Die Corona-Epidemie brachte auch für die Forschungseinrichtungen große Herausforderungen. Wie konnten sie im AIT gemeistert werden?
Anton Plimon: Das Corona-Jahr 2020 war von großen Unsicherheiten geprägt. Wir haben in der Planung entsprechend vorsichtig budgetiert und mussten viele Unwägbarkeiten managen. Im Verlauf des Jahres zeigte sich aber, dass das AIT krisenfest ist und wir fast nahtlos an das Jahr 2019 anschließen konnten. Dank der extrem hohen Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden, der operativen Exzellenz und dem hohen Grad an Digitalisierung am Institut war es möglich, das Projektgeschäft in Vollbetrieb zu halten. Wolfgang Knoll: Das Jahr 2020 war für uns auch stark von der Ausarbeitung einer neuen Strategie für die nächsten Jahre geprägt. Dabei bekamen wir wertvolle Unterstützung durch unser Strategic Research Advisory Board (SRAB), das aus sechs renommierten Expertinnen und Experten internationaler Top-Institutionen besteht. Besonders freut es uns, dass der SRAB für das, was wir in den vergangenen Jahren gemeinsam aufgebaut haben, ein grundsolides Zeugnis ausgestellt hat.
AI: Wie ist das letzte Geschäftsjahr am AIT gelaufen?
Plimon: Das AIT legte für das Covid19-Jahr 2020 eine solide Bilanz bei gut gefüllten Auftragsbüchern. Das Ergebnis vor Steuern zeigt trotz schwieriger Bedingungen ein sehr zufriedenstellendes Resultat. Bei der Auftragsforschung gelang es sogar, die Erlöse leicht über Vorjahresniveau zu steigern. Sehr zufriedenstellend verlief das vergangene Jahr auch bei den Auftragseingängen: Wir konnten nahezu vollständig an das Niveau des Vorjahres 2019 anschließen. Die gute Auftragseingangslage bewirkte auch eine weitere Steigerung der Auftragsstände.
Knoll: Auch in wissenschaftlicher Hinsicht können wir für das Corona-Jahr 2020 eine gute Bilanz ziehen. Die Zahl der erteilten Patente ist stark gestiegen, ebenso der Impact-Faktor von Publikationen in wissenschaftlich referenzierten Zeitschriften. Das beweist, wie hoch die wissenschaftliche Flughöhe des AIT mittlerweile ist. Sehr erfreulich ist auch, dass die Anzahl der habilitierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des AIT weiter gewachsen ist.
AI: Wie wurde dies trotz teils widriger Umstände erreicht?
Knoll:Eine wesentliche Basis für den Erfolg des AIT sind unsere bestausgebildeten und motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die AIT Gruppe weist mit Ende 2020 einen Personalstand von rund 1.400 Personen auf. Diese kommen mittlerweile aus mehr als 50 Ländern. Wir freuen uns in diesem Zusammenhang über positive Bewertungen aus der unternehmensinternen „Work Environment Survey“, die mit einer Beteiligungsquote von 79% sowohl gegenüber dem externen Benchmark als auch zu den Ergebnissen der beiden Vorbefragungen positive Entwicklungen aufweist. Weltweit gibt es zwischen den Forschungsorganisationen einen intensiven Wettbewerb um die besten Köpfe. Um Spitzenleute an das AIT zu holen und hier zu binden, müssen wir unseren Forscherinnen und Forschern die besten Bedingungen bieten.
AI: Heuer startet am AIT, wie bereits angesprochen, eine neue Strategieperiode. Was alles ist vorgesehen?
Plimon: Mit passgenauen Forschungsschwerpunkten aus der neuen Strategie „Research and Innovation for a Sustainable and Competitive Position in the Digital Age“ macht das AIT den nächsten großen Schritt in der Unternehmensentwicklung. Die Voraussetzung für die neue Strategie ist ein grundsolides Fundament, das in den vergangenen Jahren hart und entschlossen erarbeitet wurde. Zum einen bauen wir in den nächsten Jahren auf der bereits erreichten kritischen Masse in ausgewählten Leistungsfeldern auf und verfolgen das Ziel, langfristig eine Position unter den europäischen Forschungsführern zu etablieren. Zum anderen investieren wir in ausgewählte Schlüsseltechnologien und bauen entsprechende Technologiekompetenz auf, um auf neuen Märkten mit sich verändernden Wertschöpfungsketten zu reüssierenen.
AI: Welche Themenfelder sind das?
Knoll: In den nächsten Jahren setzen wir einen besonderen Fokus auf vier thematische Prioritäten: Erstens Digital Resili. et Cities: In der Stadt- und Regionalplanung gibt es eine klare Notwendigkeit für Innovationen in den Bereichen Klima, Energie und Mobilität. Dabei geht es unter anderem um Maßnahmen gegen den Klimawandel etwa durch effizienteren Einsatz von Energie im privaten und industriellen Bereich, um die Neugestaltung von Mobilitätssystemen oder um eine intensivere Bürgerbeteiligung. Der zweite zentrale Bereich ist Advanced Technologies for Low Emission Transport: Hier dreht sich alles um die ganzheitliche Betrachtung von emissionsarmen Transporttechnologien. Das umfasst den elektrischen Antrieb und die Entwicklung neuartiger Batterietechnologien ebenso wie die Entwicklung von Leichtmetallwerkstoffen für diesen in Österreich so wichtigen Industriesektor. Die dritte Priorität liegt auf dem Bereich Nachhaltige Energiesysteme: Die „Energiewende“ erfordert eine stärkere Kopplung der verschiedenen Energiesektoren (Strom, Wärme, Gas bzw. Industrie, Haushalte, Landwirtschaft), zum Beispiel mithilfe von innovativen Wärmepumpen. Durch einen systemischen Ansatz, der verstärkt digitale Technologien (Simulation, Data Analytics) nutzt, können die Zuverlässigkeit, Effizienz und Nachhaltigkeit von Energiesystemen gesteigert werden. Und wir investieren auch stark in den Bereich AI-enabled Sustainable Automation and Robotics: Innovative Automatisierungskonzepte machen die Güterproduktion flexibler, robuster, produktiver, sicherer und effizienter. Zukünftige Automatisierungssysteme ersetzen den Menschen nicht, sondern zielen auf eine bessere Kollaboration zwischen Mensch und Maschine ab.
AI: Welchen Beitrag leistet das AIT bei den großen gesellschaftlichen Herausforderungen im Bereich des Klimawandels und der Digitalisierung?
Plimon: Diese Themen hängen auch sehr eng mit den Erwartungshaltungen und Visionen unserer beiden Eigentümer, dem BMK (Klima- und Innovationsministerium) und dem VFFI (Verein für Forschung und Innovation der Industriellenvereinigung), zusammen. In der „Shareholder Vision“ ist formuliert, dass das AIT Wirtschaft und Gesellschaft insbesondere in den Bereichen Digitalisierung, Dekarbonisierung und anderen Herausforderungen des Klimawandels unterstützt. Diese Themen stehen auf der politischen und gesellschaftlichen Agenda ganz oben, ein Leitprinzip des AIT ist daher schon seit einiger Zeit die Nachhaltigkeit – und zwar in all ihren Aspekten. Das reicht von der Erzeugung und Integration von Erneuerbarer Energie und der Steigerung der Energieeffizienz über nachhaltige Mobilitätssysteme und umweltfreundlichere und gesündere Methoden der Lebensmittelproduktion bis hin zu effizienteren Produktionstechnologien und Lieferketten sowie die Art und Weise, wie wir Gebäude und Städte denken, planen und bauen.
AI: Heuer endet die Periode des Aufsichtsrats Hannes Androsch, der mit und dank des neuen Managementteams, zu dem ja Sie zählen, ab dem Jahr 2007 die einst krisengebeutelte Vorgängerorganisation wieder auf Kurs gebracht hat. Was ist nun in der neuen Ära vorgesehen?
Plimon: Wir investieren weiter in unsere einzigartige Laborinfrastruktur, die zu den Alleinstellungsmerkmalen des AIT zählt und eine zentrale Basis für die Zusammenarbeit mit Unternehmen ist. Entsprechend der thematischen Prioritäten investieren wir in den nächsten drei Jahren rund 25 Mio. EUR alleine in die Laborinfrastruktur am AIT. Beispiele sind das Batterielabor, die Labors der Energieforschung sowie im Leichtmetallkompetenzzentrum Ranshofen.
AI: Die Aktivitäten des AIT wurden in letzter Zeit in die Bundesländer wie jüngst auch nach Vorarlberg ausgedehnt.
Plimon: Aus dem ursprünglichen Standort Seibersdorf hat sich seit dem Neustart des AIT im Jahr 2008 ein starkes Netzwerk mit einem Schwerpunkt auf Wien entwickelt. Durch neue Partnerschaften wurden neben den etablierten Standorten weitere Standorte in Niederösterreich und im Industrieland Oberösterreich (Profactor in Steyr, LKR in Ranshofen) gegründet bzw. ausgebaut. Weitere Aktivitäten betreibt das AIT in der Steiermark, in Kärnten, Tirol und Salzburg. Und nun auch in Vorarlberg, wo wir gemeinsam mit der FH Vorarlberg ein Joint Venture für den Ausbau der Digital Factory Vorarlberg GmbH gegründet haben. Diese überbetriebliche Forschungseinrichtung versteht sich als Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Die Forschungsschwerpunkte der Digital Factory Vorarlberg liegen in Cloudbasierten Fertigungssystemen, Data Science und Künstlicher Intelligenz, Funktechnologien und Cyber Security.
Knoll: In Oberösterreich ist Profactor ein zentraler Baustein unserer Aktivitäten im vorhin schon angeführten Bereich Robotik: Im Rahmen eines Leuchtturmprojektes bündeln wir herausragende Kompetenz unter der Regie von Prof. Andreas Kugi und federführend durch unser Center for Vision, Automation & Control in Zusammenarbeit mit ACIN an der TU Wien, unserem Center für Technology Experience, der Profactor in Steyr sowie weiteren Partnern an Universitäten.
Ein weiteres wichtiges Thema sind die Mitarbeiter*innen.
Knoll: Eine besonders wichtige Initiative, um die besten Köpfe an das AIT zu bekommen, ist unser Principal Scientist Program. Die starke Verankerung von herausragenden Forscher- Persönlichkeiten als Principal Scientists am AIT ist ein wichtiger Schritt hin zur Realisierung exzellenter Flagship- Projekte und der internationalen Vernetzung. So wurde kürzlich die erste Dissertantin an der Tufts University in Boston akkreditiert, wo der im Vorjahr zum Principal Scientist ernannte Matthias Scheutz tätig ist. Neu zu Principal Scientists berufen wurden kürzlich auch Philipp Schneider, Professor of Biomedical Imaging an der University of Southampton und Thomas Zemen, der einen Forschungsschwerpunkt „6G-basierender Kommunikationssysteme“ aufbaut. Weitere Berufungen zu Principal Scientists sind geplant. Einen wesentlichen Beitrag zur wissenschaftlichen Exzellenz des AIT leisten auch PhD-Studierende. Um diesem Stellenwert gerecht zu werden und um auf die zunehmende Konkurrenz nationaler und internationaler PhD-Programme und Graduiertenschulen um die „besten Köpfe“ zu reagieren, wurde auch das PhD Programm des AIT neu aufgestellt. Wesentliche Elemente sind, neben einem attraktiven Rahmenprogramm aus Schulungen, Mentoring und Netzwerkveranstaltungen, vor allem die Etablierung des PhD Coordinators sowie des Thesis Committee, das sich aus AIT- und Universitäts- Betreuungspersonen zusammensetzt und gemeinsames wie regelmäßiges Monitoring der Fortschritte der Teilnehmenden ermöglicht.
Das AIT hat vor einiger Zeit ein groß angelegtes Gender & Diversity Programm gestartet. Was wurde schon erreicht, was ist noch zu tun?
Plimon: Im Recruiting haben wir die selbst gesetzten Ziele erreicht. In der weiteren Karriereentwicklung im Haus ist jedoch auch bei uns der allgemein bekannte „Glass Ceiling Effekt“ ablesbar. Auf Basis der Erfahrungen der vergangenen Jahre und von Analysen wurden Strategien entwickelt, Strukturen und Entscheidungsgremien aufgebaut sowie Abläufe und Prozesse definiert, mit denen die Gleichberechtigung im Unternehmen nachhaltig sichergestellt werden soll. Dazu wurde eine Gender beauftragte Person installiert. Entwickelt wurde überdies ein Gendermaßnahmenplan mit 42 konkreten Maßnahmen.