„Wir sind die erste Generation, die die Klimakrise am eigenen Leib erlebt und die letzte Generation, die noch in der Lage ist, das Ruder herumzureißen. Wir haben das Wissen, die finanziellen Ressourcen und die technischen Möglichkeiten dazu – wir müssen jetzt handeln“, mahnte Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber in seiner Eröffnungsrede. Bei der energy2050, die heuer im Vorfeld der UN-Klimakonferenz und weltweiter Protestaktionen für den Klimaschutz vom 18. bis 20. September in Fuschl stattfand, trifft sich alle zwei Jahre die Energiebranche. „Bridging the Gap: Sektorenkopplung Industrie-Verkehr-Energie" lautete heuer der Titel. Die große Frage in den teils hochkarätig besetzten Panelrunden drehte sich aber eigentlich darum, wie man die Energiewende schaffen könnte – und dazu müssten alle Sektoren wie die Energiewirtschaft, der Verkehr, die Industrie und andere Bereiche gemeinsam gesamtgesellschaftliche Lösungen entwickeln. Für Wolfgang Hesoun, CEO von Siemens Österreich, stellen Technologie und Innovation die Schlüssel zur sicheren, sauberen und leistbaren Stromversorgung dar. „Als kleines Land können wir intelligente Technologien früher installieren und testen - ein klarer Vorteil“, so Hesoun, der dazu auf die umfangreichen Forschungsaktivitäten am internationalen Smart-City-Vorzeigeprojekt aspern Seestadt und generell auf das große CO2-Einsparungspotenzial in Städten verwies. „Europa gehört bei den Umwelttechnologien in vielen Bereichen zur Weltspitze“, ist Hesoun überzeugt.
Auch die Politik war vertreten. Etwa mit der ehemaligen Umweltministerin Elisabeth Köstinger, die Dänemark als Paradebeispiel für eine über alle Parteigrenzen hinweg verfolgte Energiewende nannte, die Abstimmung aller Sektoren und besonders einen Umbau des Mobilitätssystems forderte. Infrastrukturminister Andreas Reichhart betonte, dass Klimapolitik auch Standortpolitik sei und dass wir uns stärker mit einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft auseinandersetzen müssten. Und der ehemalige Vizekanzler und Finanzminister Wilhelm Molterer, nun geschäftsführender Direktor bei der Europäischen Investitionsbank, sprach über die Finanzierungsmöglichkeiten für die Energiezukunft und Sektorenkoppelung.
Der Preis für CO2
„Ohne einen wirklich wirksamen Emissionshandel kann die Energiewende nicht gelingen“, betonte Wolfgang Anzengruber. Die Dekarbonisierung werde nur mit einem Umbau des Emissionshandels und einem Mindestpreis für CO2-Zertifikate funktionieren. Die Rahmenbedingungen für die Industrie und andere Sektoren müssten laut dem Verbund-Chef so gestaltet werden, dass die Emissionsvermeidung günstiger sei als die Strafzahlungen. Derzeit seien aber 55 Prozent der Emissionen noch gar nicht im Emissionsrechtehandel erfasst.
Über eine notwendige Bepreisung von CO2, nicht aber über die nötige Höhe, waren sich ziemlich alle Vortragenden einig. Ohne weitere Maßnahmen würde die Erderwärmung laut Klimaforschung am Ende des Jahrhunderts um vier bis fünf Grad steigen. „Das wäre nicht nur eine ökologische Katastrophe, sondern auch eine ökonomische", so Anzengruber. Um ein klimaneutrales Europa bis 2050 zu erreichen, bedürfe es einer neuen industriellen Revolution. Aktuell liegen in Österreich die CO2-Emissionen bei 10 bzw. 15 Tonnen (inklusive ausgelagerter Produktion) pro Kopf pro Jahr. „Wenn wir wirklich eine Wende schaffen wollen, muss dieser Wert auf zwei Tonnen sinken. Das ist gewaltig – aber machbar", so Anzengruber.
Klimaschutz und Wirtschaftswachstum
Christian Holzleitner, Abteilungsleiter in der DG CLIMA bei der Europäischen Kommission, präsentierte die EU-Vision für eine saubere Energiezukunft und Fakten gegen den Mythos, dass ambitionierter Klimaschutz die Wirtschaft und den Standort bedrohe. So sind die beim Klimaschutz erfolgreiche Staaten auch wirtschaftlich meist erfolgreicher. Schweden konnte beispielsweise seit 2000 seine Treibhausgasemissionen um 21 Prozent senken und dabei die Wirtschaftsleistung um 31 Prozent erhöhen. Der CO2-Preis liegt in Schweden übrigens derzeit bei 120 Euro pro Tonne, während hierzulande von einem Mindestpreis von 30 Euro pro Tonne diskutiert wird. Holzleitner sieht im boomenden Sektor der erneuerbaren Energien auch große Chancen für die Industrie und Wirtschaft. Die weltweiten Investitionen in die Erneuerbaren sollen von bislang jährlich 286 Mrd. Dollar (2015) auf 500 Mrd. Dollar im Jahr 2020 ansteigen. Energieeffizienz, Entwicklung erneuerbarer Energien bis hin zu Kreislaufwirtschafts-Modellen oder auch natürliche CO2-Speicher seien die Basis im Kampf gegen den Klimawandel. Der Innovationsfond der EU, der durch die CO2-Abgaben finanziert wird, will zum Anschub für den Wandel über die nächsten zehn Jahre zumindest zehn Mrd. Euro bereitstellen.
Drastische Zahlen präsentierte Katharina Beumelburg, Senior Vice President Strategy bei Siemens Gas & Power. „Die Klimakatastrophe ist fast nicht mehr zu verhindern", so die Managerin, die als Beispiel das rasant schmelzende Grönlandeis anführte. „Wenn das ganze Eis in Grönland schmilzt, steigt unser Meeresspiegel um sieben Meter. Ein Anstieg schon um zwei Meter würde bedeuten, dass 1,2 Milliarden Menschen aus Küstengebieten umsiedeln müssen.“ Sie forderte einen aggressiven Ausbau der Erneuerbaren und wies daraufhin, dass Grüner Wasserstoff schon heute in einigen Weltregionen zu den Kosten von Wasserstoff aus Dampfreformierung gewonnen werden könnte. Wichtig sei, sofort zu handeln, wobei die Sektorenkoppelung ein zentraler Punkt sei. „Es kommt auf jeden noch so kleinen Beitrag an. Allein ein Kohle-Gas-Shift würde weltweit helfen“, so Beumelburg.
Florian Ermacora, Referatsleiter Großhandelsmärkte Strom und Gas in der Generaldirektion für Energie der Europäische Kommission, ging auf das Clean Energy Package der EU ein, das 32,5 Prozent mehr Energieeffizienz und mindestens 32 Prozent erneuerbare Energie am Bruttoendenergieverbrauch bis 2030 in Europa vorsieht. Strom hat hier eine besondere Rolle, da er seinen Anteil als Energieträger bis 2050 verdoppeln soll. Aber auch Gas habe als einfach über bestehende Infrastrukturen transportierbares Speichermedium noch länger eine Berechtigung. „Sofort nur an Wasserstoff zu denken, ist nicht realistisch“, sagte Ermacora. Zudem fehle noch eine europäische Wasserstoff-Strategie. Österreich ist hier schon etwas weiter. Denn Europa und Österreich können besonders im Bereich Wasserstoff in Sachen Forschung noch eine weltweite Führungsrolle einnehmen.
Präsentiert wurden auch Wasserstoffprojekte, wie etwa die Zillertalbahn, die erste H2-Kleinbahn. Für den Bereich Sektorenkoppelung präsentierte Michael Strebl, Chef der Wien Energie, das neue Energiemodell im Wohnprojekt „Viertel 2“, indem Energie, Mobilität und Telekommunikation dank Customer-Cocreation oder Blockchain eng miteinander verbunden sind.
Im Schlusswort der Konferenz betonte Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber, dass es sehr wichtig sei, dass nun alle Sektoren gemeinsam wirklich Lösungen bieten würden, denn die Zeit laufe davon. Schon 2009 lautete das Motto der Energiekonferenz „global energy challenge – time to act“. Nun sollte wirklich gehandelt werden.