Die Digitalisierungswellen der letzten 10, 15 Jahren haben enorme Veränderungen mit sich gebracht. Dennoch stehen wir wohl erst am Anfang der Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung bietet. Wo sehen Sie in nächster Zeit die großen Treiber für die weitere Entwicklung?
Helmut Leopold: Die Digitalisierung bedeutet einerseits eine globale Vernetzung aller Geräte und Infrastrukturen, die unsere Umwelt ausmachen und andererseits einen stetigen Austausch von Daten zwischen all den technischen Dingen –wir sprechen auch vom Internet der Dinge – durch eine umfassende Verwendung von Softwaretechnologien. Dadurch werden neue Ansätze für die Verwendung der Technik ermöglicht, welche auch unser Verhalten gegenüber technischer Systemen grundlegend verändern werden.
Wir werden eine Produktivitätssteigerung in vielen unserer alltäglichen Prozesse erleben und immer mehr Routinearbeiten und Qualitätssicherung den Maschinen überlassen.
Dabei werden Maschinen eine gewisse Lernfähigkeit erhalten, um selbstständig Entscheidungen zu treffen und auch bestimmtes Verhalten im Voraus zu antizipieren – maschinelles Lernen bzw. künstliche Intelligenz sind die Schlagworte, die dieses neue Phänomen beschreiben.
Durch einfachsten Datenaustausch und leistungsfähigste IT-Systeme bekommen die sog. Peer-to-peer Konzepte eine völlig neue Bedeutung. Daten, Informationen und Werte der physikalischen Welt können sehr einfach und unverfälschbar ausgetauscht werde.Zentrale Kontrollsysteme verlieren dadurch ihre Bedeutung, wie aktuell die neue Blockchaintechnologie verdeutlicht, indem eine virtuelle Währung eine neue Dynamik in der Finanzwelt begründet.
Im Digital Safety & Security Department des AIT Austrian Institute of Technology werden zukunftsweisende Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) entwickelt, um kritische Infrastrukturen sicher und zuverlässig zu gestalten. In welchen Bereichen sind Sie besonders aktiv?
Helmut Leopold: Wir verfolgen drei Schwerpunkte in unserer Technologieentwicklung, die sich vor allemauf den Schutz von kritischen Infrastrukturen und industriellen Steuerungssystemen konzentrieren: spezielle Systemdesigns und neuartige Verfahren der Datenverschlüsselung in Cloud-Systemen für höchstmögliche Datensicherheit und den Schutz der Privatsphäre; ein neuartiges Immunsystem für technische Systeme in Form einer intelligenten und lernfähigen Software, die selbst die ausgefinkeltsten Cyber-Attacken erkennt; und schließlich fokussieren wir uns auf entsprechende Cyber Test- und Ausbildungsplattformen, um den Aufbau von speziellen Fähigkeiten für Entwickler und Betreiber von IT-Systemen zu unterstützen.
Digitalisierung geht einher mit Themen wie Datenschutz oder Security. Wie schaffen wir es, in einer offenen digitalen Welt zu leben, ohne unsere Privatsphäre zu verlieren?
Helmut Leopold: Diese Problematik kann nicht nur durch technische Maßnahmen gelöst werden. Gesetzliche Rahmenbedingungen, festgesetzte Standards und Benutzungsregeln der Gesellschaft müssen in gleichem Masse entwickelt werden wie technische Systeme. Hierzu braucht es ein neues umfassendes Bewusstsein aller Entscheidungsträger und auch aller Kunden. Es muss allen klar werden, dass sichere Systeme nicht nur ein Kostenfaktor sind, sondern sogar eine Geschäftsmöglichkeit darstellen um sich von Billigprodukten zu unterscheiden; dies können spezielle technischen Systeme sein, oder spezielle IT-Dienstleistungen, die explizit darauf abzielen, die Privatsphäre oder private Daten vor globalem Zugriff zu schützen.
Viel ist derzeit die Rede von Industrie 4.0 und Robotik. Welchen Beitrag leisten Österreichs Forschende in diesem Kontext?
Helmut Leopold: In Österreich gibt es in verschiedensten Bereichen Spitzenforscher und Spitzenforscherinnen und auch global führendes Know-How. Durch die besondere Expertise am AIT besitzt Österreich im internationalen Kontext eine Technologieführerschaft im Bereich von Hochgeschwindigkeitsbildverarbeitung zur optischen Qualitätsprüfung im Produktionsbereich, als auch auf dem Gebiet optischer 3D Sensorik zur Steuerung von autonomen Systemen. Spezielle IT-Sicherheitskonzepte und höchst zuverlässige Software werden für diese Einsatzbereiche neue Maßstäbe setzen und auch dazu beitragen, dass österreichische Produkte durch Forschungsexpertise aus Österreich am globalen Markt wettbewerbsfähig bleiben. Besondere Forschungskompetenzen von internationalem Format sind Big-Data Science und die nächste Generation der Funktechnik 5G, welche höchste Zuverlässigkeit der Kommunikation zwischen technischen Sensoren ermöglicht.
Die weitere Digitalisierung führt zu einer immer höheren Abhängigkeit von technischen Systemen und zu einem höheren Risiko bei deren Verwendung. Wie lässt sich dieser Knoten lösen?
Helmut Leopold: Dieser Abhängigkeit wurde bisher von uns allen keine ausreichende Aufmerksamkeit geschenkt. Deshalb wurden dafür bisher weder Schutzmechanismen in ausreichender Form entwickelt, als auch spezielle Maßnahmen im Zuge von sowie nach Notfällen ausreichend genug vorbereitet. Es ist eine umfassende gemeinsame Forschungsanstrengung notwendig, um unsere technischen Systeme widerstandsfähiger gegenüber Ausfällen und feindlichen Zugriffen zu machen und wir müssen viel besser verstehen lernen, in welcher Weise unsere gesellschaftlichen Prozesse von einzelnen technischen Systemen abhängen, um geeignete Maßnahmen in einem ökonomischen Kontext zu setzen.
Bleibt die Frage: Was bedeutet die Digitalisierung letzten Endes für uns Menschen? Wie wird sie unsere Persönlichkeiten, unsere Gesellschaft und letzten Endes auch unser Zusammenleben verändern?
Helmut Leopold: Es ist wichtig zu verstehen, dass nicht nur wir uns als Gesellschaft durch die Technik verändern, sondern es auch in unserer Macht liegt, die Technik so zu gestalten, dass diese für uns nutzenstiftend ist. Viele sehr einfache Routinetätigkeiten werden mehr und mehr Maschinen übernehmen. Menschen können sich zukünftig auf die kreativen und wertschöpfenden und auch sozialen Tätigkeiten konzentrieren. Deshalb ist die Notwendigkeit der Bildung, als auch der Ausbildung eine noch viel wichtigere Grundlage für eine prosperierende Gesellschaft.
Danke für das Gespräch!