Die Stadt Güssing ist in Österreich ein Sinnbild für Energieinnovation. Wie ist nun die Idee zur städtischen Gebäudekühlung entstanden?
Katharina Kreuter: Städte sind besonders stark von sommerlicher Überhitzung betroffen. Die nächsten Jahre werden dahingehend vermutlich noch eine Intensivierung mit sich bringen. Das Smart Cities-Projekt „Cool-down Güssing“ soll hier Gegenmaßnahmen setzen. Konkret werden drei öffentliche Gebäude – Kindergarten, Gymnasium und Feuerwehrhaus – sowie drei Wohngebäude und drei Betriebe untersucht. Der Einsatz innovativer Kühltechnologien wird im Detail betrachtet, Lösungsvorschläge ausgearbeitet und größtenteils direkt umgesetzt. Auch die Gemeinde Güssing unterstützt das Projekt.
Interview
Güssing will cool bleiben
Städtische Gebiete sind im Sommer besonders von Überhitzung betroffen. Das Smart Cities-Projekt „Cool-down Güssing“ sucht aktuell nach innovativen Lösungen. Katharina Kreuter und Christian Doczekal von der Güssing Energy Technologies im Interview.
Der Baubestand ist in historisch gewachsenen Städten und Gemeinden sehr heterogen. Wie wird man im Projekt damit umgehen?
Christian Doczekal: Es ist richtig, die Bausubstanzen sind bei den Demonstrationsgebäuden sehr unterschiedlich. Auch die Rahmenbedingungen und Nutzungszeiten sind heterogen. Die Probleme sind aber meist sehr ähnlich: Die Überhitzung der Gebäude setzt bereits am Vormittag ein, da unter anderem die Abkühlung in der Nacht zu gering war. So ist beispielsweise die Überhitzung im Gymnasium, ein Stahlbetonbau, im Kindergarten in Holzriegelbauweise und in der Torproduktion der Firma Guttomat, eine Halle mit Sandwichpaneelen, sehr belastend.
Was wurde schon gemacht?
Doczekal: Bisher wurden Messungen von Temperatur und Luftfeuchte in den Demogebäuden durchgeführt sowie Feedbacks zu der Behaglichkeit der Nutzer und Nutzerinnen eingeholt. Bevor nun ein Gebäude durch energieintensive Technologie gekühlt wird, sollte der erste Schritt die Vermeidung des Wärmeeintrags von außen sein. Dazu wurden zum Beispiel bei einer der untersuchten Werkstätten bereits erfolgreich Sonnenschutzfolien aufgebracht.
Welche Technologien werden im Rahmen des Projekts noch angewandt?
Doczekal: Bei Stakeholder-Workshops entschied sich die Mehrheit der Demogebäude für passive Kühltechnologien, also ohne aktive Kühlung per strombetriebener Kältemaschine. Die „passiven Technologien“ decken vorwiegend die Kühlung des Gebäudes in der Nacht über die kühle Außenluft ab. Dies kann beispielsweise über Fenster mit Motorantrieben erfolgen oder über dezentrale Lüftungsgeräte. Der Effekt ist jeweils sehr ähnlich, um Luftwechselzahlen von zwei bis vier zu erreichen (Anmerkung: das Raumvolumen wird dabei stündlich zwei- bis viermal zur Gänze ausgetauscht). Grundvoraussetzung ist jedoch eine ausreichend kühle Außenluft, die bei Tropennächten meist nicht vorhanden ist. In einigen Demogebäuden werden sogar Raumtemperaturen von 30 Grad Celsius überschritten. Ein behagliches Raumklima kann dann nicht erreicht werden, wodurch zusätzlich innovative Lösungen notwendig sind. Beispielsweise wird bei der Produktionshalle Guttomat die bestehende Brandrauchentlüftung mit Klappen am Dach genutzt, um in der Nacht die Halle zu kühlen. Mit dieser Maßnahme lässt sich die Spitzentemperatur um etwa zwei Stunden in Richtung Nachmittag verschieben.
Die Unsicherheit in punkto Energiesicherheit und auch Energiekosten steigt in den letzten Monaten stark an. Wie ist vor diesem Hintergrund das Feedback aus der Bevölkerung bzw. auch den Betrieben hinsichtlich des Projekts?
Kreuter: Oftmals sind für die Entscheidenden nur die Investitions- oder Betriebskosten von Kühlsystemen ausschlaggebend. Im Rahmen des Projekts wurde aber anhand einer „Analytic Hierarchy Process“-Methode eine Bewertungsmatrix hinterlegt, die es zulässt, Lösungsvorschläge mit unterschiedlichen Kriterien – zum Beipsiel Behaglichkeitssteigerung, Umsetzungswahrscheinlichkeit, Einfluss auf die Umgebung – zu vergleichen. Erfreulicherweise entschlossen sich, wie bereits erwähnt, alle für passive Kühltechnologien. Konzepte mit aktiver Kühlung – wie zum Beispiel ein Splitklimagerät – wurden immer in Kombination mit Photovoltaik als Lösungsvorschlag unterbreitet. Manche Technologien, wie zum Beispiel die dezentralen Lüftungsgeräte in der Schule, die mit Wärmerückgewinnung ausgestattet sind, führen im Winter sogar zu einer Reduktion des Heizbedarfs.
Welche konkreten Ziele werden anvisiert? Was kann durch das Projekt erreicht werden?
Doczekal: Die Umsetzung der empfohlenen Maßnahmen erfolgt im aktuellen Zeitraum des Projektes zwischen 2021 und 2023. Die Ergebnisse werden dann im Detail aufbereitet und an Interessierte weitergegeben.
„Die Erkenntnisse können in andere Städte transferiert werden.“
Durch das Projekt soll nicht nur eine Temperaturreduktion bei mindestens sechs von neun Demogebäuden erreicht, sondern auch die Behaglichkeit der Nutzer erhöht werden, die sich bereits sehnsüchtig auf angenehmere Temperaturen freuen. Die Finanzierung all dieser Maßnahmen erfolgt dabei allein durch die Betreiber der Demogebäude. Das Smart Cities-Projekt „Cool-down Güssing“ selbst wird allerdings über den Klima- und Energiefonds gefördert.
Wie werden andere Städte oder städtische Entwicklungsprojekte vom Projekt profitieren bzw. daraus lernen können?
Kreuter: Ländlich geprägte Zentren wie Güssing gibt es in Österreich in großer Zahl. Das Projekt zielt daher auch darauf ab, die Erkenntnisse zu innovativer städtischer Gebäudekühlung in andere Städte und Gemeinden zu transferieren. Güssing ist bereits Teil der Klima- und Energiemodellregion (KEM). Die Synergien mit Cool-down Güssing können dort gut genutzt werden. Aber auch andere Städte können sich dem Projekt unverbindlich anschließen und werden in Workshops, Videos und Präsentationen über die Möglichkeiten zur Reduktion der sommerlichen Überhitzung informiert. Die Ergebnisse aus diesem Projekt können so vielen anderen Städten und Gemeinden mit ähnlichen Pro-blemen helfen, damit möglichst viele Menschen direkt von den Ergebnissen profitieren und diese – mit der richtigen Unterstützung bzw. Anleitung – in ihren eigenen vier Wänden umsetzen können.
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