Wie können wir Grippe bekämpfen? Oder die Ausbreitung von Krankheitserregern, die durch die Luft übertragen werden? Die Coronapandemie hat uns deutlich vor Augen geführt, wie wichtig Hygienemaßnahmen sind, um Infektionsrisiken zu verringern. Gründliches Händewaschen, das Tragen von Masken oder das Stoßlüften von Innenräumen sollte die Ausbreitung des Covid-19-Virus eindämmen. Zusätzlich ermöglichten großflächiges Testen und zeitnahe Auswertungen, den Verlauf des Krankheitserregers zu überwachen. Dafür mussten wissenschaftliche Grundlagen und die gesellschaftliche Verantwortung Hand in Hand gehen.
Health-Literacy fördert Vertrauen in die Wissenschaft
Lösungswege in der Bevölkerung umzusetzen und komplexe Forschungsergebnisse an diese zu übermitteln, erfordert allerdings eine gewisse „Health-Literacy“, das heißt Gesundheitskompetenz. Sie beschreibt die Fähigkeit, Informationen zur Gesundheit zu finden, sie verstehen und anwenden zu können. Diese ist nötig, um beispielsweise Fachbegriffe wie DNA, mRNA-Impfstoffe, PCR und Antigentests zu verstehen, die das Vokabular der Coronazeit prägten. Doch wie hoch ist der Anteil der Menschen, die sich damit auseinandersetzten, und wie erfolgreich können solche Kompetenzen vermittelt werden? Skepsis und mangelndes Vertrauen in naturwissenschaftliche Forschung waren in der Pandemiezeit spürbar.
Aus dieser angespannten Lage heraus ist das vom Virologen Andreas Bergthaler und von der Evolutionärbiologin Orsolya Bajer-Molnár konzipierte Citizen-Science-Projekt „Virus Surveillance in der Luft mit Schüler:innen“ entstanden. Gemeinsam mit Jugendlichen sollen in dem Projekt Krankheitserreger, die sich über die Luft ausbreiten, in Schulen überwacht werden. Dabei sind alle Teilnehmenden vom Design des Projekts bis zur Durchführung und Dokumentation der Experimente aktiv involviert. Das Projekt zeichnet sich auch dadurch aus, dass mit Sozialepidemiolog:innen und Soziolog:innen weitere Fachleute eingebunden sind. Gemeinsam mit den Schüler:innen wollen sie soziale Faktoren identifizieren, die die Übertragung von Infektionserregern begünstigen.
Jugendliche als Beprobende und Forschende zugleich
Gefördert wird das Vorhaben vom Wissenschaftsfonds FWF und rund 50 Oberstufenschüler:innen aus sechs österreichischen Schulen sind daran beteiligt. Der erste Teil des einjährigen, bis zum Frühjahr 2025 laufenden Projekts – die Probenahme – ist bereits abgeschlossen. Pro Schule wurden jeweils drei verschiedene Probenreihen gesammelt: Beprobt wurden Krankheitserreger direkt aus der Luft mittels eines aktiven Luftfilters, aus benutzten Taschentüchern sowie von Oberflächen, die oft angefasst werden, wie Türklinken oder Lichtschalter. Die Räumlichkeiten und Oberflächen der Beprobung wurden dabei mithilfe des wertvollen Inputs der Schüler:innen festgelegt.
Auch bei der Entnahme von Proben war man auf die Kooperation der Schüler:innen angewiesen. Zu ihrem Aufgabenbereich zählte beispielsweise, Zeit und Ort der Probenahme zu planen, die Luftfilterkartusche täglich auszuwechseln, über einen vierwöchigen Zeitraum Taschentücher zu sammeln und Metadaten in einer Online-Datenbank zu registrieren. In einem nächsten Schritt analysierten die wissenschaftlichen Mitarbeitenden die Proben im Labor und die Ergebnisse wurden den Schüler:innen zugänglich gemacht. Im Rahmen von Workshops im Vienna Open Lab lernten die Jugendlichen, wie man RNA-Extraktionen und PCRs durchführt. „Unser Ziel ist es, die Schüler:innen nicht einfach als Beprober einzusetzen, sondern sie auch konzeptuell und mit ihrer kritischen Meinung bei den Experimenten einzubinden“, sagt Andreas Bergthaler.
Ohne Vertrauen keine Zusammenarbeit
Offiziell läuft das Projekt seit Jänner 2024, wobei die Vorbereitung und Rekrutierung der Teilnehmenden schon im Jahr davor begonnen hat. In dieser Zeit konnten Lehrer:innen und Schüler:innen in diversen Veranstaltungen alle involvierten Parteien und die geplanten Schritte im Projekt kennenlernen und gegenseitiges Vertrauen gewinnen. Orsolya Bajer-Molnár ist dabei maßgeblich verantwortlich für Organisation und Planung der Veranstaltungen.
Das Vertrauen von Lehrer:innen in das Projekt ist laut der Evolutionärbiologin das Rückgrat eines solchen Vorhabens. Um das zu gewährleisten, kommunizieren die Projektverantwortlichen beinahe täglich mit den Schüler:innen über die Kommunikationsplattform Discord. So können Probleme in Echtzeit gelöst werden, sagt Bajer-Molnár. Das trage auch dazu bei, das Engagement aller Beteiligten zu erhöhen und auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten.
Naturwissenschaftliche und sozialepidemiologische Relevanz
Aus dem transdisziplinären Projekt lassen sich naturwissenschaftliche und soziologische Erkenntnisse ziehen. Auf naturwissenschaftlicher Ebene erlaubt das Erfassen von Daten über Krankheitserreger an öffentlichen und belebten Orten, wie beispielsweise Schulkantinen, wertvolle Einblicke in die Entwicklung aktueller Pathogenpopulationen und das von ihnen ausgehende Gesundheitsrisiko. Unter anderem kann das die Zahl asymptomatischer Krankheitsträger enthüllen, die seit dem Stillstand der durchgängigen PCR- und Antigentests rätselhaft bleibt, trotz ihrer bedeutenden Auswirkung auf Krankheitsverbreitung und -entwicklung.
Im zweiten Teil des Projekts ist der Fokus auf sozialepidemiologische Erhebungen gerichtet, um die Zusammenhänge von sozialen Faktoren und Gesundheitszustand evidenzbasiert zu erfassen. Dazu stehen noch Umfragen der Schüler:innen zu ihrem Wissensstand über Infektionen vor und nach dem Projekt an, beispielsweise zur Ansteckungsgefahr bei einem asymptomatischen Krankheitsverlauf und zu präventiven Maßnahmen, wie regelmäßigem Lüften. Die Umfrageergebnisse sollen zeigen, ob das Wissen mit den gefundenen Pathogenen übereinstimmt und welche Schlüsse sich daraus ziehen lassen. Auch vorwissenschaftliche Arbeiten (VWA) finden im Rahmen des Projekts statt.
Wie ansteckend kann Enthusiasmus sein?
Und wie hat sich der Bezug zu Naturwissenschaften und Forschung seit der Pandemie bei den Schüler:innen verändert? Auch dieser Frage wollen die Forschenden in Interviews nachgehen. Am Ende des innovativen Beteiligungsprojektes ist vorgesehen, dass die engagiertesten Schüler:innen auch Co-Autor:innen bei einer geplanten Fachpublikation zum Projekt sind. Der wahre Erfolg liegt jedoch darin, dass die 50 Teilnehmenden als Multiplikatoren in ihren Schulen fungieren und dabei auch mit Jugendlichen in Kontakt kommen, die im Projekt nicht direkt mitgewirkt haben. „Diese Art eines naturwissenschaftlich anspruchsvollen Citizen-Science-Projekts wird im besten Fall eine Art Blaupause für zukünftige ähnliche Projekte“, erklärt Bergthaler. Bajer-Molnár und er erhoffen sich so, Wissenschaft noch stärker in alle Schichten der Gesellschaft hineinzutragen und zu verankern sowie Neugierde für die Suche nach unbeantworteten Fragen zu wecken. Und wer weiß, vielleicht hegt der eine oder die andere Schüler:in bereits Pläne für eine Forscherlaufbahn?
Mehr Informationen unter fwf.ac.at.