Sie leiten als Klimaschutz- und Umweltministerin eines der größten und zukunftsbestimmenden Ressorts. Zuvor waren Sie Geschäftsführerin der Umweltorganisation Global 2000: Wie verändert sich die Blickweise nach einem Jahr Realpolitik in einer Koalitionsregierung?
Leonore Gewessler: In meiner Rolle als Geschäftsführerin von Global 2000 habe ich als Teil der Zivilgesellschaft viele Jahre lang Verbesserungen im Klima- und Umweltschutz gefordert. Mein Wunsch nach Veränderung hat mich schlussendlich dazu motiviert, in die Politik zu gehen. Und diesen Schritt habe ich keine Sekunde bereut.
AI: Trotz der Corona-Krise?
LG: 2020 war für uns alle ein enorm herausforderndes Jahr. Und trotzdem sind wir im Klimaschutz einen Schritt weitergekommen. Ganz besonders sieht man das zum Beispiel an der Klimaschutzmilliarde. Die habe ich lange gefordert – und jetzt haben wir dieses Ziel sogar übertroffen.
AI: Die aktuell größte Herausforderung war 2020 und ist leider noch immer die Bewältigung der Coronakrise. Rückte da das langfristig sicher sehr wichtige Thema Klimaschutz nicht etwas in den Hintergrund?
LG: Die Coronakrise begleitet uns mittlerweile seit fast einem Jahr. Sie ist für uns alle eine große Herausforderung, beruflich wie persönlich. Doch auch die Klimakrise hat 2020 keine Pause gemacht. Darum müssen wir genau jetzt die Weichen in Richtung Zukunft stellen – denn wenn wir am Weg aus der Krise in den Klimaschutz investieren, sorgen wir für eine stabile Wirtschaft, sichere Arbeitsplätze und eine gute und lebenswerte Zukunft auf diesem Planeten. Ich bin überzeugt: Klimaschutz ist das beste Konjunkturprogramm. Und das setzten wir mit einer noch nie dagewesenen Sanierungsoffensive, mit einem Rekordbudget für den Ausbau der erneuerbaren Energien und dem größten Bahnausbaupaket, das Österreich je gesehen hat, um.
AI: Was konnte im Vorjahr in der klimarelevanten Forschung erreicht werden?
LG: 2020 ist es uns gelungen, das Budget für die klimarelevante Forschung um 100 Millionen Euro zu erhöhen. Das haben wir auch für 2021 und 2022 geplant. Damit ist unser jährliches Forschungsbudget um mehr als 25 Prozent gewachsen. Mit diesen Investitionen können wir Betriebe dabei unterstützen, ihre Produktionsprozesse klimafreundlicher zu gestalten. Eines meiner liebsten Projekte hier ist der ÖKO-Scheck. Er kommt kleinen Unternehmen und gemeinnützigen Organisationen zugute, die klimafreundliche Innovationen schnell und unbürokratisch umsetzen. So bringen wir den Klimaschutz zu den Menschen.
AI: Laut den Statistiken sind zumindest 2019 die CO2-Emissionen in Österreich noch gestiegen. Reichen die geplanten Maßnahmen, um die Klimaziele zu erreichen?
LG: Die Treibhausgasbilanz 2019 ist eine klare Warnung, aber auch ein klarer Auftrag. So etwas darf uns nicht mehr passieren. Sie macht auch deutlich, dass wir in Österreich auf einer klimapolitischen Aufholjagd sind. Wir müssen jetzt handeln, um die Klima-krise zu bewältigen. Darum arbeiten wir hier an klaren, ambitionierten Zielen, guten Gesetzen und wirksamen Förderungen für klimafreundliche Investitionen. Wir stellen jetzt die richtigen Weichen für den Klimaschutz.
AI: Ihr Ministerium umfasst sehr viele Aufgaben – von Umwelt über Energie und Mobilität bis hin zu Innovation und Technologie. Wie kann all dies bewältigt werden?
LG: Klimaschutz ist eine große Aufgabe. Dafür brauchen wir ambitionierten Umweltschutz, ein Energiesystem, das auf erneuerbaren grünen Strom setzt, klimafreundliche Mobilität anstatt Verkehrslawinen und innovative, neue Technologien. All diese Bereiche vereine ich in meinem Ministerium, und all diese Bereiche brauchen wir, um die Herausforderung Klimakrise zu meistern. Das geht gemeinsam mit einem ganz tollen Team, das es versteht, die Vielfalt der Themenbereiche zusammenzudenken und sich mit mir jeden Tag für den Klimaschutz einsetzt.
AI: Starke Beachtung in den Medien findet die Elektromobilität. Aber es gibt viele weitere Themen, die sich wahrscheinlich ohne Raketenwissenschaften lösen ließen. Im ländlichen Bereich wurde in vielen Regionen der öffentliche Nahverkehr abseits der Schnellbahnbahnhöfe massiv ausgedünnt. Die nun wenigen großen Diesel-Linienbusse – wie etwa in meiner Heimatgemeinde – fahren meist völlig leer. Warum wird nicht generell als Ergänzung zur Schiene auf ein flexibles Sammeltaxisystem gesetzt?
LG: Der Verkehr ist unser Sorgenkind im Klimaschutz. Darum werden wir in den kommenden Jahren die Infrastruktur und das Angebot an klimafreundlicher Mobilität ausbauen. Denn wir brauchen im Verkehr eine Trendwende hin zur klimafreundlichen Mobilität. Darum investieren wir mit dem ÖBB-Rahmenplan so viel Geld wie nie zuvor in den Ausbau von Schienen und Bahnhöfen. Insgesamt fließen hier in den nächsten sechs Jahren 17,5 Milliarden Euro in den öffentlichen Verkehr. Mit dem 1-2-3-Klimaticket schaffen wir zudem ein attraktives Ticket für alle Pendlerinnen und Pendler. Sammeltaxis können dazu eine gute Ergänzung sein, um die Öffis zur ersten Wahl zu machen.