01/2024 Politik
Alle Fotos: © BKA/Andy Wenzel
BM Dr. Martin Polaschek: Viele erwarten von der Wissenschaft kurze, klare Antworten. Das wird von Populisten genutzt.
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Kämpfer gegen die Wissenschafts- Feindlichkeit

Interview: Einst hat man der Wissenschaft nicht geglaubt, weil die Welt und der eigene Blickwinkel darauf klein und allzu überschaubar waren. Heute schlägt das Phänomen in das Gegenteil um.

von: Marion Breiter-O’Donovan

Die Welt ist für den Betrachter so groß, dass die Proportionen verschwimmen und man die Wahrheit in der Flut der (Des-)Informationen nur noch schwer erkennen kann. Welche Rolle kommt dem Bildungssystem heute zu, um das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken? Austria-Innovativ-Chefredakteurin Marion Breiter-O’Donovan im Gespräch darüber mit ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung.

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Laut Umfragen (siehe Print Ausgabe) ist das Vertrauen der österreichischen Bevölkerung in die Wissenschaft erschreckend gering. Welche Rolle kommt dem Bildungsbereich bei der Stärkung dieses Vertrauens zu?

Polaschek: Ich decke in meinem Ressort die Ausbildung von der Elementarpädagogik über die Schule bis zum Studium und den Forschungseinrichtungen ab. Mein Haus war daher besonders gefordert, als die Eurobarometer- Umfrage 2021 erschienen ist.

Ich war damals noch Rektor an der Universität Graz. Aber es war klar, es musste gehandelt werden – und ich hatte das Glück, in die Position zu kommen, in der ich handeln kann. Ich habe mich mit einem Zehn-Punkte- Programm dem Kampf gegen die Wissenschafts-Feindlichkeit verschrieben. Daher habe ich die erste evidenzbasierte Ursachenstudie dazu in Auftrag gegeben. Sie hat unter anderem gezeigt, dass die Wissenschaftsskepsis in allen Bevölkerungsgruppen gleichmäßig vorkommt und dass es offensichtlich einen Zusammenhang zwischen Wissenschafts- und Demokratiesekpsis gibt. Ich habe daher dort begonnen tätig zu werden, wo ich als Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung direkt zuständig bin: unter anderem in den Schulen. So haben wir die Initiative „Trust in Science and Democracy“ mit beispielsweise einer Wissenschaftswoche im Juni 2023 an den Polytechnischen Schulen gestartet, weiters die „Wissenschaftsbotschafter: innen“ für alle Schulzweige eingeführt.

Wie sieht die Strategie hinter der Initiative der „Wissenschaftsbotschafter: innen“ aus? Inwieweit können sie als Role Models dazu beitragen, Barrieren abzubauen?

Wir haben etwa 450 Personen aus der Wissenschaft gewonnen, die von den Schulen individuell eingeladen werden können, um dort über ihr eigenes Fach, über ihren Arbeitsalltag und auch über die Wissenschaft im Allgemeinen zu sprechen. Da sind von jungen Wissenschaftler:innen aus der Molekularbiologie bis hin zu Historiker:innen Vortragende aus den verschiedensten Richtungen vertreten. Wissenschafter:innen als Role Models vermitteln, dass auch Frauen in MINT-Bereichen erfolgreich sind, und ermutigen junge Mädchen, sich mehr mit diesen Themen zu beschäftigen.

Eine wichtige Aufgabe der Wissenschaftsbotschafter: innen ist es auch, den Schüler:innen nahezubringen, dass die Wissenschaft nicht immer kurze, klare Antworten liefert. Das wird oft erwartet und auch von Populist: innen genutzt. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Aussagen der Wissenschaft sind meist sehr komplex.

Ihre Initiativen im Bildungsbereich stellen eine Stärkung des Vertrauens in die Wissenschaft und in die Demokratie in den Fokus. In welcher Form spielen diese beiden Faktoren zusammen?

Die Ursachenstudie belegt, dass der Anteil der Bevölkerung, der der Wissenschaft gegenüber besonders skeptisch eingestellt ist, diese Haltung oftmals auch gegenüber der Demokratie und ihren Entscheidungsträger: innen einnimmt. Daher haben wir die Demokratiebildung fest an den Schulen verankert und ermutigen Schüler:innen, Angebote wie die Demokratie-Werkstatt des Parlaments anzunehmen. Die Fähigkeit, kritisch zu denken, steht sicherlich in Verbindung mit beiden Aspekten, ist aber nicht in einem Fach in einer Stunde zu erlernen. Deshalb ist politische Bildung in österreichischen Schulen sowohl als Unterrichtsprinzip für alle Schulstufen als auch als eigenständiger Gegenstand oder als Kombinationsfach ab der Sekundarstufe verankert.

ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek

Persönliches

  • geboren 22.11.1965 in Bruck an der Mur
  • verheiratet, Vater Einige

Stationen des Bildungwegs

  • Jus-Studium
  • Habilitation aus „Österreichische und Europäische Rechtsentwicklungen, Rechtliche Zeitgeschichte und Föderalismusforschung”: „Föderalismus als Wert? Eine Studie zu Reformmöglichkeiten des österreichischen Bundesstaates, erstellt im Auftrag des Modell Steiermark”
  • Universitäts-Assistent an der Universität Graz

Auszüge aus dem beruflichen Werdegang

  • 1992-2000 Universitäts-Assistent an der Universität Graz
  • 2003-2019 Vizerektor für Studium und Lehre an der Universität Graz
  • 2019-2021 Rektor der Universität Graz
  • 2020 – 2022 UNI for LIFE Weiterbildungs GmbH – Aufsichtsratsvorsitzender
  • seit 06.12.2021 Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung

Wie will das Bildungssystem Kinder und Jugendliche auf die neuen Anforderungen der Arbeitswelt vorbereiten und umgekehrt eine ausreichende Anzahl qualifizierter Mitarbeiter für den Wirtschaftsstandort Österreich ausbilden – Stichwort KI, Stichwort Diversity Management bzw. Frauen in MINT-Bereichen?

„Digitale Grundbildung“ ist ein neues Schulfach. Wir wollen schon in der Volksschule Bewusstsein für die Digitalisierung schaffen. Dafür haben wir das „Digi Case“ entwickelt, ein Köfferchen mit Bausteinen und Materialien, das Kindern die digitale Welt auf analogem Weg eröffnet. Auch wissenschaftliches bzw. naturwissenschaftliches Denken soll damit gefördert werden.

Im Rahmen der Geräteinitiative des Bundes erhält dann jede:r Schüler:in ab der 5. Schulstufe ein eigenes digitales Endgerät, das ins persönliche Eigentum übergeht. So fördern wir die Chancengleichheit an den Schulen. An unseren 100 KI-Pilotschulen wird besonders intensiv erprobt und wissenschaftlich untersucht, wie man KI im Unterricht einsetzen kann.

Wir wollen weiters junge Mädchen für den MINT-Bereich begeistern, indem wir das Angebot seitens der Betriebe sichtbarer machen. Zu diesem Zweck haben wir Ende des letzten Jahres in Kooperation mit der Industriellenvereinigung 14 „MINTRegionen“ vorgestellt, in denen besonders viel getan wird.

Wie stehen Sie zum Thema Bildungskontinuität vom Kindergarten über die Schule bis ins Studium – wo dann infolge der Aufnahmebeschränkungen ein Zwei-Klassen- Bildungssystem mit zahlreichen privaten Universitäten und Fachhochschulen zu entstehen droht?

In der öffentlichen Meinung hat das österreichische Schulsystem einen schlechteren Ruf, als es verdient. Im Gegenteil hat Österreich ein ausgezeichnetes öffentliches Bildungssystem. In einigen Studienrichtungen gibt es Zugangsregelungen, um sicherzustellen, dass nur jene diese Fächer studieren, die sich wirklich dafür interessieren. Die Rate der Personen, die keinen Platz bekommen, ist, abgesehen vom Medizinstudium, gering. Ansonsten gibt es genügend zugangsfreie Möglichkeiten. Die Zahl der Studierenden an Privat-Unis ist nicht so massiv gestiegen, wie es den Eindruck erweckt, es liegt nur momentan ein medialer Fokus auf dem Thema. Grundsätzlich bieten wir sehr umfassende Stipendien an, die wir sogar erhöht haben – ab diesem Studienjahr um bis zu zwölf Prozent – und mit Valorisierungsklausel versehen.

Wie kann der Brückenschlag von der traditionellen Wissensvermittlung zum zeitgemäßen Umgang mit Informationen funktionieren?

Viele meinen, dass in den Schulen wenig passiert. Aber ich bin mindestens einen Tag pro Woche in Bildungs- und Forschungseinrichtungen unterwegs und stelle fest, dass sich extrem viel tut. WLAN bzw. Glasfaserkabel und damit Internet gibt es an fast allen Schulen. Es wird anlassbezogen mit digitalem Unterrichtsmaterial gearbeitet. Dieses wird anlassbezogen, wie zum Beispiel im Fall des aufkeimenden Antisemitismus nach dem HamasÜberfall, über das Bildungsportal „Eduthek“ schnell zur Verfügung gestellt.

Schule ist heute ein sehr innovativer, moderner Ort, an dem weit mehr als klassischer Unterricht stattfindet und Schüler mit den Herausforderungen der Gesellschaft konfrontiert werden.

Dabei ist nicht zu vergessen: Lehrer prägen das Leben von jungen Menschen, sie sind Vorbilder und Ideengeber. Das muss sich die Gesellschaft wieder stärker ins Bewusstsein rufen. Mit der Initiative „KlasseJob“ wollen wir dazu beitragen und das Unterrichten für Quereinsteiger aus verschiedenen Sparten, auch aus der Wissenschaft, attraktivieren.

Herr BM Polaschek, ich danke für das Gespräch!

Lesen Sie diesen Artikel ab Seite 17 der aktuellen Ausgabe 1-24 oder am Austria Kiosk!


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