Altes Wissen für aktuelle Konflikte
An sich hätte das Fach zur Deutung und Lösung aktueller Konflikte auch im Ukraine-Krieg durchaus etwas beizutragen. „Themen, die heute diskutiert werden, haben wir auch schon in den 1980er Jahren diskutiert“, sagt etwa der Klagenfurter Friedenspädagoge Werner Wintersteiner. Genauso könne man etwa auf historische Lösungs- und Irrwege hinweisen, auf Wirkungen von Eskalation, Kriegs- und Hochrüstungslogik, beziehungsweise auf Möglichkeiten und Ansätze zur Deeskalation, vertrauensbildender Maßnahmen oder Formen des gewaltfreien Widerstandes. „In emotional aufgeheizten Konfliktsituationen werden rationale Lösungsansätze aber heute wie gestern gerne ausgeblendet.“
Tauben und Falken
Dabei ist die Friedens- und Konfliktforschung von ihren Ansätzen her nicht auf Gewaltfreiheit fixiert. Mitunter werden ihre großen Theorieschulen mit „Tauben“ und „Falken“ verglichen. Zu den Tauben zählen Friedensaktivisten aber auch „Idealisten“ für Freiheit und Demokratie, zu den Falken Militärs, auch Realisten genannt. Deren Motto: Die Welt ist schlecht. Man muss sich schützen. „Tauben wollen den Frieden“, sagt Wintersteiner, „aber verhandeln werden ihn die Falken.“ Dabei erscheinen oft die Falken vorsichtiger als die Tauben. „Sie können sich mitunter besser in die Kriegslogik des Gegners hineinversetzen.“
Kooperation mit Bundesheer
Sicherheitspolitische Konfliktforschung zählt auch zu den Aufgaben der österreichischen Landesverteidigung. Aber Lageeinschätzungen anhand theoretischer militärischer Strategiekonzepte oder die Diskussion von Fragen rund um Chancen und Risken von „gerechten Kriegen“ intereressiert eben auch zivile Friedens- und Konfliktforscher. Ob man selbst zum „Peacekeeper“ oder Mediator in Krisenregionen taugt, kann man bei den Peace Studies in Innsbruck gleich hautnah erleben. In Kooperation mit dem Bundesheer spielt man in einem einwöchigen Rollenspiel-Modul in der Wattener Lizum Friedenseinsätze durch. „Das kann durchaus stressen“, sagt Oberprantacher. „Studierende werden daher psychologisch betreut.“
Manchmal, so Oberprantacher, müsse man als Friedens- und Konfliktforscher (politische) Akteure auch mit der bitteren Einsicht konfrontieren, dass Konflikte – wenn überhaupt – nur in einen langsamen und oft jahrzehntelang dauernden Transformationsprozess gelöst werden können. Das könnte auch im Konflikt zwischen Russland und Ukraine der Fall sein.
Selbstkritisch müsse man sich aber auch fragen, ob die Friedensforschung vielleicht auch etwas übersehen habe, meint Wintersteiner: „Vielleicht haben wir zu viel auf Entwicklungen im Westen geschaut und Entwicklungen im Osten zu wenig Beachtung geschenkt.“ Dem pflichtet im Prinzip auch Heinz Gärntner bei. Der Krieg in der Ukraine wirft für die Friedensforscher jedenfalls eine Reihe neuer Forschungsfragen auf. Gärtner: „Vor allem in der Kriegsursachenforschung erwarten wir viel neue Forschungsaktivität.“