05/2024 News mittlere Spalte Forschung
Alle Fotos: © Nosi
Das Gründungsteam von Nosi (v.l.n.r.): Klara Brandstätter, Patrik Aspermair, Johannes Bintinger.
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Start-up: Künstliche Nase mit Potenzial

Ein österreichisches „Start-up des Jahres 2024“ will einen millionenschweren, neuen internationalen Markt eröffnen und eine künstliche Nase rund um die Welt schnuppern lassen.

von: Norbert Regitnig-Tillian

Künstliche Nasen hatten bis jetzt immer ein veritables Problem: Sie funktionierten, aber nur in sehr genau definierten Umgebungen. Denn die chemischen Sensoren, die für die Messung von Substanzen in der Luft eingesetzt wurden, waren anfällig für Temperaturänderungen, konnten ähnlich duftende Substanzen schwer auseinanderhalten und brachten so zwar Ergebnisse, aber oft die falschen.

Die Forschungen und Entwicklungen, die Patrick Aspermair am Austrian Institute of Technology (AIT) angestellt hat, haben dieses Problem nun lösen können. Der Forscher, der mit der wissenschaftlichen Fragestellung gestartet war, wie man mit Geruchssensoren Krankheiten von Diabetes über Leberleiden bis hin zu Krebs erkennen könnte, hat einen robusten Weg gefunden, um Gerüche auch in „real life environment“ eindeutig identifizieren zu können. Ein Erfolg, der auch gleich in aller Munde war: Sein mit Johannes Bintinger und Klara Brandstätter Anfang 2024 gegründetes Spin-off „Nosi – Network for Olfactoric Intelligence“ wurde das „Start-up des Jahres 2024“. Die aws Austria Wirtschaftsservice Gesellschaft unterstützt das Unternehmen nun in ihrem Preseed-Programm. Und bis Ende 2025 will man die künstliche Nase an mehrere Anwendungsfälle anpassen und bei einigen Kunden schon den Testbetrieb starten.

Chemische Sensoren und robuste Messmethode

Der Clou von Nosi: Die chemischen Sensoren, die Aspermair entwickelte, sind spezielle Polymere. Sie ändern ihre elektrische Leitfähigkeit, wenn Moleküle einer Substanz, die an ihrem Geruch erkannt werden soll, auf ihre Oberfläche treffen. So wie im menschlichen Geruchssystem hat Aspermair nun die chemischen Sensoren so kalibriert, dass sie wie Geruchsrezeptoren auf eine bestimmte – und nur auf diese – Geruchsfacette reagieren. Weil 16 Sensoren auf einer Platine montiert sind, die alle auf ein und dasselbe Geruchsmolekül ein wenig anders reagieren, können so 16 unterschiedliche Geruchskomponenten gemessen werden.

Um robuste Messergebnisse zu bekommen, sind auf der Platine zudem noch 16 idente Geruchssensoren aufgebracht, die abgeklebt sind und so nicht auf Gerüche, sondern nur auf Umgebungseinflüsse, wie etwa Temperatur oder Luftfeuchtigkeit, reagieren. Weil immer nur die Differenzsignale zwischen Geruchssensor und abgeklebten Kalibrierungssensor gemessen werden, werden eventuelle Umweltveränderungen sofort berücksichtigt. Ein spezifischer Geruch wird so immer einwandfrei erkannt, auch wenn sich die Umgebung verändert.

Anhand einer Geruchsprobe kann die künstliche Nase nun via Machine Learning auf die Erkennung eines spezifischen Geruchs trainiert und die Ergebnisse in einer Geruchsbibliothek abgespeichert werden. Obwohl wegen der begrenzten Sensoren--Anzahl noch recht „grobkörnig“ – anstatt mit 16 arbeitet der Mensch mit 300 unterschiedlichen Geruchsrezeptoren – kann Nosi Gerüche dennoch bereits sehr treffsicher erkennen und voneinander unterscheiden, sagt Aspermair. Bei Bedarf könnten auch mehr Sensoren eingesetzt werden.

Außergewöhnliche Use Cases

Zuerst wolle man sich auf einfache Use Cases beschränken und nicht gleich in die Championsleague – die Krankheitserkennung per Geruch – einsteigen. Die Gründe für diese Fokuswechsel seien pragmatisch, sagt Gründer Aspermair. „Es ist einfacher, jemanden zu fragen, ob er als eine Geruchsprobe schnell mal ein paar Schuhe aus dem Kasten holen könnte, als zu sagen, man brauche mindestens 100 Patienten, um eine künstliche Nase zu testen.“

Gemeinsam mit der Co-Gründerin Klara Brandstätter haben Aspermair und Bittinger nun eine Geschäftsstrategie für die Geruchssensoren erarbeitet. Im Talon hat man vielfältige Anwendungsbeispiele, die auf den ersten Blick ungewöhnlich wirken. „Wir haben uns die nicht nur ausgedacht“, sagt Aspermair. „Viele Fragestellungen wurden an uns herangetragen.

Zum Beispiel die Frage, ob man in der Pflege Urin von Schweiß differenzieren könnte, um zu entscheiden, ob Pflegekräfte bei Bettlägrigen aktiv werden müssen oder nicht, oder ob man einen bestimmten Geruch von Pilzen herausfiltern könnte, um in Pilzkulturen frühzeitig vor Schädlingen gewarnt zu werden. Potenzial hätte die künstliche Nase auch in der Lebensmittelindustrie. Denn am Geruch von Teiglingen, Hefekulturen oder Fermentierungsprozessen kann abgelesen werden, ob sich Reifungs- oder Gärungsprozesse noch im grünen Bereich entwickeln oder nicht. Vorstellbar wäre auch der Einsatz im Brandschutz. Denn anhand des Rauchs ließe sich in vielen Fällen die Brandquelle eruieren, und zwar schneller, als der Brandmelder anschlägt. Alle diese Anwendungsfälle könnten – früher oder später – für die Vermarktung der künstlichen Nase interessant werden.

Bettwanzen-Erkennung als Geschäftsmodell

Besonders interessant erscheint derzeit der Einsatz einer künstlichen Nase bei der Erkennung von Bettwanzen-Befall. Auch das ist ein auf den ersten Blick eher ungewöhnlicher Use Case, doch die kleinen Blutsauger sind wegen erhöhter Reisetätigkeit mittlerweile zu einem weitverbreiteten Problem geworden. Jeder fünfte Haushalt in den USA ist jährlich mindestens einmal davon betroffen, zeigen die Statistiken internationaler Kammerjäger. Vor allem für Beherbergungsbetriebe stellt das ein Problem dar. Ist erst einmal ein Zimmer befallen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sich die Wanzen über das ganze Stockwerk/Haus ausbreiten.

180.000 Euro kostet ein 200-Bettenhotel dann eine Bettwanzen-Befreiung. Um dem zuvorzukommen, könnte Nosi eingesetzt werden. Den „süßlich-ekligen“ Pheromongeruch von Bettwanzen kann Nosi mit einer 99,9-prozentigen Wahrscheinlichkeit bereits erkennen. Das Nosi-Team hat das System erfolgreich darauf trainiert. „Ab vier Bettwanzen schlagen die Sensoren an“, sagt Apsermair. Damit kann die künstliche Nase mit jedem Wanzen-Spürhund mithalten, die speziell darauf trainiert sind, von Kammerjägern bei der Wanzenjagd eingesetzt zu werden. „Der Vorteil unserer künstlichen Nasen“, so Aspermair: „Sie ermüden nicht.“

Enormes Marktpotenzial

Im Prinzip kann Nosi auf jeden Geruch trainiert und das Geruchsmuster dann zehntausendfach auf Platinen kopiert und in verschiedensten Umgebungen eingesetzt werden. Weil Nosi im Betrieb wenig Strom benötigt, funktioniert das System mit Indoor-Photovoltaik und ist zudem kompatibel mit der Welt von „Internet of things“ (IoT), was den Sensor leicht in Netzwerke integrierbar macht.

So könnte etwa jedes Hotelbett mit einem Sensor ausgestattet werden, der auf Bettwanzen-Geruch reagiert und die Ergebnisse in eine Zentrale überträgt. Erste Anwendungen sollen ab 2025 passieren. Interessant ist die Geruchssensorik auf jeden Fall. Weltweit ist der Mitbewerb derzeit noch überschaubar. „Erst wenige Gruppen sind bereits ähnlich weit wie wir“, sagt Aspermair. Der Markt für die Geruchserkennung ist aber groß. Das Marktvolumen wird auf 2,7 Milliarden Euro geschätzt. Wie man diesen erobern könnte, darüber wird noch sehr offen nachgedacht. „Auch Kooperationen mit dem Mitbewerb wären möglich“, sagt Aspermair. Würden etwa mehrere unterschiedliche Geruchserkennungsmodelle parallel in einem Gerät eingesetzt werden, könnte das die Genauigkeit noch beträchtlich steigern. Damit würde auch der Einsatz in Bereichen interessant werden, wo es stark um Sicherheitsfragen geht – etwa bei der Sprengstofferkennung und beim Einsatz in kritischer Infrastruktur. Man darf also gespannt sein.

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