AI: Sie wurden mit Ihrem Team für die Entwicklung einer hitzebeständigen Zinkbeschichtung für stabile, dünne und leichte Stahlteile als Finalist für den European Inventor Award ausgewählt. Wie wichtig ist so eine Auszeichnung?
Josef Faderl: Lustig war, dass ich die E-Mail zur Nominierung lange als Spam abgetan hatte. Erst im Februar wurde mir klar, dass es nicht so ist. Umso mehr freut es mich und mein Team, dass unsere Arbeit gesehen und geschätzt wird – und zwar auch außerhalb unseres Unternehmens.
AI: Wann wurde das Projekt gestartet und wann gab es erste Produkte?
Faderl: Das Projekt landete beim Preis zwar in der Kategorie Industrie, würde aber eigentlich auch gut in die Kategorie Lebenswerk passen (lacht). Es war im Jahr 2002, also vor mehr als 20 Jahren, da hat sich ab gezeichnet, dass sich am Markt etwas in Richtung höherfeste Stähle tut. Getrieben wurde diese Entwicklung von der Europäische Union durch die Flottenverbrauchslimitierung, die Strafzahlungen vorsieht, wenn der Flottenverbrauch der Automobilhersteller nicht reduziert wird.
Diese Regulierung hat also ihre Forschung und ihr Lebensprojekt bestärkt?
Faderl: Ja, das war das große Argument, dass die Stahlentwicklung nun in Richtung höher- feste Stähle ging. Pressgehärteter Stahl war damals im Karosseriebau noch ganz selten. Saab hatte ihn in den 1980er-Jahren als erster Hersteller bei Türen als Seitenaufprallschutz eingesetzt. Anfang 2000 nahm dann der Einsatz zu. Da kam das feueraluminierte Material zum Einsatz und ging in Serie. Doch die Kunden wollten wieder verzinktes Blech, da die Zinkschicht dank der Opferwirkung den Stahl auch bei Kratzern gut vor Korrosion schützt.
Doch wenige glaubten damals, dass dies funktionieren könnte?
Faderl: Im Jahr 2002 hat noch die ganze Welt gesagt, dass dies nicht gehen würde, da ja Zink schon bei 420 Grad Celsius schmilzt und bei über 900 Grad Celsius verdampft. Man muss den Stahl beim Presshärten aber über 900 Grad Celsius aufwärmen. Wir haben es trotzdem probiert und waren erfolgreich.
AI: Und ihr Unternehmen unterstützte ihr Team bei diesem Abenteuer?
Faderl: Der Glücksfall – aber kein Zufall – war, dass sich die voestalpine im Jahr 2000 vom reinen Stahlbandhersteller zum Stahlbandverarbeiter mit der Metall Forming Divison, zu der die Automotive Components mit einigen Presswerken gehört, weiterentwi- ckelt hat. Nun ging es nicht nur um Stahl-, sondern auch um die Verfahrensentwicklung. Dadurch konnten wir in sehr kurzer Zeit das Produkt in Serien bringen.
Wann gelang dies?
Faderl: Das war 2008. Im April 2002 hatten wir unser erstes Treffen für das Projekt. Der offizielle Start war 2003. Da gab es auch schon die ersten österreichischen Patentanmeldungen. In nur fünf Jahren konnte unser Stahl in Serie gehen. Das ist für eine Stahlentwicklung sehr schnell. Heute ist unser phs-ultraform-Verfahren für verzinkte, presshärtende Stähle weltweit führend. Eine weitere Neuerung war, dass wir den Beschnitt des Bauteils im kaltumgeformten Zustand machen können. Da gibt es noch nicht die hohe Festigkeit und man muss deshalb nicht mit ei- nem teuren Laser schneiden.
Welches sind nun die Vorteile des neuen Verfahrens?
Faderl: Der wesentliche Vorteil gegenüber anderen Produkten wie plankem Stahl oder feueraluminiertem Stahl ist, dass ich einen kathodischen Korrosionsschutz habe – also die Opferwirkung des Zinks. Zugleich sind pressgehärtete, nun auch korrosionsgeschützte Bauteile, viel leichter.
AI: War bei diesem Forschungsprojekt das Thema Interdisziplinarität schon wichtig?
Faderl: Ja, gerade damals sind die Werkstoffentwicklung und Oberflächentechnik zusammengewachsen. Es gab eine enge Vernetzung der Bereiche Stahlband und Verfahrensentwicklung, die wir in Deutschland mit den Presswerken machen. Das war bis zu diesem Zeitpunkt sehr selten der Fall.
AI: Was ist das Neue an der Beschichtung?
Faderl: Um sich ein Bild vom neuen Verfahren zu machen: ein Blech hat eine Stärke von rund einem Millimeter. Wenn das Blech nun den 300 Meter hohen Eiffelturm darstellt, würde bei einem klassisch verzinkten Blech ihre Körpergröße der Zinkschicht entsprechen. Die Interaktionszone zwischen Stahl- und Zinkschicht ist so dick wie die Schuhsohle. Bei pressgehärteten Bauteilen ist die Interaktionsgröße schon so groß wie ihr Körper. Also die Wechselwirkung zwischen der Beschichtung und des Stahls ist wesentlich größer ausgeprägt. Und zum Verfahren: Zink schmilzt bei 420 Grad Celsius. Da wird die Schuhsohle durchlöchert und es wachsen Zink-Eisen-Kristalle, die das Abfließen des Zinks verhindern. Auf der Oberfläche der Zinkschicht existiert eine extrem dünne Oxidhaut. Das kann man sich wie eine Milchhaut vorstellen, zu Beginn im Vergleich etwa in der Dicke einer Badehaube. Und diese verhindert, dass das Zink verdampft. Das war damals vielen nicht bewusst. Deshalb hat es trotz aller Unkenrufe funktioniert. Das Zink fließt auch bei vertikalen Bauteilen nicht ab.
Heute sind diese Pressbauteile schon überall im Einsatz?
Faderl: Eigentlich bei allen Automarken. Aktuell beträgt in Autos der Gewichtsanteil pressgehärteter Bauteile zehn bis 20 Prozent. Spitzenreiter ist Volvo mit bis zu über 40 Prozent. Diese Konstruktion kann man sich als Käfig vorstellen, der die Insassen bei einem Aufprall schützt. Pressgehärtete Stähle haben auch deshalb eine so große Verbreitung gefunden, da man sie maßschneidern kann. Ein gutes Beispiel ist hier die B-Säule, die für die Verbindung zwischen Fahrzeugboden und Fahrzeugdach in der Mitte der Fahrgastzelle verantwortlich ist. Hier ist der untere Teil weich, um die Stoßenergie aufzunehmen und der obere Teil hart, um den Körper gut zu schützen. Man kann die Bauteile genau nach Bedarf konfigurieren. Ein weiterer Vorteil von phs-ultraform: die Technologie ermöglicht sehr komplexe Geometrien.
Wo rechnet sich das Verfahren besonders?
Faderl: Bei großvolumigen Produktionen, da sich hier die Werkzeugkosten rascher amortisieren. Und wie schon erwähnt, fällt auch der teure Laserbeschnitt weg.
Wie viele Freiheiten und Geduld benötigt es bei solch risikoreichen industriellen Forschungsprojekten?
Faderl: Der damalige F&E-Leiter, Herr Peter Schwab, heute unser Leiter der Metal Forming Division sowie Aufsichtsratsvorsitzender des AIT, hatte mich gefragt, wie groß ich die Erfolgschancen sehe. Zehn Prozent, sagte ich. Worauf er antwortete: „Probieren wir es trotzdem.“ Er hat uns massiv unterstützt, obwohl nicht absehbar war, ob es was wird. In der ersten Phase hatten wir einstellige Millionen-Euro-Beträge pro Jahr zur Verfügung.
Was würde es Ihrem Team bringen, wenn Sie bei der Preisverleihung am 4. Juli gar den Hauptpreis unter den drei Finalisten in der Preiskategorie Industrie gewinnen?
Faderl: Vor allem Ehre (lacht...).
An welchen Projekten arbeiten Sie aktuell?
Faderl: Die Weiterentwicklung an dem phs- ultraform hat ja nicht aufgehört. Aktuell gehen wir in Richtung 2.000 Megapascal Festigkeit. Weiters arbeiten wir daran, die Oxidation beim Presshärten möglichst gering zu halten. Zink ist generell eine sehr attraktive Beschichtung, da sie eigentlich bei allen Technologien einsetzbar ist. Vom ökologischen Fußabdruck ist Verzinken attraktiver als Feueraluminieren, das mehr Energie benötigt. Verzinkter pressgehärteter Stahl ermöglicht dünnere Bleche. Das bedeutet in Summe also weniger Stahl und weniger CO2 sowie leichtere Autos, die somit weniger Treibstoff verbrauchen.
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