Foto: RAG/beigestellt
INTERVIEW
Einfach die Natur kopieren
Markus Mitteregger, CEO der RAG AUSTRIA AG, leitet Österreichs größtes Gas- und somit auch Österreichs großtes Energiespeicherunternehmen – die Nummer 4 in Europa. Mit den Forschungsprojekten „Underground Sun Storage“ und „Underground Sun Conversion“ ist er weltweit führend.
Zum Nachhören
In Kooperation mit www.juliaschuetze.at/talk2me bieten wir Interviews in Form von Podcasts zum Nachhören. Julia Schütze #Talk2Me erscheint wöchentlich am Mittwoch mit einer neuen Folge sowie jeden 2. Freitag zusätzlich als WirtschaftsTalk.
Die Interviewdauer beträgt jeweils zwischen 20 und rund 30 Minuten.
Austria Innovativ: Markus Mitteregger, wie oft kommt es derzeit vor, dass das Telefon in der RAG AUSTRIA-Zentrale in Wien am Schwarzenbergplatz läutet und Netzbetreiber wie die EVN, Wien Energie oder die LINZ AG dran sind und mehr Energie brauchen?
Markus Mitteregger: Das kommt gar nicht mehr vor, denn mittlerweile ist auch die Kommunikation zwischen Netzbetreibern oder denen, die Energie brauchen und für die wir Energie gespeichert haben, längst digitalisiert. Man spricht hier von Fahrplänen und die werden quer über Europa digital ausgetauscht. Insofern klingelt das Telefon eigentlich sehr selten und das Ganze funktioniert reibungslos und das seit sehr vielen Jahren, dass wir einfach Energie bereitstellen, wann immer die von Netzbetreibern gebraucht wird.
AI: Ich habe gehört, dass ich mir die RAG wie ein Hotel vorstellen kann, in das sich Energiebetreiber eingemietet haben. Funktioniert das tatsächlich so?
MM: Ganz genau! Was wir garantieren, ist die freie Zugänglichkeit durch die Hoteltür. Ob Sie nun in dem Zimmer sind oder nicht, das ist jetzt Ihre Sache. Aber wir garantieren Ihnen einen gewissen Rauminhalt. Das Allerwichtigste ist, dass Sie jederzeit an Ihr Zimmer ran können, dass Sie rein und raus können. Das ist eigentlich das Geschäft, das wir betreiben. Der Raum ist definiert groß. Und wir garantieren auch, dass Sie ihren Raum binnen 90 Tagen komplett ausleeren oder befüllen können. Sie können aber auch jede Stunde in Ihr Zimmer rein und jede Stunde wieder raus. Wir garantieren Ihnen eben ein Volumen und eine bestimmte Zeit, in der Sie das Volumen, das Sie eingespeichert haben, wieder durch die Hoteltür, durch die Zimmertür rausbekommen.
AI: Hat sich das Volumen oder der Energiebedarf durch Corona verändert?
MM:Eigentlich nicht. Es ist nur so, dass manchmal durch Corona die Preise etwas runter gehen, weil scheinbar der Bedarf zurückgegangen und damit der Wunsch nach etwas mehr Volumen gestiegen ist. Das hat sich auch auf andere Speicherbetreiber verteilt. Interessant ist, dass das Bewusstsein, dass man Energie immer vorrätig bzw. in Reserve hat, sukzessive steigt. Das ist nicht erst seit Corona so, sondern seit man nicht berechenbare Energiequellen wie Wind und Sonne hat. Das beobachte ich schon 20 Jahre.
AI: Das Speichergeschäft ist die tragende Säule der RAG AUSTRIA. Die weiteren Geschäftsbereiche sind Versorgen – durch Erdgas und Erdwärme –, die Gasproduktion, Erdgas-Mobil sowie Neue Technologien. DIE RAG AUSTRIA hat insgesamt 10 Erdgasspeicher, die sich in Oberösterreich und Salzburg befinden, aber österreichische Netzbetreiber sind nicht ihre einzigen Kunden…
MM: …ganz genau! Gas ist ein uniformes Produkt, das quer durch Europa geschickt werden kann. 80% unserer Leistungen, unserer Kunden sind nicht in Österreich, sondern in den umliegenden Staaten. Österreich liegt erstens geographisch in der Mitte und ist zweitens durch große Pipeline-Verbindungen, die keiner sieht, weil sie unterirdisch sind, ans europäische Netz angebunden. Gas hat keine Nämlichkeit. Sie können nicht auf Ihren speziellen Kubikmeter bestehen, sondern Sie bekommen diesen Kubikmeter über Leitungssysteme geliefert und deshalb können wir auch in umliegenden Ländern und teilweise große Produzenten durch unsere Leistungen bedienen, ohne dass diese physisch in Österreich sein müssen. Unsere Speicher sind mit sehr leistungsstarken Pipelines ans internationale Netz angebunden: Deutschland, Italien, Ungarn – deshalb haben wir dort überall Kunden, die unsere Leistungen, die hier aus österreichischen Lagerstätten kommen, beziehen.
AI: „Wir kopieren einfach nur die Natur“, sagen Sie, „wenn man einen Apfel verrotten lässt, entsteht Methan.“ Methan (CH4) ist Erdgas. Ein Apfel wird da aber wohl nicht reichen. Woher bezieht die RAG AUSTRIA das Erdgas für die Speicher hauptsächlich – für unseren Strom, Wärme und Infrastruktur?
MM: In erster Linie kommt das Gas von großen Gasproduzenten. Das kann natürlich Russland sein, das können aber auch die USA, Nigeria, Algerien sein – überall dort, wo Österreich oder unsere Kunden ihr Gas beziehen. Es kommt aber auch aus inländischen Quellen, allerdings in zunehmend geringerem Ausmaß. Deshalb beschäftigen wir uns und andere schon lange damit, dass man Gas, das eigentlich sehr leicht in der Natur durch Verrottungsprozesse entsteht – Methan –, auch wiederherstellt – als Green Gas. Man hat festgestellt, dass es wohl das einfachste Energieprodukt ist, das durch Mikroben entsteht. Es besteht aus vier Teilen Wasserstoff und einem Kohlenstoffatom. Da ist also sehr viel Wasserstoff drin und es entsteht in vielen Bereichen der ganz normalen Lebenskreisläufe. In einem Komposthaufen etwa entsteht CH4, denn ein organisches Material zersetzt sich bei Luftabschluss und durch Mikroben. CH4 ist so schon vor Millionen von Jahren entstanden. Wo heute unsere Gebirge sind, waren früher oft Meere. Die hatten Lagunen und in diesen gab es Biomaterial. Mikroben blieben über Jahrtausende dort erhalten, sie tragen dazu bei, dass Erdgas entstand und entsteht. Diese Energie wird uns nie ausgehen: Üblicherweise wird CH4 durch Mikroben zusammengesetzt. Wenn man es oxidiert, anzündet, dann zerfällt es wieder in CO2 und Wasser. Und wenn man das wieder zusammenbringt, indem man Wasser vielleicht in Wasserstoff und Sauerstoff spaltet, dann können die Mikroben das wieder zusammenbauen.
Wir haben also festgestellt, dass diese Mikroben in unseren Lagerstätten noch leben. Draufgekommen sind wir, als wir überlegt haben, wie wir diese großen Erdgasspeicher auch in langer Zukunft mit fluktuierenden Wind- und Sonnenrädern füttern könnten. Die erste Frage war, wie kann ich Wind und Sonne in den Erdboden reinbringen? Wir haben festgestellt, dass man neben Erdgas auch Wasserstoff, also Wind und Sonne in Lagerstätten speichern kann. Bei diesem Prozess haben wir gesehen, dass wir diese Bakterien wieder zu neuem Leben erwecken können – und die haben dann aus diesem Wasserstoff wieder erneuerbares Methan bzw. Green Gas erzeugt. Daraus entstanden neue Projektideen …
AI: ... wie etwa „Underground Sun Storage“?
MM: … genau! „Sun Storage“ war die Datenspeicherung von Sonne in Form von Wasserstoff und das Folgeprojekt (Underground Sun Conversion) war dann die Frage, ob man eine Verwandlung machen kann. Wir haben dazu zwei Bohrungen in einer kleinen Lagerstätte gemacht, wo wir Sonne in Form von Wasserstoff einbringen und auch CO2. Und siehe da, die Mikroben verarbeiten das wieder zu – aber diesmal – erneuerbarem Erdgas! Natürlich ist das noch im Teststadium, aber es zeigt auf, dass Erdgas in Wahrheit ein energetisches Kreislaufprodukt ist.
AI: Und die RAG AUSTRIA ist weltweit führend mit diesen beiden Projekten. Halten Sie denn ein Szenario wie im Film „Zurück in die Zukunft“, also ein Auto statt mit Benzin zu betanken mit einer Bananenschale zu füttern, für möglich?
MM: Im Endeffekt machen wir das schon, denn wir haben schon erneuerbares Erdgas produziert. Wir betreiben auch Erdgastankstellen sowohl für PKW als auch für Lkw. In diesem Fall handelt es sich dann um verflüssigtes Erdgas und wir haben schon erneuerbares CH4 erzeugt. Die Frage wäre nur, woher bekommen wir die Bananenschale? Aber Sie können aus der Bananenschale auch das CO2 herausziehen und den Wasserstoff aus der Sonne runtergeben. Sie kopieren damit letztlich die Natur, die Photosynthese – diese baut aus Licht etwas zusammen. Die Pflanze macht nichts anderes: Sie holt sich aus der Luft CO2, mit den Wurzeln holt sie sich H2O, den Sauerstoff gibt sie uns zum Atmen und den Wasserstoff nimmt sie, dass sie mit dem CO2 wieder eine HC-Verbindung macht. Das wäre beispielsweise CH4, die einfachste aller Verbindungen – und das ist Erdgas.
AI: Österreich und Europa haben sich ehrgeizige Energie- und Klimaziele gesetzt, Stichwort #mission2030. Welche Rolle kommt dabei der RAG Austria dabei zu?
MM: Wir haben uns im Rahmen dieser #mission2030 das Ziel gesetzt, erneuerbare Energie zu speichern und dafür ein eigenes Projekt aufgesetzt. Es heißt „Sun Storage 2030“. Hier geht es darum, dass man 100 % Wasserstoff in eine Lagerstätte gibt. Bisher haben wir es mit 10 % ausprobiert und da wissen wir, dass es funktioniert. Unsere Rolle wird sein, neue Speicher aufzubauen, die reinen Wasserstoff speichern. Meiner Meinung nach ist das Um und Auf einer Energiewende, die auf Erneuerbaren basiert, dass man großvolumige Speicher hat. Schauen wir wieder in die Natur: Im Herbst ist Erntezeit, jetzt wird alles, was auf den Feldern gewachsen ist – und gewachsen ist es durch CO2 und Wasser – abgeerntet. Die große Frage ist, was macht man mit der Ernte? Seit tausenden Jahren wird konserviert, um über den Winter zu kommen.
Auch erneuerbare Energie fällt sukzessive viel stärker im Sommer an. Da habe ich 14 Stunden Licht, einen viel besseren Sonnenstand. Wir werden künftig die erneuerbare Energie, die in erster Linie Sonne und dann noch Wind ist, im Sommer einernten und die Energie zu einem Energieträger machen. Das wäre in diesem Fall Wasserstoff, den man dann ins Lagerhaus bringt, also einen Erdgasspeicher, Wasserstoffspeicher oder eben Sun Storage 2030. Denn in erster Linie geht es darum, dass wir im Winter genug Material zum Überleben haben – Lebensmittel, aber auch Material, um zu heizen, zu fahren. Das wäre in diesem Fall Wasserstoff. Wir müssen natürlich auch eine Energiebevorratung machen. In der Landwirtschaft kennen wir das schon lange, das Gleiche wird mit der Energie geschehen müssen. Wir müssen die Sommersonne einernten, dass wir sie im Winter wieder rausholen können. Das geht nur, wenn man Energie zu einem Energieträger macht. Das ist ja ein Unterschied: Licht ist Energie, das kann man nicht fassen. Man muss es zu einem Träger machen und da nimmt man vorsichtshalber Wasserstoff oder eben CH4, weil das die einfachsten und am leichtest herstellbaren Energieträgermoleküle sind. Alles andere ist komplizierter.
AI: Wie passt da die E-Mobilität dazu?
MM: Ich bin grundsätzlich ein Freund von „level playing field“ – also von Rahmenbedingungen, aber von Wettbewerb. Ich glaube, es wird das Elektroauto genauso für gewisse Anwendungen seine Berechtigung haben wie ein Auto, das auf Gasbasis fährt, eines mit Brennstoffzellen, eines mit Wasserstoff, vielleicht auch eines, das mit erneuerbarem Diesel bzw. Pflanzenöl fährt. Wichtig ist, dass neue Technologien entwickelt werden, neue Treibstoffe, neue Verfahren, um LKW und Fahrzeuge anzutreiben. Da ist gerade jetzt sehr viel Bewegung in ein doch bisher recht starres System gekommen. Wichtig ist, dass sich jetzt neue Dinge entwickeln können. Dabei ist aber auch der Markt, der Wettbewerb entscheidend. Es wird für verschiedene Anwendungen das Richtige geben, aber am Ende soll es nicht die Politik entscheiden, sondern der Markt und die Technologie. Ich hoffe, dass das ein fairer Markt sein wird, dass sich die Dinge dann auch innerhalb eines sportlichen Wettbewerbs durchsetzen und nicht nach einer diktatorischen Vorgabe, was es zu sein hat. Gerade was Diktaturen anbelangt, bin ich sehr empfindlich.
- Stärkung digitaler Kompetenzen
- Innovation 5.0 für eine neue Gesellschaft