4/2023 Forschung
© Daniel Hawelka
© Daniel Hawelka

Smarte, grüne Städte

Die Aspern Smart City Research betreibt in der Seestadt in Wien Europas größtes Energieforschungsprojekt. In Sachen Technologie ist die Seestadt ein Musterprojekt, aber auch ein Stadtentwicklungsgebiet mit viel Beton, Asphalt und Hitzeinseln, die nun entschärft werden. Die „smarte“ Forschung zeigt Erfolge.

von: Alfred Bankhamer

Verdichteter Wohnbau, genug Flächen zur Erholung, möglichst nachhaltige Bauweise und smarte Infrastruktur. Neue Stadtentwicklungsgebiete sollen all dies erfüllen. Einiges wurde bei älteren Planungen, wie der Seestadt Aspern, deren Ursprünge im Jahr 2003 liegen, vielleicht zu wenig bedacht. Etwa die zunehmende Hitze oder das Thema Bodenversiegelung durch Asphalt und Co.

Die Umsetzung des vom schwedischen Ausschreibungssieger Tovatt Architects & Planners erstellten Masterplans wurde 2007 vom Wiener Gemeinderat beschlossen. Nach einigen weiteren Planungsergänzungen erfolgte die erste Bauphase von 2009 bis 2017 inklusive des F&E-Parks und des Innovationsquartier. Nach dem U-Bahn-Anschluss im Oktober 2013 zogen 2014 die ersten Bewohner*innen ein.

Langsame Begrünung

Einge der ersten Generation an Bewohner*innen hatte sich das Musterprojekt mit See und immerhin 1.200 Bäumen wohl etwas anders vorgestellt als in den Verkaufsfoldern präsentiert. Bäume müssen viele Jahre wachsen, bis sie Grün und den kühlenden Schatten spenden können und für ein grüneres Lebensgefühl sorgen. In den heißen Sommermonaten gab und gibt es deshalb regelmäßig Kritik wegen der drückenden Hitze. Die Seestadt ist trotz mancher Planungsfehler unbestritten ein Vorzeigeprojekt, mit dem ein altes Flugfeld und Industrieareal in einen künftig ziemlich begrünten Stadtteil verwandelt wird.

Die etwas abgelegene Lage wird durch die gute öffentliche Verkehrsanbindung mit U- und S-Bahn ausgeglichen. Das kulturelle Leben entwickelt sich langsam. Die Seestadt ist auch erst am Beginn. 2028 soll das Projekt auf einem Areal von rund 240 Hektar abgeschlossen sein und bis 2030 rund 25.000 Menschen einen Wohnplatz und 20.000 einen Arbeitsplatz verschaffen. Die Seestadt ist ein lebendiges Projekt, das öfter auch Beteiligungsmöglichkeiten für die Bewohner*innen bietet. So wurde wegen der unerträglichen Hitze an manchen Plätzen im Vorjahr eine „Begrünungsoffensive“ für die Seestadt von der Stadt Wien gestartet, um Hitzeinseln zu entschärfen. Die Diskussionen über grundsätzliche Planungsfehler reißen freilich nicht ab. Mittlerweile haben sich auch Initiativen wie etwa „seeSTADTGRÜN“ gegründet, ein gemeinnütziger Verein, der Straßen und den öffentlichen Raum begrünt. Schon 2.410 Pflanzen wurden gesetzt und die Stadt Wien dazu bewogen, einige hundert Quadratmeter Asphalt zu entsiegeln.

Spielwiese für die Forschung

Zugleich ist die Seestadt eine gefundene Spielweise für die Forschung. Die Aspern Smart City Research (ASCR), Europas größtes Energieforschungsprojekt, betreibt hier seit 2013 Anwendungsforschung. Die Forschungsgesellschaft ist ein Joint Venture von Siemens Österreich, Wien Energie, Wiener Netze und der Stadt Wien (Wirtschaftagentur Wien, Wien 3420 Holding) mit über 100 Forschenden. Hier können Nutzerverhalten, Energieverbräuche und Co. beobachtet werden. Die großen Datenmengen ermöglichen, Gebäude, Energiesysteme und Infrastruktur zu optimieren. Es geht um einen allumfassenden Smart City-Ansatz. Gebäude sind Energieverbraucher als auch Energieerzeuger.

Mikronetze, smarte Ladestationen und Co. bilden dank intelligenter Stromnetze hocheffiziente Gesamtsysteme. Alles kommuniziert miteinander, sorgt für mehr Effizienz und so auch für mehr Nachhaltigkeit. Alle Gebäude werden von der ersten Planungsphase über den Betrieb bis zu einer möglichen Neunutzung oder Abriss mittels Building Information Modelling (BIM) erfasst und digitale Gebäudezwillinge sorgen für höchste Effizienz. Auch im Bereich Wärme gibt es einige spannende Projekte, wie etwa die Nutzung von Garagenluft zur Beheizung von 213 Wohneinheiten.

Smart Charging und Prosumer

Ein anderer wichtiger Forschungsbereich nennt sich „Smart Charging“. Dank einer intelligenten, mit dem Stromnetz, den Autos, lokalen Energieproduzenten und Energiemärkten voll vernetzten Ladeinfrastruktur sollen E-Mobilist*innen als auch Produzenten und Netzbetreiber dank gezielter Lade- und Entladestrategie möglichst umweltfreundlich und netzdienlich sein. So lassen sich etwa Autobatterien zur Spitzenabdeckung oder in Zeiten geringer Sonneneinstrahlung und wenig Wind als Kurzzeitversorger nutzen. Zugleich können Elektrofahrzeugbesitzer*innen möglichst günstig Strom zum Tanken einkaufen und gerade überschüssigen Strom gewinnbringend verkaufen.

Ähnlich funktioniert dies auch für Haushalte, die etwa eine PV-Anlage mit einem Batteriespeicher besitzen. Die Welt der „Prosumer“, also Konsument*innen, die auch produzieren, startet gerade. All dies läuft vollautomatisch im Hintergrund ab. Der Mensch muss sich also nicht etwa darum kümmern, ob er gerade mit seiner Batterie hilft, das Netz zu stabilisieren. Die durchgängige digitale Vernetzung ermöglich dies. Die intelligente Lade- und Regelungsinfrastruktur im Seehub in der ASCR kennt zu jeder Zeit die aktuellen Daten etwa von der Stromerzeugung lokaler PV-Anlagen oder der Auslastung des Stromnetzes. Wenn Überschuss da ist, werden die Autos stärker geladen, wenn ein Energiemangel im Netz herrscht, können die Batterien der Autos zur Netzstabilisierung genutzt werden. Da- durch kann etwa das Anfahren kalorischer Gaskraftwerke vermieden werden.

Neue App

Wichtig bei all diesen Entwicklungen ist auch eine benutzerfreundliche, übersichtliche und möglichst einfach zu bedienende Schnittstelle zu den Anwender*innen. Dazu hat das Forschungsteam rund um Michael Schuff von Smart Charging eine neue App eingeführt, die alle relevanten Smart-Charging-Parameter berücksichtigt. Zahlreiche Testpersonen sind in diesem Projekt schon involviert. Forschungsergebnisse ergaben, dass das Laden zunächst meist mit geringerer Leistung beginnt und später auf eine höhere Leistung angehoben wird. Solche Erkenntnisse helfen, Ladevorgänge gezielt zu planen. Im Zentrum steht dabei ein „Distributed Energy Optimization“-System, eine cloudbasierte Software zur effektiven Verwaltung verteilter Energieressourcen.

Über Wien hinaus

Das Smart Charging-Projekt hat im Dezember 2022 auch in Wieselburg in Niederösterreich Fuß gefasst. Christian Oberbauer vom Forschungsunternehmen BEST – Bioenergy and Sustainable Technologies, der im Bereich „Mikronetze und smarte Energiesysteme“ forscht, koordiniert unter anderem die Integration von Ladeinfrastruktur im „Microgrid Forschungslabor für 100 % dezentrale und erneuerbare Energieversorgung“ am Standort Wieselburg in Zusammenarbeit mit Wien Energie. Im Rahmen des Projektes werden auch eine neue Schnellladestation erprobt und Parkplatzsensoren getestet. Die ASCR hat aber beispielsweise auch einen Hybridregler entwickelt, der Österreichs größtes Hybridkraftwerk in Trumau mit zahlreichen PV- und Windkraftwerken regelt. Das System versorgt 17.400 Haushalte.

Zahlreiche Projekte

Die ASCR testet aktuell in 17 Anwendungsfällen in der Seestadt, was demnächst in der Smart City Wien und darüber hinaus umgesetzt werden kann. In Summe konnten schon über 60 Forschungsfragen beantwortet, 15 prototypische Lösungen in den Bereichen intelligente Gebäude und Netzinfrastruktur entwickelt und 11 Patente angemeldet werden. Im Zentrum steht die Frage, wie sich städtische Gebäude mithilfe vor allem lokal erzeugter und zwischengespeicherter erneuerbarer Energie effizient und klimafreundlich betreiben lassen. Das smarte Stromnetz so- wie Microgirds sorgen dafür, dass die Ener- gie optimal über Gebäude, Produktionen und Co. verteilt wird. Am Forschungsprojekt sind 111 Haushalte beteiligt.

Weitere Informationen unter ascr.at

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