4/2023 Wirtschaft
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„China ist keine Tech-Supermacht“

Chinaspezialist Bernhard Seyringer analysiert in seinem Beitrag für Austria Innovativ die Stellung Chinas im Wettlauf um die KI-Vorherrschaft sowie dessen Fortschritte in den erforderlichen Technologiefeldern.

von: Bernhard Seyringer

Seit der Machtübernahme Xi Jinping‘s im Jahr 2012 entwickelt die chinesische Technologiebürokratie mit zunehmendem Enthusiasmus Strategieprogramme mit höchst ambitionierten Zielen. Eine fast unüberschaubare Flut an Grundsatzprogrammen, Strategiepapieren und Implementierungsplänen unterschiedlicher Ministerien und Behörden für sämtliche Technologiefelder wurde seither in Umlauf gebracht. Nach der Errichtung des „Nationalen Fonds zur Förderung der Halbleiterindustrie („Big Fund“) im Jahr 2014, der Smart Manufacturing Strategie „Made in China 2025“ im Jahr 2015 und in etwa einem Dutzend weiterer Programme wurde im Juli 2017 der „New Generation Artificial Intelligence Development Plan AIDP” mit dem unbescheidenen Ziel verabschiedet, China bis zum Jahr 2030 zur weltweit-führenden Nation im Bereich „Künstlicher Intelligenz” zu entwickeln.

Nationaler KI-Entwicklungsplan

Der AIDP ist der erste Nationale Entwicklungsplan für „Künstliche Intelligenz (KI)”, aber natürlich nicht der Beginn der KI-Forschung in China. Obwohl es bis 2017 nur ein auf KI spezialisiertes Forschungslabor an der Tsinghua-Universität in Peking gab. Der AIDP betont eine dreistufige Entwicklung für Chinas KI-Sektor: Bis 2020 sollte die internationale Wettbewerbsfähigkeit ausgebaut werden und ein Regulierungsrahmen für zentrale Bereiche der KI definiert werden. Bis 2025 will China in mindestens einem entscheidenden Bereich der Grundlagenforschung die weltweite Führung übernommen haben.

Bis 2030 schließlich soll China zum globalen Innovationszentrum für KI gereift sein, das führend in der internationalen Standard- und Normsetzung ist, und sich federführend den sich neu-aufkommenden Herausforderungen im Forschungsbereich KI stellt. Die Implementierung und Umsetzung wurde ganz nach westlichem Vorbild geplant. Erstens: die Regionalisierung. Seit Herbst 2018 haben 20 Provinzen und 16 Städte eigene KI-Förderkonzepte entwickelt.

Zweitens: die Gründung von „Industrieallianzen“. Eine netzwerkartige Interaktion zwischen Forschung, staatlicher Förderung und vorerst vier Leitunternehmen, den sogenannten „Nationalen Champions“ (ab August 2019 auf 15 ausgeweitet), die die industrielle Anwendungsorientierung der Forschungsergebnisse sicherstellen sollen.

Drittens: Es wurden vier neue Forschungsinstitute gegründet, die Beijing Academy of Artificial Intelligence (BAAI) im Jahr 2018 und im Jahr 2020 das Beijing Institute for General Artificial Intelligence (BIGAI), das Shanghai Artificial Intelligence Lab und die vom früheren Microsoft-Asia CEO Harry Shum geführte International Digital Economy Academy (IDEA).

Zwischenbilanz

Für eine Zwischenbilanz nach sechs Jahren AIDP sollten die offiziellen Zahlen zumindest kritisch betrachtet werden. Das Prinzip, dass es, sobald staatliche Förderprogramme in Aussicht gestellt werden, zur Gründung einer Unzahl von Unternehmen kommt, hat in den betreffenden Industriebereichen zu wenig innovativen Entwicklungen geführt. So soll zum Beispiel die Zahl der Halbleiter-Unternehmensgründungen zwischen Juni und Oktober 2022 auf mehr als 2.000 angestiegen sein. Auch in der KI-Industrie dürften die Zahlen deutlich überhöht sein: Die Nachrichtenagentur Xinhua nennt 4.040 Unternehmen.

Dem gegenüber steht, dass die chinesische Armee Lieferverträge mit 273 Unternehmen in diesem Sektor hat. Auch die Qualität konnte meist nicht überzeugen: Baidu’s Ernie Bot als ChatGPT-Herausforderer ist schnell und deutlich gescheitert. Die Performance von „Light Years Beyond“, mit dem unbescheidenen Anspruch, dass „OpenAI Chinas“ zu werden, das im Frühling 2023 gegründet wurde, lässt sich noch nicht beurteilen. Der Blick auf die einzelnen Bausteine eines Innovationssystems für KI, Open-Source Plattformen, Datenverfügbarkeit und Halbleiterbauelemente, ist daher unerlässlich.

KI-Open-Source-Software-Plattformen

Open-Source-Plattformen gelten als not- wendige Voraussetzung für unterschiedliche KI-Anwendungsgebiete. Neben den Plattformen der „Nationalen Champions” in ihren jeweiligen Anwendungsbereichen wurde vor allem auf die Open-Source Software von Baidu (PaddlePaddle) und Huawei (MindSpore) gesetzt. Die Zunahme an Anwendern, auch innerhalb Chinas, steigt nur sehr bescheiden. Mehr als 70 Prozent der Entwicklungen laufen immer noch auf den Softwaresystemen von Microsoft und Google.

Datenverfügbarkeit: „Maschinelles Lernen” braucht sehr große Datenmengen, damit Algorithmen „lernen“ können. Chinesische Unternehmen haben durch den geschlossenen Internet-Raum Probleme, an internationale Daten heranzukommen. Die „Digitale Seidenstrasse“ ist seit 2015 sehr erfolgreich darin, dieses Defizit auszugleichen. Unternehmen wie Alibaba Cloud oder Tencent Cloud haben mit diesem Hintergrund mehr als 200 Datencenter in 14 Staaten entwickelt.

Die Hardware und Achillesferse

Die Achillesferse in der KI-Industrie ist aber die dafür notwendigen, hochentwickelten Halbleiterbauelemente. Chinesische Unternehmen sind zwar mittlerweile in der Lage, den gesamten Produktionsprozess von Halbleiter-Chips abzudecken, sind aber nach wie vor vollständig von internationaler Technologie, Fertigungstechnik und von Patenten in allen Bereichen abhängig. Das zeigt sich am Beispiel HiSilicon: Die auf Chip-Design spezialisierte Huawei-Tochter ist zwar in der Lage, die modernsten Chips zu entwickeln, muss allerdings auf Design-Patente des britischen Unternehmens ARM zurückgreifen und bei TSMC in Taiwan produzieren lassen. Derartige Abhängigkeiten hätten durch den „Big Fund“ eigentlich überwunden werden sollen. Die Förderpolitik des „Fund“ konnte aber die nationalen Defizite nicht beheben.

Große Pläne, geringe Umsetzungskraft

Die gesamte Diskussion ist in einem verhängnisvollen Narrativ gefangen: Ja, natürlich hat China wettbewerbsfähige Unternehmen und in vielen Technologiebereichen enorme Fortschritte gemacht. Und die Debatte legt nahe, dass die unterschiedlichen bürokratischen Programmatiken die Innovation treiben. Das ist falsch. Alle industriepolitischen Strategien bleiben unendlich weit hinter den gesetzten Zielen zurück. Die Innovationen entstehen hauptsächlich im Rahmen von Forschungspartnerschaften an westlichen Universitäten.

Ein kurzer Reality-Check: Wann wird China in der Lage sein, die Chips am technologischen Letztstand „autarkistisch“ zu entwickeln? Wahrscheinlich nie. Wann die Fertigungsausrüstung zur Produktion von Chips? Wahrscheinlich nie. International wettbewerbsfähige Software zur Produktion von Chips oder auch nur andere Unternehmenssoftware? Wahrscheinlich nie. China ist keine Technologiesupermacht. Auch nicht im Bereich KI. Und sollte auch nicht so behandelt werden.

Lesen Sie den ungekürzten Artikel ab Seite 8 der aktuellen Ausgabe 4-23 oder am Austria Kiosk!


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