Austria Innovativ: Hr. Prof. Dustdar, Sie sind gerade auf Gastprofessur in Berkeley und kennen die internationalen Forschungsarbeiten zu den Themen Digitalisierung bzw. Internet of Things natürlich sehr gut. Wo stehen wir in Österreich, in Europa, im Vergleich zu den USA?
Schahram Dustdar: Ich würde uns an und für sich in einer guten Vergleichsposition einordnen. Und zwar aus folgendem Grund: Das ganze Gebiet ist sehr komplex, es gibt so viele artverwandte Schlagworte dazu – Industrie 4.0, es gibt den technischen Bereich mit IoT oder andere Ausprägungen wie cyber-physikalische Systeme. Man drückt damit auch unterschiedliche Schwerpunkte eines generellen Problems aus.
Wir stehen vor der Frage: Wie kann man die virtuelle und physische Welt miteinander verbinden, dass man einen fließenden Übergang aus der virtuellen in die physische Welt erreicht? Je nachdem, von welcher Research-Community oder Industrie Sie kommen, ist dabei der Zugang unterschiedlich. Ein Maschinenbauer sieht den Zugang von der Hardwareseite und fragt sich: Wie kann man Hardware-Programmierer einsetzen? Wir sehen zunehmend Virtualisierungen, neue Applikationen, und das im Konzert mit anderen Maschinen.
Das ganze soll zu einem autonomen Nervensystem, wo alles miteinander verbunden ist, werden. Systemlandschaften in der Industrie zeichnen sich derzeit aber dadurch aus, dass noch nicht alles mit allem verbunden ist. Es besteht nach wie vor das Problem der einfachen Integration, aber wir benötigen auch den nächsten Evolutionssprung – also die Kontrolle über Ressourcen, Datenaustausch und die Klärung der Frage, wie man mit dem daraus folgenden Vermarktungssystem unter dem Blickwinkel Preis-Leistung-Qualität umgeht. Alle Systeme und Maschinenparks sind letzten Endes ja nicht losgelöst von Geschäftsrealität.
Ich brauche einen bestimmten Dateninput und –output, und dieser muss kontrolliert und bepreist werden. Stand der Forschung ist derzeit, dass genau diese Aspekte behandelt werden müssen. Und da stehen wir noch relativ am Anfang.
AI: Wo liegen die großen Herausforderungen?
SD: Die Technologien können sich nur in dem Maße entwickeln, wie wir das Bewusstsein dafür haben – als Mensch und als Community. Im Bereich Industrie 4.0 und IoT geht es letzten Endes um das Entwickeln und Verkaufen von Produkten und Dienstleistungen, und in diesem speziellen Themenfeld ergibt der Blick der Welt das Ergebnis. Da befinden wir uns derzeit in einer interessanten Übergangsphase: Das Bewusstsein der Menschen befindet sich noch im ersten Teilbereich, das heißt: Eher ein Produkt bauen, eine Plattform mit Services drauf installieren und dafür alle möglichen Schnittstellen zur Verfügung stellen.
Der andere Zugang ist eher ökosystematisch zu sehen und würde das gesamte System erfassen. Das wäre dann der vorhin erwähnte nächste Evolutionssprung, an dem wir derzeit stehen. Wir haben also die Idee eines Internet of Things, in dem physische Objekte von den eigenen vier Wänden daheim bis zu den verzweigten Industrieproduktionsstrecken lernen, miteinander zu sprechen und Daten auszutauschen. Natürlich müssen hier Fragen geklärt werden, die da etwa lauten: Wie autonom kann und darf das passieren, wie freizügig soll das sein? Wie steht es um Sicherheit, um Privacy, um Datenschutz? Das muss man ausführlich behandeln, bis hin zu den ökonomischen Fragen, wie man das ganze preislich gestalten kann. Letztlich geht es ja auch darum, dass man sich die Frage stellt, wer eigentlich entlang dieser Value Chain Geld verdienen soll. Diejenigen, die das Produkt herstellen, diejenigen, die nur das Device dafür zur Verfügung stellen, oder diejenigen, die die Daten auslesen, die von dritter Seite einlangen?
AI: Wo liegen Ihre persönlichen Forschungsbereiche bzw. welche aktuellen Projekte betreuten Sie derzeit mit Ihrem Team an der TU Wien?
SD: Ich persönlich bevorzuge einen holistischen Zugang und behandle dann im Forschungsthema ausgewählte einzelne Aspekte. Wir holen uns einen Querschnitt heraus und erarbeiten dazu die technischen und organisatorischen Aspekte. Wir arbeiten beispielsweise sehr stark im Bereich Smart Cities und Smart Communities. Hierbei sind wie vor allem in zwei Feldern engagiert: Wir haben derzeit einen neuen Complexity Research Cluster an der TU Wien in Gründung, in dessen Rahmen wir interdisziplinär am Themenfeld Smart Cities und Communities forschen werden. Hier ist der Vienna Complexity Science Hub ein wichtiger Partner. Und wir starten demnächst ein Kompetenzzentrum für die nächsten acht Jahre zum Thema Digitale Produktion. Das Projekt beginnt im April und wird einen starken Fokus auf Produktion und Fertigung im Kontext Industrie 4.0 legen.
AI: Das Thema Smart City ist ja derzeit in aller Munde, nicht zuletzt dank der Seestadt Aspern, die ja aus Forschungssicht viel mehr ist als nur ein neuer Stadtteil für Wien...
SD: ...ja, die Smart City Aspern ist ein wegweisendes Projekt. Wir haben hier einerseits eine Kooperation mit der Stadt Wien, andererseits durch Unterstützung der Wiener Stadtwerke ein TU-Doktoratskolleg (URBEM), und wir entwickeln entsprechende Protoypen für unterschiedliche Anwendungsfälle. Zudem sind wir auch in dem EU-Forschungsprojekt SMART-FI Partner, das Technologieplattformen und Data Analytics Mechanismen für unterschiedliche Städte in Europa erstellt – eben in Wien, aber auch in Spanien, Schweden und der Türkei. Diese Forschungen sollen auch dazu diesen, die Verwaltungen in ihren Planungen zu unterstützen. Letzten Endes ist es unser Ziel, ein „Internet of Cities“ zu begründen. Nicht zuletzt aufgrund dieser genannten Projekte kann man sagen, dass wir in Österreich in vielen Bereichen der IoT-Entwicklung im oberen technologischen Feld mitspielen.
AI: Dennoch hat man oft das Gefühl, die USA fahren Europa schlicht um die Ohren, denkt man an first mover wie Tesla oder Uber – auch wenn die tatsächlichen ökonomischen Fakten hier nicht immer nachhaltig geklärt sein mögen.
SD: Es ist, wie gesagt, nicht unser Problem, dass wir technologisch hinten wären. Es mangelt eher an der Verknüpfung der Industrie mit der Forschungslandschaft. Das fällt einem gerade dann sehr stark auf, wenn man hier im Silicon Valley ist.
Hier sponsern die Unternehmen unzählige Universitäts-Labore, hier gibt es für gute Ideen ganze Stockwerke und Institute, wo Geld reingesteckt wird. Das fehlt bei uns, und das führt dazu, dass die Verknüpfung zwischen akademischer Forschung und industrieller Relevanz noch zu schwach ist und in manchen Bereich sogar schwächer wird.
AI: Das heißt, unsere Universitäten müssen sich besser vermarkten?
SD: Manche meinen, wer für oder mit der Industrie arbeitet, verliert seine Unabhängigkeit und das ist schlecht. Diese Ansicht kann ich nicht teilen. Mir geht es darum, dass wir jene forschungsrelevanten Aspekte behandeln, die wir auch wieder in die industrielle Nutzung zurück- bzw. überführen können. In dieser Hinsicht ist man in den USA um einiges weiter. Ich denke, dass wir hier in Österreich, aber auch in Europa zulegen können. Wir haben daher beispielsweise an der TU Wien jetzt ein Projekt initiiert, in dem wir ein großes Forschungslab gemeinsam mit namhaften Unternehmen aufbauen wollen. Da werden wir Fragen zu IoT und Infrastrukturen für cyber-physikalische Systeme behandeln und auch einen Showcase an der TU machen. Ziel ist es, Sensoren einzusetzen und mit einer Edge/Cloud Computing Infrastruktur zu verbinden.