Ein Notfall in Neonatologie- oder Perinatalzentren bedeutet Alarmstufe Rot für Ärzte und Pflegepersonal. Winzlige, die kaum größer als 30 Zentimeter sind, benötigen in dieser Situation eine intensivmedizinische Betreuung durch ein perfekt zusammenarbeitendes Team von Spezialisten: „Dort wird mit den Zerbrechlichsten aller Patienten gearbeitet und ob und wie sie überleben, hängt entscheidend von der Performance des Teams ab,“ erzählt Jens Christian Schwindt.
Der Kinderarzt arbeitete selbst als Neonatologe und Intensivmediziner an der Klinischen Abteilung für Neonatologie, Pädiatrische Intensivmedizin und Neuropädiatrie der Medizinischen Universität Wien. Schwindt erkannte bei seiner Arbeit, dass neben soliden Fachkenntnissen auch optimales Training des Teams dafür sorgt, dass in den entscheidenden Minuten alle Handgriffe perfekt koordiniert durchgeführt werden. „Schon vor rund 20 Jahren haben wir deshalb mit regelmäßigem Training begonnen, das große Hindernis war aber, dass es keinen Frühgeborenen-Simulator gab, also eine Puppe, die klein genug ist und gleichzeitig technisch so ausgestattet, dass man Vorgänge einer intensivmedizinischen Betreuung simulieren kann“, erzählt Schwindt über die Ursprünge eines Projekts, das zu einer Erfolgsgeschichte wurde.
„Geniale Ingenieure an der MedUni“
Mit dem Mangel wollte sich der Arzt nicht abfinden. Mit Hilfe eines Berliner Maskenbildners wurde zunächst ein „haptischer Prototyp“ geschaffen, wie Schwindt sagt, „mit dem man einiges probieren konnte“. Die gesamte für eine Simulation notwendige Technik in dieser winzigen Puppe unterzubringen, schien allerdings ein Ding der Unmöglichkeit – bis der Neonatologe Kontakt zu den Ingenieuren der „Abteilung für medizinische Physik und biomedizinische Technik“ an der MedUni Wien fand. „Ich habe ein wenig gebraucht, um herauszufinden, dass geniale Ingenieure an der MedUni im Keller sitzen und nur darauf -warten, dass Ärzte mit ihren Ideen zu ihnen kommen“, erzählt Schwindt augenzwinkernd. Der Arzt schilderte den Ingenieuren seine Vorstellungen von einer Puppe für das interdisziplinäre Simulations-Training von Notfällen mit Frühgeborenen und als Antwort bekam er: „Warum sollte sich das nicht machen lassen?! Wir können das!“
2009 wurde mit der Entwicklung begonnen, 2012 war ein Prototyp fertig, mit dem erfolgreich um Förderungen im Rahmen des Pre-Seed- und Seed-Programms des Austrian Wirtschaftsservice aws angesucht werden konnte. „Die Förderungen haben es ermöglicht, letztlich alle Beteiligten in die neu gegründete Firma zu holen und hier den kompletten Simulator inklusive aller Software zur Produktionsreife zu entwickeln“, berichtet Schwindt. Ziel der jungen Firma SIMCharacters war es, eine Simulationspuppe zu entwickeln, mit der alle Notfälle eines Frühgeborenen trainiert werden können.
Weltweiter Erfolg: Paul, Emily und Emma
2017 war es so weit: Paul, wie die Simulationspuppe benannt wurde, konnte auf den Markt gebracht werden. Die erste Puppe ging natürlich an die MedUni Wien, die entscheidend an der Entwicklung beteiligt gewesen war. Aber bereits Paul mit den Seriennummern 2 und 3 wurden in die USA verkauft. Heute sind mehr als 170 Simulationspuppen weltweit im Einsatz. Rund um den Globus trainieren interdisziplinäre Teams von Spezialisten mit Paul, um im Ernstfall durch perfekte Zusammenarbeit bei Notfällen mit Frühgeburten lebensrettende Betreuung bieten zu können.
„Die kleine Hinterhoffirma“, so Schwindt über sein Unternehmen, beschäftigt mittlerweile 25 hoch qualifizierte Mitarbeiter. Und bald könnten es noch mehr werden. Paul, der eine Frühgeburt in der 27. Schwangerschaftswoche simuliert, hat nämlich zwei reif geborene Schwestern für die Simulation von Notfällen bekommen: die hellhäutige Emily und die dunkelhäutige Emma, „denn unsere Simulatoren sollen nicht nur medizinisches Wissen vermitteln, sondern auch die Diversität der Gesellschaft widerspiegeln, in der wir leben“, erklärt Schwindt. Ab Anfang kommenden Jahres werden Emily und Emma ausgeliefert.