03/2024 News mittlere Spalte Politik
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KI als „Geheimwaffe“

China hat große Ziele, wenn es um die Künstliche Intelligenz geht. Bis 2030 will es das federführende globale Innovationszentrum für KI sein. Wir wollten wissen: Wo steht China heute, nach sieben Jahren „Nationale Strategie“?

von: Bernhard Seyringer

Im Juli 2017 hat der chinesische Staatsrat – also die formelle Regierung Chinas – den ersten Nationalen Entwicklungsplan für „Künstliche Intelligenz” (KI) verabschiedet. Dass KI für die Führung in Peking zweifache, kaum zu überschätzende Bedeutung hat, zeigt sich einerseits darin, dass sie in der sicherheitspolitischen Diskussion als „Geheimwaffe“ gilt (shashoujian, wörtlich: „der Dolch des Attentäters“), und andererseits, dass sie auch zu einer zentralen Komponente von Xi Jinping‘s neuer Leitstrategie im Jahr 2024 wurde.

Nach sieben Jahren und dem nicht unbescheidenen Ziel, das Land bis 2030 zur führenden Nation in dieser Schlüsseltechnologie zu entwickeln, ist es Zeit für ein Zwischenfazit.

Industriepolitische Strategieprogramme

Die moderne Industriepolitik begann in China mit der Veröffentlichung des „National Medium- and Long-Term Program for Science and Technology Development 2006- 2020“ (MLP) im Jahr 2006. Das erste Mal wurde in der chinesischen Forschungsbürokratie von einem „Nationalen Innovationssystem“ gesprochen. Im MLP wurden eine Zahl an Forschungssektoren, Bereiche der Grundlagenforschung und 16 „Megaprojekte“ definiert, in denen das Land einen Aufholprozess gegenüber den westlichen Industrienationen zu leisten hatte.

Mit dem 14. Fünf-Jahres-Plan (2021-2025) vom März 2021 wurde diese Entwicklung im Wesentlichen weitergeschrieben: Übernahme der globalen Führung in Schlüsseltechnologien, um den „Chinesischen Traum des Nationalen Wiederaufstiegs“ bis zum Jahr 2049 – dem 100. Geburtstag der Volksrepublik China – zu realisieren. Nach dem Nationalen Volkskongress vom März 2024 hat Staatspräsident Xi Jinping die Leitstrategie der „Neuen Produktivkräfte“ ausgegeben – ein marxistisch angehauchter Titel für den nächsten Schritt in der Indus-triepolitik des Landes.

Das Nationale Innovationssystem für KI

Der „New Generation Artificial Intelligence Development Plan“ (AIDP) betont eine dreistufige Entwicklung für Chinas KI-Sektor: Bis 2020 sollte die internationale Wettbewerbsfähigkeit ausgebaut und ein Regulierungsrahmen für zentrale Bereiche der KI definiert werden. Bis 2025 will China in mindestens einem entscheidenden Bereich der Grundlagenforschung die weltweite Führung übernommen haben. Bis 2030 schließlich soll China zu einem globalen Innovationszentrum für KI gereift sein, das führend in der internatio-nalen Standard- und Normsetzung ist und sich federführend den neu aufkommenden Herausforderungen im Forschungsbereich KI stellt.

Die Implementierung und Umsetzung des AIDP wurde ganz nach westlichem Vorbild entlang des Innovationsmodells der „Triple Helix“ konzipiert: eine netzwerkartige Interaktion zwischen staatlicher Koordinierung durch industriepolitische Strategien, Entwicklung der Forschungsinfrastruktur und gezielter Förderung von Leitunternehmen. Rund um den AIDP wurden eine Vielzahl ergänzender Dokumente zur Entwicklung des KI-Ökosystems veröffentlicht. Das wohl bekannteste ist, „Made in China 2025“ – die Smart-Manufacturing-Strategie, die 2015 vom Staatsrat verabschiedet wurde. Sie fokussiert auf die Entwicklung von Hardware-Komponenten, die zur Herstellung von Halbeiterbauelementen benötigt werden. 2016 und 2017 wurden vom Ministerium für Industrie und Informationstechnik (MIIT) eine Vielzahl weiterer Strategiepläne veröffentlicht, die auf das Innovationssystem sowie einzelne Teilbereiche des Ökosystems zielten.

Und wie sieht die Entwicklung der Forschungsinfrastruktur aus? Bis 2017 existierte in China nur ein einziges auf KI spezialisiertes Forschungslabor, und zwar an der Tsinghua-Universität in Peking. Das hat sich aufgrund der Investitionen rund um den AIDP deutlich verändert. Seit Herbst 2018 sind in 20 Provinzen und 16 Städten „KI-Pilotzonen“ entstanden. Als nur ein Beispiel sei hier der im November 2018 veröffentlichte „Zhiyuan Plan“ erwähnt – eine Kooperation zwischen dem Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MOST) und der Pekinger Stadtverwaltung. Es wurden vier neue Forschungsinstitute gegründet: Die Beijing Academy of Artificial Intelligence (BAAI) im Jahr 2018 und im Jahr 2020 das Beijing Institute for General Artificial Intelligence (BIGAI), das Shanghai Artificial Intelligence Lab und die vom früheren Microsoft-Asia-CEO Harry Shum geführte International Digital Economy Academy (IDEA).

Ein weiterer wichtiger Teil der Forschungsinfrastruktur für KI sind Open-Source-Software-Plattformen. Das MIIT hat im Juli 2018 ein Weißbuch mit Empfehlungen zur Weiterentwicklung dieses „Open Source“-Ökosystems veröffentlicht. Der Verlust des Zugangs zu diesen Plattformen, durch etwaige US-Exportkontrollen, dürfte die größte Sorge der Technologieplaner in Peking sein. Seit etlichen Jahren hofft die chinesische Bürokratie mit Baidus Plattform PaddlePaddle (Parallel Distributed Deep Learning) und Huaweis MindSpore, das Duopol aus Googles TensorFlow und PyTorch (Meta und mittlerweile Teil der Linux-Stiftung) zu überwinden – mit bisher bescheidenem Erfolg: Bei einer Umfrage durch das Beratungsunternehmen Deloitte im Jahr 2022 gaben mehr als 70 Prozent der befragten chinesischen Programmierer an, dass sie PyTorch verwenden.

Um die Ausgangssituation zumindest in unterschiedlichen Anwendungsbereichen zu verändern, haben das MOST und andere Ministerien 2017 begonnen, Unternehmen auszuwählen, die für die jeweiligen Teilbereiche Plattformen zur Verfügung stellen sollen: Baidu für autonome Fahrzeuge, Alibaba (Ali Cloud) für Smart Cities, Tencent für medizinische Bildgebung, iFlyTek für Smart Audio und SenseTime für Smart Vision. Im Jahr 2019 wurden dann zehn weitere Unternehmen hinzugefügt. Dieses „Nationalteam“ (guojiadui) empfiehlt außerdem Pläne für KI-Projekte, Infrastruktur, Ausbildung und Rekrutierung neuer Talente.

Drittens: Leitunternehmen

Einer der wichtigsten Aspekte des AIDP war die wettbewerbsorientierte und spezifische Förderung der KI-Chip-Entwicklung, als Ergänzung zum bereits 2014 gegründeten Nationalen Entwicklungsfonds für die Halbleiterindustrie. Der AIDP und das „Infrastructure White Paper“ von 2020 fokussierten dabei vollständig auf die für KI-Anwendungen besonders relevanten Bauelemente: Memory-Chips (DRAM), also Kurzzeit-Speicher, Storage-Chips (NAND flash) zur Langzeitspeicherung großer Datenmengen und Logik-Chips: Neben CPUs sind das vor allem GPUs (Graphics Processing Units) und FPGAs (Field-programmable gate arrays).

Ausgehend von den Zentren in Peking, Shanghai, Shenzhen und Hangzhou haben sich unter Führung der drei Branchengiganten Huawei/ HiSilicon, Baidu und Alibaba/Pingtouge sehr innovative und leistungsfähige Unternehmen entwickelt: ChangXin Memory Technologies (CXMT), der mittlerweile führende DRAM-Hersteller des Landes, Yangtze Memory Technologies (YMTC), der sich auf 3D-NAND-Chips spezialisiert hat, sowie die GPU-Hersteller Biren Technology und Moore Threads.

Ausweitung der Produktionskapazitäten

Die notwendigen KI-Chips können aktuell nur in zwei Produktionsanlagen (Fabs) hergestellt werden. Allerdings wird ab 2025 deutlich mehr an Produktionskapazität zur Verfügung stehen: Bis zum Ende dieses Jahres sollen 32 Fabs (von den insgesamt 44 in China bestehenden) ihre Produktionskapazitäten ausgeweitet haben und 18 neue Fabs in Betrieb gehen.

US-Exportsanktionen

Die meisten genannten Unternehmen unterliegen seit Dezember 2022 beziehungsweise Oktober 2023 US-Exportsanktionen. Um genau diese zu umgehen und um weiterhin Zugang zu dringend benötigter ausländischer Technologie zu haben, hat die Huawei-Tochter Hubble Technology Investment seit 2019 ein Geheimnetzwerk an Unternehmen aufgebaut, das erst im Sommer 2023 entdeckt wurde.

Nach drei Dekaden, in denen die gesamte Welt ihre Elektronikfertigung nach China verlagert hat, lässt sich vor allem seit der zweiten Hälfte 2023 ein deutlicher Fortschritt in den Bestrebungen des Landes nach technologischer Unabhängigkeit und Führerschaft erkennen – zu immer noch enormen Kosten, zeigt das Land seine Ambition.   

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