GASTKOMMENTAR
Es ist eine der nervtötendsten Phasen, wenn die heranwachsenden Kinder beginnen, Fragen zu stellen. Nicht nur solche, die ohne weiteres beantwortet werden können. Die Krux beginnt dann, wenn etwa die Frage auftaucht: „Woher weiß die Seife, wo der Schmutz ist?“ Hat man diese Zeit hinter sich – und dabei sicher des öfteren gemogelt –, dann werden in der Schullaufbahn Antworten gegeben. Es scheint, als müsse man nur ein gescheites Lexikon aufschlagen, und alle Fragen lösen sich in Luft auf. Heute „googelt“ man sich durchs Leben. Es gibt keine Suche im Internet, die nicht mit zigtausend Lösungen beendet wird. Aber: Ob wahr oder falsch, da ist oft guter Rat teuer. Denn wir wollen doch wahre Antworten, solche, die uns schlüssig und richtig scheinen.
Wahr, falsch, wissen, glauben – alle diese Begriffe sind mehrdeutig und relativ. Ist es wahr, dass jeden Morgen die Sonne aufgeht? Stimmt das überall auf unserer Erde? Und im Weltraum? Sind wirklich alle Raben schwarz? Mit unseren Fragen haben wir uns nichts Gutes eingebrockt. Ist die eine Frage beantwortet, lauert schon die nächste und bringt wieder ein wenig Unsicherheit. Dabei wäre es doch so einfach, die Offenbarung einfach anzunehmen und keine weiteren Fragen mehr zu stellen. Viele Jahrhunderte hat man das auch so gemacht.
Wissenschaft als Mittel zum Zweck
Bis ins Mittelalter hinein stand der Glaube über dem Wissen. Dann wurde von der Scholastik die Parole ausgegeben und für richtig befunden, dass man auch wissen könne, um letztendlich zu glauben. Die Wissenschaft als Mittel zum Zweck. Die Zeit der Gottesbeweise war angebrochen. Und so haben sich die Menschen Theorien geschaffen. Die Erde war eine Scheibe, die Sonne drehte sich um die Erde, der hervorragende Mathematiker Pythagoras stellte die These auf, man solle „Bohnen meiden“, man verbrannte Hexen, und heute glauben wir, dass wir kurz vor der vollendeten Weltformel stehen, die uns alle Fragen beantwortet.
Natürlich hat man zu allen Zeiten gesagt, das sei gesichertes Wissen. Schließlich gab es ja entsprechende Erfahrungen: Die Schiffe wurden immer kleiner, je weiter sie sich vom Ufer entfernten. Würden sie noch weiter hinaus fahren, stürzen sie über den Scheibenrand der Erde.
Konstruktion Wirklichkeit
Der Glaube hat es in diesem Zusammenhang leichter. Seine Antworten sind unverrückbar. Das Theoriengebäude ist stimmig. Die 10 Gebote sind rigide Anleitungen, sind unumstößliche Antworten. Ein Fragenkatalog steht in keinem Katechismus. Über diese haben sich schon die Propheten den Kopf zerbrochen. Auch die Philosophen sind als Metaphysiker der Weisheit auf der Spur. Sokrates war ein Meister des Fragenstellens, sein Schüler Platon kam zur Erkenntnis, dass wir trotz aller Fragen nicht die wirklich richtigen Antworten finden können. Wir sehen nur die Schatten der Wirklichkeit, die Urformen des Seins blieben uns verborgen.
Und weil wir die Welt als Ganzes nicht erkennen und begreifen können, konstruieren wir uns die Wirklichkeit, sagt Heinz von Förster. Wenn unsere „gesponnene“ Wirklichkeit mit einer Erfahrung nicht übereinstimmt, dann ändern wir sie eben. So einfach ist das, meint Karl Popper. Eine Theorie gilt so lange als wahr, bis ihr Gegenteil bewiesen ist. Also ist alles relativ, zeitabhängig, von den Umständen geprägt. Besteht der Mensch nur aus „Hardware“, oder ist da noch etwas? Eine Seele, ein Geist, etwas Immaterielles? Oder finden wir eines Tages im Mikrokosmos eine Nanostruktur, die als Erklärung für Seele und Geist herhalten kann? Ist es wahr, dass Tiere und Frauen (zumindest einige Jahrhunderte lang laut dem Vatikan) keine Seele haben?
Was ist wahr?
Mimenschen lächeln bei diesem Gedanken. Heute wird nicht geglaubt,heute weiß man. Wirklich? Wahr ist für uns, was mit unseren Erfahrungen übereinstimmt. Wahr ist, was die Eltern sagen, der Lehrer, das Gesetz. Bei der wahren Liebe kommt schon Skepsis auf, schließlich meinen viele, sie bestehe in Wirklichkeit nur als Hoffnung.
Wahr ist für die Wissenschaft, was sich wägen, messen, im Labor und als Experiment wiederholen lasse und die gleichen Ergebnisse bringe. Aber eben nur so lange, bis das Gegenteil bewiesen ist.
Doch: Erst Fragen und Theorien bilden die Grundlagen für Antworten und neue Erkenntnisse. Und die sind wichtig, wenn nicht sogar überlebenswichtig in Zeiten wie diesen.
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