der österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie bis 2050 zu erreichen, ist es unabdingbar, mehr Materialien wie Reststoffe aus der Produktion, Abbruchmaterialien und zurückgenommene Produkte, die bisher als Abfall entsorgt wurden, zunehmend als sekundäre Rohstoffquellen zu nutzen. Die „Abfall“-Deklaration muss weit „nach hinten“ verschoben werden, und dem Begriff der „Restwertstoffe“ weichen. Eine semantische Alternative kann auch das Bewusstsein für Wertstoffe, die sich an falschen Stellen befinden, schaffen und einen erleichterten Zugang zu Sekundärrohstoffen ermöglichen. Dies sollte sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene attraktiviert werden. Im Rahmen des Übergangs zur Kreislaufwirtschaft muss eine angemessene Balance zwischen Verwertung (zur Schonung von Ressourcen) und Beseitigung (zur Minimierung von Schadstoffen) erreicht werden.
Das bedeutet, auch einen Beitrag zur Versorgungs-sicherheit zu leisten?
In dem Maße, in welchem Sekundärrohstoffe zunehmend an Bedeutung gewinnen, tragen sie dazu bei, -Versorgungsrisiken zu minimieren, Primärlagerstätten zu schonen und die Emissionsbilanz der Rohstoffproduktion zu verbessern. Insbesondere im Bereich der strategisch wichtigen Rohstoffe ist es von entscheidender Bedeutung, das Potenzial des Recyclings als Beitrag zur Sicherung der Versorgung vollständig zu nutzen.
Um Angebot und Nachfrage nach Sekundärrohstoffen zu erhöhen, sollten in Österreich rasch geeignete Regelungen und Vorgaben implementiert werden, um ein effizientes Zusammenspiel von Sammlung, Behandlung sowie auch zur Beseitigung von Störstoffen zu gewährleisten. Einige große energieintensive Industrieunternehmen haben bereits „Sekundärrohstoff-Beschaffung“ in ihre Organisation integriert, die konstant auf der Suche nach ausreichenden Volumina von guter Qualität ist. Dies trägt maßgeblich zur Verringerung ihres CO2-Fußabdrucks bei. Sekundärmaterial-Börsen entstehen und ermöglichen einen besseren Überblick über Bestände und Qualitäten. Davon werden wir sicher mehr sehen in den kommenden Jahren.
Ist Kreislaufwirtschaft tatsächlich ein naher Weg, um Rohstoffabhängigkeiten zu verringern?
Wenn wir die grüne Transformation hin zu erneuerbaren Energien bei gleichzeitig hoher Digitalisierung schaffen wollen, brauchen wir vor allem Metalle und seltene Erden. Durch Circular Design und Recycling können wir die Notwendigkeit neuer Bergbauaktivitäten in Europa reduzieren und die Abhängigkeit von außereuropäischen, oftmals problematischen Quellen verringern.
Bei welchen Rohstoffen beispielsweise noch?
Die Herstellung von Kunststoffen erfolgt überwiegend aus fossilen Rohstoffen, also Erdöl und Erdgas. Durch das Recycling und die Wiederverwendung von Kunststoffen können wir den Bedarf an neuem Erdöl reduzieren und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen verringern.
Holz ist zwar nachwachsend, aber auch Biomasse zur Energieerzeugung. Durch nachhaltige Waldwirtschaft sowie die Förderung von Recycling und Wiederverwendung von Holzprodukten können wir die Abhängigkeit von nicht erneuerbaren Ressourcen sowie den Druck auf nachwachsende reduzieren.
Durch die Implementierung von Kreislaufwirtschaftskonzepten in der Industrie können Unternehmen ihren Materialverbrauch senken und ihre Abhängigkeit von primären Rohstoffen verringern. Dies kann durch das Wiederverwenden von Produkten und Materialien, das Reduzieren von Abfällen und den Einsatz von recycelten oder recycelbaren Materialien erreicht werden, z. B. Glasscherben/Quarzsand, Stahl/Schrott, Aluminium/Aluminium.