Die Krise der Eurozone scheint die Warnungen von Ökonomen zu bestätigen, dass eine schwache Koordinierung der Wirtschaftspolitik und eine unzureichende fiskalische Kontrolle nicht zu einer Stabilisierung der Währungsunion beitragen können. So hat auch die Europäische Kommission in ihrem Konzept einer vertieften und echten Wirtschafts- und Währungsunion im Jahr 2012 eine gestärkte, über die bestehenden Mechanismen hinausgehende, institutionelle Architektur zur Steuerung der Währungsunion gefordert. Es fehlt also nicht an Ideen und ökonomischen Konzepten zur Stabilisierung der Union, fraglich bleibt jedoch der politische Konsens zur weiteren Integration.
Das Projekt des Salzburg Centres of European Union Studies hat es sich daher zum Ziel gesetzt, die Präferenzen der Regierungen der Mitgliedstaaten im Hinblick auf unterschiedliche Modelle einer Fiskalunion zu untersuchen. Den theoretischen Rahmen für diese Untersuchungen bilden ökonomische Studien und die Annahme des Intergovernmentalismus, der davon ausgeht, dass nationale wirtschaftliche, fiskalische und politische Faktoren einen wesentlichen Einfluss darauf haben, wie mitgliedsstaatliche Interessen in Bezug auf weitere Integrationsschritte gebildet werden.
Unsere wichtigsten Fragen sind lauten daher:
- Welche Mitgliedstaaten drängen auf monetäre, wirtschaftliche und fiskalische Vertiefung und warum?
- Welche unterschiedlichen Integrationsmodelle werden propagiert (Einheitliche Vorgaben für nationale Budgetpolitik, höheres EU-Budget, gemeinsame Arbeitslosenversicherung etc) ?
- Auf welcher Grundlage formen sich mitgliedsstaatliche Präferenzen für bestimmte Integrationsschritte?
- Wie wirken sich internationale Zwänge aber auch verfassungsrechtliche Vorgaben auf die Präferenzbildung in den einzelnen Staaten aus?
- Was können wir generell für die Zukunft der europäischen Integration erwarten: sind die Mitgliedsstaaten überhaupt zu weiterer Kompetenzabgabe bereit oder wird man sich auf zwischenstaatliche Übereinkommen beschränken?
- Können wir unter den gegebenen Voraussetzungen überhaupt eine einheitliche Fortentwicklung des Euroraumes sehen oder liegt die Zukunft in der differenzierten Integration?
Das interdisziplinäre und internationale Forschungskonsortium wird im Laufe der nächsten Jahre mehr als 160 Interviews mit verantwortlichen Entscheidungsträgern in allen 28 Mitgliedsstaaten führen, um in einem ersten Schritt einen generellen Überblick über unterschiedliche Positionen der Mitgliedsstaaten zu erhalten. In einem zweiten Schritt wird sich das Konsortium in vertieften Einzelfallanalysen aber auch im Detail die Zusammenhänge zwischen nationalen Voraussetzungen und Präferenzbildung auf der europäischen Ebene analysieren.
Die politikwissenschaftlichen Fragenstellungen sind jedoch nur vor dem Hintergrund der Verfassungsordnungen und -traditionen der EU Mitgliedstaaten zu beantworten. Was diese erlauben oder verlangen, unter anderem auch für die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), ist für die Zukunft von entscheidender Bedeutung, nicht nur rechtlich, sondern auch politisch und ökonomisch. Ein prominentes Beispiel wird das für 16. Juni angekündigte Urteil des EuGH zu den Marktinterventionen der EZB sein, das auf einen Vorlagebeschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts zurückgeht, in dem schwere verfassungsrechtliche Bedenken vorgebracht werden ("OMT-Beschluss" -Stichwort: Draghi: "all that it takes" am 6.9.2012). Ein Team von RechtsexpertInnen aus allen 28 Mitgliedstaaten prüft die maßgeblichen nationalen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für die europäische Wirtschafts- und Währungs-, einschließlich Haushaltspolitik und die daraus resultierenden Schranken für die EU. Analysiert und verglichen werden die charakteristischen Wesenszüge der unterschiedlichen Rechtsordnungen in ihrem Bezug zum Unionsrecht. Außerdem stehen die bereits getroffenen Krisenbewältigungsmaßnahmen sowie die Präferenzen und Vorschläge, die Gegenstand des politikwissenschaftlichen Projektteils sind, auf dem Prüfstand. Insgesamt sollen daraus weiterführende und rechtlich konsistente Zukunftsszenarien der wirtschaftlichen, fiskalischen und monetären Integration entstehen.