Die Zeiger der Weltklima-Uhr stehen auf Punkt zwölf. So lautet die Conclusio des neuen und sechsten IPCC-Syntheseberichts, der vor wenigen Wochen präsentiert wurde. 93 Wissenschaftler*innen betonen darin, dass die Erderwärmung „jetzt oder nie“ auf 1,5 Grad begrenzt werden müsse. Aus dem Bericht geht hervor, dass die Kohlenstoffemissionen in den Jahren 2010-2019 so hoch waren wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Schon 2018 machte der IPCC deutlich, dass enorme Anstrengungen vonnöten seien, um das 1,5-Grad-Ziel noch erreichen zu können. Heute sei die Herausforderung immens: Es bleibe keine Zeit mehr und man müsse sofort handeln, so die Wissenschaftler*innen. Die globale Oberflächentemperatur lag im letzten Jahrzehnt rund 1,1 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau, mit weiter steigender Tendenz. Findet hier nicht ein sofortiges weltweites Umdenken und entschlossenes Handeln statt, werde die Erde sich bereits in den 2030er-Jahren um 1,5 Grad Celsius erwärmt haben.
Mahnende Worte
Besonders drastische Worte dazu fand UN-Generalsekretär António Guterres, der den Bericht einen „Atlas des menschlichen Leids“ und „eine vernichtende Anklage gegen die verfehlte Klimapolitik“ nannte. Wenn nicht bald Maßnahmen ergriffen würden, werden einige Großstädte unter Wasser stehen, sagte Guterres in einer Videobotschaft, der auch „beispiellose Hitzewellen, schreckliche Stürme, weit verbreitete Wasserknappheit und das Aussterben von einer Million Pflanzen- und Tierarten“ prognostizierte. Der Bericht sieht aber auch einen letzten Hoffnungsschimmer. Um eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen zu ermöglichen, seien sofortige und drastische Minderungen der Treibhausgasemissionen notwendig, so die Wissenschaftler*innen. Global müssten die Emissionen ihren Scheitelpunkt schon im nächsten Jahr erreichen und bereits bis 2030 im Vergleich zum heutigen Niveau fast halbiert werden, also in nur sieben Jahren. Die CO2-Emissionen müssen bis 2050 dann auf Netto-Null sinken.
Mehr Einsatz für den Klimaschutz
Der Krieg in der Ukraine und die Energiekrise sowie der jüngste IPCC-Bericht mit Horrorszenarien zur Zukunft der Menschheit beschleunigen den Ausbau der Erneuerbaren in der EU, die zahlreiche Rechtsakte für eine schnelle Energiewende verabschiedet hat. Österreich ist in vielen Punkten noch säumig.
Fokus Energiewende auf EU-Ebene
Schon heute gibt es in jedem Sektor wirtschaftliche Maßnahmen und Optionen, um dies zu erreichen. Besonderen Fokus legt der IPCC-Bericht auf die Energiepolitik und die Möglichkeiten eines Umstiegs auf Erneuerbare Energiesysteme. Allein mit dem Ausbau von Wind- und Solarenergie sollen sich bis 2030 rund 8,5 Milliarden Tonnen CO2 einsparen lassen.
In der europäischen Union ist das Thema Energiewende und der Ausstieg aus fossilen Brennstoffen generell – auch mit Blick auf den Ukrainekrieg – hoch im Kurs. Zahlreiche Rechtsakte hat die Europäische Kommission in den letzten Monaten zum Ausbau und zur Beschleunigung der Erneuerbaren Energien auf den Weg gebracht oder arbeitet aktuell an ihrer Umsetzung. So trat beispielsweise Ende 2022 die EU-Notfallverordnung für Erneuerbare Energien für alle Mitgliedstaaten in Kraft, die kürzere Genehmigungsfristen und vereinfachte Verfahren umfasst. Mitte des Jahres soll auch die lange erwartete Renewable-Energy-Directive RED III beschlossen werden, die eine weitere Beschleunigung für Erneuerbare-Energie-Projekte mit sich bringen würde. Zusätzlich soll der Elektrizitätsmarkt im „Electricity Market Design“ überarbeitet, Beihilfen und Besteuerung neu geregelt werden. Mit viel Furore wurde zuletzt auch der Green Deal Industrial Plan als eines der ambitioniertesten Maßnahmenbündel der letzten Jahre für die Dekarbonisierung der europäischen Industrie präsentiert; als Reaktion auf ähnliche Programme in den USA und in China. Die Initiative soll Investitionen in Produktionskapazitäten für Technologien mit „Netto-Null-Emissionen“ in Europa fördern. Im Fokus stehen Hersteller von Windturbinen, Solarzellen, Batterien und aus der Wasserstoff-Branche.
Magere Bilanzen für Österreich
Ob die zahlreichen EU-Initiativen die Energiewende bei den Mitgliedstaaten auch tatsächlich auf den Boden bringen, bleibt abzuwarten. Österreich jedenfalls scheint in Sachen Erneuerbaren-Ausbau kein besonderer Musterschüler zu sein. Beim Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch fällt Österreich laut Eurostat im EU-Vergleich beispielsweise immer weiter zurück. Während der Anteil der Erneuerbaren am Gesamtenergieverbrauch in den letzten zehn Jahren im EU-Durchschnitt um 36,1 Prozent gestiegen ist, konnte Österreich seinen Anteil nur um 11,3 Prozent anheben. Beim Anteil am Stromverbrauch konnte Österreich in den letzten 30 Jahren sogar nur eine Steigerung von 3,2 Prozent bei den Erneuerbaren schaffen. „Es wird Zeit, dass Österreich wieder an die Energiepolitik der Mitte des vorigen Jahrhunderts andockt und sich offensiv mit dem Ausbau der Erneuerbaren Energien beschäftigt“, fordert etwa Stefan Moidl, Geschäftsführer der IG Windkraft.
Auch das Thema Treibhausgas-Emissionen wirft kein allzu gutes Licht auf Österreich, wie die aktuelle Treibhausgasbilanz des Umweltbundesamtes für das Jahr 2021 vorzeigt: Die Treibhausgas-Emissionen in Österreich sind von 2020 auf 2021 wieder um 4,9 % gestiegen und liegen bei 77,5 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent. Das bedeutet ein Plus von rund 3,6 Mio. Tonnen im Vergleich zum Jahr 2020. Nach dem Rückgang der Emissionen im Pandemiejahr 2020 kam es im Jahr 2021 in vielen Sektoren wieder zu deutlichen Zuwächsen. „Wenn wir Klimaneutralität und die europäischen Ziele noch erreichen wollen, müssen wir dringend intensive Maßnahmen ergreifen“, erklärt Günther Lichtblau, Klimaexperte des Umweltbundesamtes, der dabei die Ziele der EU „Effort-Sharing“-Entscheidung im Fit-for-55-Paket der EU anspricht, die bis 2030 zu erreichen sind. Österreich muss danach das ambitionierte Ziel von Minus 48 % Treibhausgas-Emissionen erreichen.
Ambitionierte Forschungsprojekte
In Österreich ist also in den kommenden Jahren noch ein weiter Weg zu gehen, beispielsweise ist auch ein neues Klimaschutzgesetz seit Jahren überfällig.
Einige innovative Projekte aber zeigen auch Lichtblicke auf – sogar im emissionsintensiven Bau- und Gebäudesektor. Ein Beispiel dazu ist das Forschungsprojekt „CarboRate“, welches das CO2-Aufnahmepotenzial von Beton durch Carbonatisierung untersucht. „Beim Rückbau und Brechen von altem Beton vergrößert sich die Oberfläche, dadurch kann mehr CO2 aus der Umgebungsluft aufgenommen und dauerhaft im Beton eingebunden werden“, erläutert Sebastian Spaun, Geschäftsführer des VÖZ (Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie). Die CO2-Aufnahmefähigkeit von Betonbruch ist dabei beachtlich und kann bis zu 41 Prozent des CO2, welches bei der Zementproduktion durch die Entsäuerung des Kalksteins entstanden ist, betragen. Doch auch wenn dieses einzigartige Projekt die besonders hohen Emissionen im Gebäudesektor etwas drosseln könnte – für die Klimaneutralität Österreichs im Jahr 2040 werden Einzelprojekte wie dieses nicht ausreichen.
Weitere Informationen unter
ipcc.ch/reports
energy.ec.europa.eu/index_de
umweltbundesamt.at
voez.at
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