Die Welt ist für den Betrachter so groß, dass die Proportionen verschwimmen und man die Wahrheit in der Flut der (Des-)Informationen nur noch schwer erkennen kann. Welche Rolle kommt dem Bildungssystem heute zu, um das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken? Austria-Innovativ-Chefredakteurin Marion Breiter-O’Donovan im Gespräch darüber mit ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek, Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung.
---
Laut Umfragen (siehe Print Ausgabe) ist das Vertrauen der österreichischen Bevölkerung in die Wissenschaft erschreckend gering. Welche Rolle kommt dem Bildungsbereich bei der Stärkung dieses Vertrauens zu?
Polaschek: Ich decke in meinem Ressort die Ausbildung von der Elementarpädagogik über die Schule bis zum Studium und den Forschungseinrichtungen ab. Mein Haus war daher besonders gefordert, als die Eurobarometer- Umfrage 2021 erschienen ist.
Ich war damals noch Rektor an der Universität Graz. Aber es war klar, es musste gehandelt werden – und ich hatte das Glück, in die Position zu kommen, in der ich handeln kann. Ich habe mich mit einem Zehn-Punkte- Programm dem Kampf gegen die Wissenschafts-Feindlichkeit verschrieben. Daher habe ich die erste evidenzbasierte Ursachenstudie dazu in Auftrag gegeben. Sie hat unter anderem gezeigt, dass die Wissenschaftsskepsis in allen Bevölkerungsgruppen gleichmäßig vorkommt und dass es offensichtlich einen Zusammenhang zwischen Wissenschafts- und Demokratiesekpsis gibt. Ich habe daher dort begonnen tätig zu werden, wo ich als Bundesminister für Bildung, Wissenschaft und Forschung direkt zuständig bin: unter anderem in den Schulen. So haben wir die Initiative „Trust in Science and Democracy“ mit beispielsweise einer Wissenschaftswoche im Juni 2023 an den Polytechnischen Schulen gestartet, weiters die „Wissenschaftsbotschafter: innen“ für alle Schulzweige eingeführt.
Wie sieht die Strategie hinter der Initiative der „Wissenschaftsbotschafter: innen“ aus? Inwieweit können sie als Role Models dazu beitragen, Barrieren abzubauen?
Wir haben etwa 450 Personen aus der Wissenschaft gewonnen, die von den Schulen individuell eingeladen werden können, um dort über ihr eigenes Fach, über ihren Arbeitsalltag und auch über die Wissenschaft im Allgemeinen zu sprechen. Da sind von jungen Wissenschaftler:innen aus der Molekularbiologie bis hin zu Historiker:innen Vortragende aus den verschiedensten Richtungen vertreten. Wissenschafter:innen als Role Models vermitteln, dass auch Frauen in MINT-Bereichen erfolgreich sind, und ermutigen junge Mädchen, sich mehr mit diesen Themen zu beschäftigen.
Eine wichtige Aufgabe der Wissenschaftsbotschafter: innen ist es auch, den Schüler:innen nahezubringen, dass die Wissenschaft nicht immer kurze, klare Antworten liefert. Das wird oft erwartet und auch von Populist: innen genutzt. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Aussagen der Wissenschaft sind meist sehr komplex.
Ihre Initiativen im Bildungsbereich stellen eine Stärkung des Vertrauens in die Wissenschaft und in die Demokratie in den Fokus. In welcher Form spielen diese beiden Faktoren zusammen?
Die Ursachenstudie belegt, dass der Anteil der Bevölkerung, der der Wissenschaft gegenüber besonders skeptisch eingestellt ist, diese Haltung oftmals auch gegenüber der Demokratie und ihren Entscheidungsträger: innen einnimmt. Daher haben wir die Demokratiebildung fest an den Schulen verankert und ermutigen Schüler:innen, Angebote wie die Demokratie-Werkstatt des Parlaments anzunehmen. Die Fähigkeit, kritisch zu denken, steht sicherlich in Verbindung mit beiden Aspekten, ist aber nicht in einem Fach in einer Stunde zu erlernen. Deshalb ist politische Bildung in österreichischen Schulen sowohl als Unterrichtsprinzip für alle Schulstufen als auch als eigenständiger Gegenstand oder als Kombinationsfach ab der Sekundarstufe verankert.