In einem der letzten Berichte des Club of Rome wird auf die Bedeutung einer Neuen Aufklärung nach 50 Jahren „Grenzen des Wachstums“ für unsere Welt hingewiesen. Die wissenschaftliche Aussage ist klar: Die Welt steuert auf eine soziale Transformation in Richtung einer globalen Nachhaltigkeit zu. Auch in Sachen Klimaschutz wird neben einer neuen Außenpolitik und einer neuen Ökonomie ebenfalls eine Neue Aufklärung erforderlich sein. Der Menschheit einzige Chance, im 21. Jahrhundert zu pros-perieren, liegt darin, dies im Rahmen der planetaren Grenzen zu tun. Aus diesem Grund hat sich ein Arbeitskreis des Austrian Chapters des Club of Rome in Wien mit der aktuellen Thematik eines „Neuen Aufklärungsdenkens“ für unsere Gesellschaft auseinandergesetzt.
Neue gesellschaftliche Anforderungen
Immer mehr Menschen unserer Zeit stellen die Lebensformen der modernen Kultur, den Staat, die Wirtschaft und die Wissenschaft, wie sie sich seit der historischen Aufklärung des 18. Jahrhunderts herausgebildet haben, radikal in Frage. So werden gerade in den Kernländern der europäischen Kultur Strömungen stärker, die den Rechts- und Verfassungsstaat der Neuzeit, die auf Privateigentum gegründete soziale Marktwirtschaft und die modernen Wissenschaften mit ihren rationalen Problemlösungen überwinden wollen. Ein stärker irrationales Zeitalter soll dem menschlichen Glücksverlangen und einem guten Leben besser entsprechen als die westliche Moderne mit ihrem starken Hang zur Rationalität. Für nicht wenige Menschen unserer Zeit ist das Produkt aus neuzeitlichem Aufklärungsoptimismus, wissenschaftlich-technischem Fortschritt und Machbarkeitsüberzeugung in eine Art Endzeit geraten. Eine Neue Aufklärung kann aber trotz der Kritik am neuzeitlichen Rationalismus das bisher unvollendete Projekt der Moderne sinnvoll weiterführen und Fehlentwicklungen aus Vernunftgründen korrigieren. Dazu ist es allerdings notwendig, sich an die fundamentale Bedeutung der Ideen der historischen Aufklärung zu erinnern, wobei im neuen Aufklärungsdenken neben der Rationalität auch die Urteilskraft der Gefühle nicht vergessen werden darf.
Neue Aufklärung
Die Neue Aufklärung entwickelt die unverzichtbaren Grundlagen der historischen Aufklärung kritisch weiter, wie das Selbstdenken, das die Möglichkeiten prüft, wie wissenschaftliche Erkenntnisse und verantwortungsvolles ethisches Handeln zusammengedacht und praktiziert werden können. Die historische Aufklärung hat aufgrund einseitiger Auslegungen, eines extrem egozentrischen Individualismus und durch die politischen Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts das Emanzipationsprojekt der Aufklärung gehemmt und zum Teil sogar pervertiert. Gewiss hat sie aber auch bei der Herausbildung der modernen Gesellschaft Erfolge erzielt, wie beim kritischen Aufklärungsdenken, bei der Beachtung der Menschenwürde, Menschenrechte und Menschenpflichten und bei der Verbreitung der Ethik, Humanität und Toleranz. Bei der Neuen Aufklärung geht es vor allem darum, an der Notwendigkeit einer vernünftigen Emanzipation der Menschen weiterzuarbeiten, zumal heute die Sicherung dessen unverzichtbar ist, was man mit dem vernünftigen Gehalt der gesellschaftlich-kulturellen Moderne bezeichnet, die sich gegen Irrationalismus, Irrtümer, Vorurteile, Fundamentalismus, Fake News und Verschwörungstheorien wendet. Neues Aufklärungsdenken, das der Club of Rome fordert, versteht sich als Emanzipation, kritisches Vernunftdenken und Befreiung von überlieferten, die Erkenntnisse einschränkenden Traditionen.
Humane Globalisierung
Richtig – im Sinne der Neuen Aufklärung – verstandene Ökonomie kann heute nur im größeren Rahmen der Kultur gesehen werden. Humanismus und Kapitalismus scheinen sich auf den ersten Blick unversöhnlich gegenüberzustehen. Während der Humanismus auf ethischen Werten aufbaut, die den Menschen in seiner Würde und Ganzheit und als soziales Wesen betrachten, steht im Kapitalismus die Mehrung des wirtschaftlichen Wertes im Zentrum, wobei der Mensch hier auf die Maximierung des eigenen Nutzens reduziert wird. Die neue Aufklärung fordert dagegen: Nur wenn die Werte unserer Kultur in der Welt der Globalisierung stärker verankert werden, kann eine bessere und humanere Zukunft der Gesellschaft erwartet werden.
Bedrohte Demokratie
Der selbstbestimmte Mensch ist für das Verständnis und das Funktionieren einer liberalen Demokratie unverzichtbar. Die Demokratie verlangt Menschen, die bereit sind, in einer Vielfalt von Haltungen und Meinungen Position zu beziehen. In internationalen Untersuchungen wird immer mehr hervorgehoben, dass ein weltweiter Rückgang demokratischer Systeme stattfindet. Die Systemkonkurrenz zwischen Demokratie und Autokratie nimmt zu. Beispiele zeigen, dass Autokratien durchaus bereit sind, ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen. China und Russland sind Partner einer strategischen Kooperation geworden. Angesichts dieser Entwicklungen gewinnt die Frage der Zukunft der Demokratie eine existenzielle Bedeutung. Mehr denn je ist eine aufgeklärte Haltung der Bürgerschaft in politischen Fragen notwendig. Regierungen und politische Parteien sind aufzufordern, die entscheidenden Probleme unserer Gegenwart zu artikulieren und Antworten auf die dringenden Fragen zu geben, die in einer öffentlichen Diskussion zu behandeln sind. Der Historiker Philipp Blom hat in seiner Eröffnungsrede zu den Salzburger Festspielen im Juli 2018 unter dem Titel „Wir sind alle Kinder der Aufklärung“ gemeint: „Die Aufklärung ist der Versuch, das kritische Denken und den Respekt vor Fakten höher zu achten als Meinungen, Vorurteile, Gefühle, Traditionen oder Dogmen.“
Neue Bewusstseinsbildung
Eine Neue Aufklärung muss zu einer neuen Bewusstseinsbildung führen, die Menschen für das Politische öffnet. Sie ist eine Gegenbewegung zur Realität der politischen Kommunikation und der Versuch, der politischen Kultur eine neue Sensibilität und Dynamik zu verleihen. In vielen Staaten ist der öffentliche Diskurs zu einer Arena einer vorherrschenden Banalität und tiefgreifender Manipulationsversuche geworden. Fake News, Lügen und manipulierte Informationen verwirren die Menschen und lassen sie die Vorgänge in Politik und Staat kaum mehr verstehen. Eine weitgehend populistische Politik bestärkt die Tendenz, das kritische Denken durch vereinfachende und oberflächliche Denkweisen zu ersetzen. Der Populismus gaukelt den Wählerinnen und Wählern die Möglichkeit von einfachen Lösungen vor. Politik lebt von Vereinfachungen. Kompromisse sind unerwünscht oder werden immer schwieriger.
Widerstand gegen Machtpolitik
Aufklärerisches Denken muss daher den Widerstand gegen eine Politik unterstützen, die die Wahrheit zum Spielball machtpolitischer Interessen macht. Eine besondere Verantwortung kommt den Medien zu. Sie haben die Aufgabe, Verunsicherungen in der Gesellschaft entgegenzuwirken. Sie haben eine Diskussionskultur zu gewährleisten, dass trotz aller verschiedenen Meinungen der gemeinsame Boden für Begegnungen mit verständnisvollen Menschen erhalten bleibt. Und die schweigende Masse in der Demokratie zum Aktionismus motiviert wird.
Die klassische Aufklärung war eine geistige und gesellschaftliche Reformbewegung, die die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ändern wollte. Die Neue Aufklärung beschränkt nicht auf theoretische Beiträge für einen politischen Diskussionsprozess, sondern will in Politikfelder hineinwirken und damit auch praktische Auswirkungen erzielen. Eine Kernzone staatlicher Politik ist die Bildungspolitik. Sie hat nicht nur die Vermittlung von grundlegenden Kulturtechniken und Kompetenzen zum Ziel. Menschen sollen selbstbestimmte und kritische Mitglieder einer Gesellschaft werden. Daher kann die Bildung nicht nur als Wert für eine Gruppe angesehen werden, die am Bildungsprozess als Akteure teilnehmen.
Bildungsbereich gefordert
Eine besondere Verantwortung kommt den Universitäten im Bildungsbereich zu. Im Dezember 2018 haben zehn europäische Rektorenkonferenzen auf Einladung Österreichs eine „Wiener Erklärung – Universitäten im Zeichen der Aufklärung“ unterschrieben. Sie wollen nicht nur als Diskussionsforum zwischen den Universitäten fungieren, sondern auch ein Dialogangebot an die Gesellschaft machen. Sie plädieren für eine Politik, die Errungenschaften der Wissenschaft verteidigt und deren Entscheidungen bestmöglich auf wissenschaftlicher Evidenz begründet.
Es ist eine vorrangige bildungspolitische Herausforderung, die Universitäten bei allen Versuchen zu unterstützen, den Gedanken der Aufklärung in den Mittelpunkt wissenschaftspolitischer Bemühungen zu stellen. Österreich benötigt eine Bildungsreform, die sich in besonderem Maße an den Vorstellungen einer Neuen Aufklärung orientiert.
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