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Biodiversität und Skigebiet – kein Widerspruch

Es wird rege zu den Auswirkungen der Beschneiung in Tourismus-Regionen geforscht. Dabei werden ganz andere Folgen für Tiere und Landwirtschaft festgestellt als angenommen, wie Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Ulrike Pröbstl-Haider, Expertin für Landschaftsentwicklung, Erholung und Tourismus an der BOKU Wien, ausführt.

von: Thomas Schweighofer

Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Ulrike Pröbstl-Haider, renommierte Expertin für Landschaftsentwicklung, Erholung und Tourismus an der BOKU Wien, beschäftigt sich in ihrem kommenden Buch mit dem wissenschaftlichen Stand zur Causa „Technische Beschneiung und Umwelt“. Im Gespräch mit Austria Innovativ räumt sie mit Falschinformationen in der öffentlichen Diskussion auf und bricht eine Lanze für ein Miteinander von Skisport und Naturschutz.

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Austria Innovativ: Frau Prof. Pröbstl-Haider, zu welchen Ergebnissen kommen Sie in Ihrem neuen Buch?

Ulrike Pröbstl-Haider: Wir haben über 40 Studien ausgewertet, und ich denke, dass ich so ziemlich alles gelesen habe, was die Wissenschaft dazu geforscht hat. Die Forschungsschwerpunkte haben sich im Laufe der Jahre gewandelt. Früher beschäftigte man sich überwiegend mit den Auswirkungen auf das Thema Vegetation und schürte Ängste mit Aussagen wie: „Bis zu 40 % weniger Heuertrag auf zuvor beschneiten Pisten“.

Erst später rückten die Themen Tierwelt und Wasser in den Blickpunkt der Forschung. Nachdem die Veränderungen der Vegetation auch Zeit benötigen, war die erste Bilanz noch unausgewogen. Zudem hatte man Einflussfaktoren auf die Forschungsergebnisse – wie zum Beispiel der landwirtschaftlichen Düngung, dem Vergleich von Pistenflächen mit solchen von außerhalb, dem verwendeten Wasser etc. – zu wenig Beachtung geschenkt. Die Forschung der letzten Jahre konnte unter anderem beweisen, dass die technische Beschneiung auf sensiblen und wertvollen Trockenstandorten nicht die befürchteten Auswirkungen hat, weil – bei gleicher Bewirtschaftung – die Trockenheitswirkung in heißen Sommermonaten auch durch viel Wasser im Frühjahr nicht nennenswert beeinflusst wird.

Das Thema Wasser ist mehr in den Fokus gerückt …

Das Thema Wasserverfügbarkeit ist sehr wichtig geworden, weil man mittlerweile sehr schnell, innerhalb von zwei bis drei Tagen, ein Skigebiet technisch beschneien möchte. Dazu braucht es eine entsprechend große Menge an Wasser. Vor 20 Jahren waren Speicherseen noch selten, mittlerweile sind sie ebenfalls in den Fokus von Forschungsarbeiten gerückt. Speicherseen haben den „Konflikt“ mit dem Ökosystem „Gewässer“ entschärft, weil die Wasserentnahme aus einem Fluss oder aus natürlichen Gewässern entfällt. Allerdings sind solche Speicherseen aufgrund des Dichtungsmaterials am Grund große versiegelte Flächen.

Und wie steht es um die Tierwelt?

Da gab es früher viele Diskussionen hinsichtlich der Störung der Natur durch Lärmbänder aufgrund von langen Beschneiungszeiträumen, die sich über Wochen hinzogen. Die verbesserte Beschneiungstechnik, die Schneiteiche und die Praxis, eine Grundbeschneiung in wenigen Tagen herzustellen, haben dazu geführt, dass diese störökologischen Konflikte weitestgehend vom Tisch sind. Drei Tage mit Lärmbelastung sind weniger störend als unregelmäßige Muster über 30 Tage.

Noch eins: Niemand ist mehr wirtschaftlich an einer Saisonverlängerung interessiert, die dann in die sensiblen Balzzeiten von Vögeln hineinreichen würde. Wenn die Temperaturen zu steigen beginnen, möchten die Menschen in ihren -Gärten lieber Primeln pflanzen oder die erste Radtour starten. Das ist nur ein kleiner Streifzug im Bereich der Tierwelt – man könnte noch über die geringere Regenwurmaktivität unter Kunstschnee im Frühjahr berichten und die Betroffenheit anderer Bodenlebewesen (Anm.: schmunzelt) …

Welche Rückschlüsse oder Konsequenzen kann und muss die Branche aus all diesen Ergebnissen ziehen?

Das Image „beschneite Piste ist gleich ökologische Katastrophe“ stimmt einfach nicht, sondern kann bei abgestimmter Sommernutzung ein besonders vielfältiger Lebensraum sein. Die Arbeit der Umweltbeiräte in den Unternehmen Snow Space Salzburg und Schmittenhöhebahn in Zell am See zeigt, wie viel Artenvielfalt auf Pisten möglich ist. Die Kernmessage lautet, Biodiversitätsförderung und Skigebiet, das geht gut zusammen.

Um auf Ihre Frage zu antworten: Ich vertrete den Standpunkt, dass aufgrund der Doppelnutzung Skisport und Landwirtschaft auch etwas für die Natur herausschauen sollte. Die Natur gewinnt bereits, wenn Mulchen durch Mahd mit Abräumen des Schnittguts ersetzt wird, wenn auf Düngung in den höheren Lagen vollständig verzichtet wird und Mahd-Termine und Beweidung nicht zu früh beginnen. Eine artenreiche Pflanzengesellschaft bedeutet auch mehr Tiere, Vögel und Insekten. Über 40 Arten pro Quadratmeter sind auf artenreichen Skipisten möglich, bei einem Rasen im Garten sind es im Vergleich rund sieben Arten.

Die Saison verlagert sich etwas nach hinten, es gibt kürzere Perioden mit tieferen Temperaturen für effizientes Beschneien. Wie lange ist es in welchen Höhenlagen noch sinnvoll, die technische Beschneiung einzusetzen?

Das kann man pauschal überhaupt nicht beantworten! Ich habe mich immer wieder sehr über Aussagen geärgert, die – auf bestimmte Höhenlagen bezogen – Skigebieten und Regionen das „Aus“ erklärt haben. Klimaforscher wie Dr. Marc Olefs oder Prof. Dr. Herbert Formayer können es besser belegen, aber neben der Höhenlage spielen viele weitere Faktoren, wie etwa die geomorphologische Situation bei der Schneesicherheit bzw. die Entwicklung der Beschneiungszeiträume, eine Rolle. Dem ehemaligen Skigebiet Dammkar in Mittenwald in Bayern half seine Höhenlage nicht, weil es eine extreme Föhn-Exposition aufwies. Schladming im engen Ennstal in der Steiermark profitiert dagegen von der Kaltluft, die von beiden Seiten der Berge ins Tal strömt. Schnee zu produzieren, fällt hier im Tal leichter als am Berg. Daher ist die Entwicklung der Beschneiungszeiträume gebietsspezifisch zu betrachten.

Der Fehler ist die pauschale Beurteilung?

Genau, eine Pauschalisierung, die sich nur an Höhen orientiert, ist praxisfern. Notwendig ist es, die lokale Situation detailliert zu analysieren. In diese Richtung hilft den Skigebieten moderne technische Unterstützung, wie zum Beispiel das Produkt „Schneeprophet“. Dabei -simuliert die Software, basierend auf den aktuellsten Wetterprognosen, amtlichen Schneehöhen- und Wetterstationsmessungen sowie den lokalen Beschneiungsdaten aus dem Skigebiet, die Rahmenbedingungen für die Beschneiung in der Zukunft in detaillierter und hochaufgelöster Form. Vorteile für die Umwelt, das zeigt zum Beispiel die Anwendung im Skigebiet Snow Space Salzburg, entstehen durch eine wesentlich höhere Zielgenauigkeit der technischen Beschneiung, eine verbesserte Umweltverträglichkeit und einen reduzierten Ressourcenverbrauch. Das Skigebiet Lackenhof am Ötscher in Niederösterreich ist nicht aufgrund der Höhenlage in Schwierigkeiten geraten, sondern aus anderen Gründen, etwa der Struktur.

Struktur im Sinne fehlender hochwertiger Betten und einer passenden Gastronomie?

Das ist sicherlich ein wichtiger Aspekt, aber auch die Nähe zu Wien ist „schädlich“ für den Standort. Wenn ich von der Stadt in nur zwei Stunden im Skigebiet bin, brauche ich dort nicht zu nächtigen, sondern kann am Abend wieder nach Hause fahren. Gibt es keine gute Gastronomie vor Ort, nehme ich eine Wurstsemmel für die Jause mit. Anderswo ist man der Nähe zu Wien unterschiedlich begegnet und hat sich zum Beispiel als überschaubares Skigebiet für den osteuropäischen Markt einen Namen gemacht. Zusammengefasst: Die Höhenlage würde ich in der Gesamtbetrachtung relativ weit nach hinten schieben und vorher die anderen Rahmenbedingungen kritisch abklopfen.

Österreich hat 23.700 ha -Pistenfläche, 1.110 Seilbahnen, rund 50 Millionen Skier Days jährlich: Gibt es noch Potenzial nach oben oder ist das aus Ihrer Sicht schon zu viel?

Es kommt weniger auf die Menge von Skifahrenden an, sondern auf ihre Verteilung im Raum. Mich stört es, dass vielfach in den Medien die Gruppe der Skitouren- und Schneeschuhgeher:innen als die ökologischen und umweltverträglichen Sportler:innen dargestellt werden und jene, die mit der Seilbahn auf den Berg fahren und auf einer ausgewiesenen Skipiste ihrem Sport nachgehen, als böse Massentourist:innen hingestellt werden. Ich halte fest: Aus Umweltsicht ist das nicht so! Ein/e Skitourengeher:in „verbraucht“ umgerechnet 60-mal mehr Fläche als die/der Skifahrer:in auf der Piste, wenn es in Richtung Störökologie und Beeinträchtigung der Umwelt geht. An die Störbänder der Skipisten hat sich die Natur gewöhnt, an die individuellen Störbänder von Tourengeher:innen kann sie sich nicht gewöhnen. Wenn auf den bestehenden Pisten noch ein Plus erzielt werden kann, dabei keine Gefahren entstehen, die Menschen glücklich und zufrieden sind, dann bitte gerne.

Bei Veränderungsprozessen, wie wir es gerade mit dem Klimawandel erleben, wird gerne von neuen Chancen -gesprochen. Gibt es die für den Tourismus am Berg?

Ein wichtiger Weg, der derzeit gegangen wird, und das kann man an den Nächtigungszahlen sehen, ist die Stärkung des Sommertourismus und eine verbesserte ganzjährige Auslastung. Das Ziel, den Berg auch im Sommer vermehrt zu bespielen, funktioniert dank neuer Angebote und Ideen immer besser. Aber die Wertschöpfung pro Urlaubstag ist im Winter weiterhin deutlich höher. Ein Ganzjahrestourismus ist ein erstrebenswertes Ziel, aber alles, was im Winter wegfällt, bildet sich dann doch  kritisch ab.

Die Wertschöpfung in der warmen Jahreszeit zu erhöhen, ohne über die Masse an Gästen das System zu überlasten, ist nicht möglich?

Einfache Konzepte wie „Mountainbiken ist das neue Skifahren“ – das wird so nicht funktionieren, weil die Zielgruppen beim Radfahren vielfältiger sind und vor allem ältere Personen, die zwar noch Ski fahren, sich jedoch eine Mountainbiketour nicht vorstellen können. Das ist eine andere Schwierigkeit. Außerdem ist das Naturerleben beim Gleiten auf Schnee ganz anders im Vergleich zum Mountainbiken, wo es für eine sichere Fahrt viel Konzentration auf den direkten Weg vor einem braucht.

Wenn Sie ein Idealbild eines nachhaltigen Tourismus in den Bergen malen und der Begriff Nachhaltigkeit sich nicht nur auf die Ökologie bezieht, sondern auch die -soziale und ökonomische Komponente mitnimmt, wie könnte dieses Bild aussehen?

Covid-19 hat eines sehr klar aufgezeigt: Der Tourismus ist in vielen Bergtälern ein entscheidender Faktor, damit die lokale Versorgung – vom Friseur bis zum Zahnarzt – angeboten und aufrechterhalten werden kann. Eine nachhaltige Region ist für mich eine, in der die lokale Bevölkerung nicht nur von den Erholungseinrichtungen profitiert, sondern auch von zusätzlichen Dienstleistungsangeboten, Infrastruktur, Arbeitsplätzen. Ich wünsche mir, wenn aus der Nutzung der Landschaft und über den Skisport Geld generiert wird, dass ein Teil der Natur zugutekommt. In dem Sinne, dass die Biodiversität gefördert wird und Unternehmen in einen nachhaltigen Betrieb investieren, um Umwelt- und Klimaschutz zu fördern.

Danke für das Gespräch!

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