Prozessoptimierung, Vernetzung und neue Geschäftsmodelle: Der Zug in Richtung "Fabrik der Zukunft" fährt ab. Sowohl in der Industrie, als auch in der Politik ist das Thema angekommen. Nun gilt es, in die Offensive zu gehen, um im internationalen Wettbewerb nicht unter die Räder zu kommen, erklärten Experten bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen der Plattform "Digital Business Trends" (DBT) gestern, Dienstagabend, in Linz."Das Thema ist eine Riesenchance für die österreichische Wirtschaft. Die Unternehmen haben aber noch wenig Ahnung, was man damit anfangen kann", sagte Wilfried Sihn, Geschäftsführer der Fraunhofer Austria Research GmbH und Professor an der Technischen Universität (TU) Wien. Sie müssten rasch geeignete Handlungsfelder identifizieren. Beispielsweise könnten intelligente Produkte ganz neue Geschäftsmodelle ermöglichen. Die größte Gefahr sei jedenfalls, nichts zu tun."Jeder auf der Welt beschäftigt sich inzwischen damit, die Japaner mehr mit Maschinen, die Amerikaner mit dem Internet und die Deutschen mit Anwendungen", so Sihn. Neu sei, "dass zum ersten Mal die Industrie anschiebt. Technologische Veränderungen sind sonst von der Wissenschaft getrieben. Aber auch in der Politik ist das Thema bereits angekommen". Derzeit sei eine Plattform im Entstehen, die für eine stärkere Vernetzung sorgen soll. Außerdem werde es vier bis sechs Vorzeigefabriken geben. "Die erste Demofabrik hat die TU bekommen. Das war eine unglaublich schwierige, ein Jahr dauernde Geburt. Die nächste entsteht vermutlich hier in Oberösterreich", erklärte der Manager.Befürchtungen hinsichtlich menschenleerer Fabrikhallen hält Sihn für unrealistisch. "Wir werden im ersten Schritt Arbeitsplätze verlieren, vor allem im Bereich der Niedrigqualifizierten. Hier laufen wir auf ein soziales Problem zu. Wenn wir es richtig machen, schaffen wir mehr Jobs - aber später und andere", ist der Experte überzeugt. Wichtig sei, die Mitarbeiter aufzuklären und ihnen die Angst zu nehmen. Außerdem bestehe die Chance, einen Teil der ins Ausland ausgelagerten Produktion nach Österreich zurückzuholen. "Das wird passieren, wenngleich im kleinen Umfang", so Sihn. Er plädiert für rasche Änderungen im Bildungssystem "vom Kindergarten an, um für die künftigen Anforderungen gerüstet zu sein".Zwtl.: "Industrie 4.0 benötigt auch den Mitarbeiter 4.0"Einen großen Personalabbau wird es auch nach Ansicht von Walter Schickmaier, Leiter des Bereichs Informationsmanagement und Managementsysteme bei voestalpine Stahl, nicht geben: "Vollautomatisierte Produktionsprozesse sind in der Stahlindustrie nicht mehr wegzudenken. Dazu haben und benötigen wir aber auch zukünftig exzellente Mitarbeiter." Klar sei, dass die Komplexität der Aufgabenstellungen deutlich steigen werde. Das verlange nach einer permanenten gezielten Weiterbildung der Mitarbeiter. "Industrie 4.0 benötigt auch den Mitarbeiter 4.0", so Schickmaier. Er geht davon aus, dass sich neue Berufszweige ergeben, in Oberösterreich sei beispielsweise Mechatronik sehr erfolgreich gewesen. Verstärkten Bedarf gebe es künftig bei den "Data Scientists".Für Schickmaier ist Industrie 4.0 nichts grundsätzlich Neues. "Wir haben schon immer an Vernetzung und Digitalisierung gearbeitet. Denn das ist der Schritt den man gehen muss, um den Standort und die Arbeitsplätze zu sichern", so der voestalpine-Manager. Aber die Aktivitäten rund um das Schlagwort Industrie 4.0 seien ein guter Katalysator. Die Förderungen würden dazu beitragen, dass sich breite Fachgruppen auf das Thema stürzen "und junge, engagierte Menschen verstärkt auf die hochgradig innovativen Herausforderungen der Industrie aufmerksam gemacht werden".Industrie 4.0 sei in Oberösterreich schon lange ein Thema, stellte Josef Kinast, Standortleiter der Siemens-Niederlassung Linz und Vorstandsmitglied der Industriellenvereinigung OÖ, fest. Schließlich stelle sich hier nicht die Frage, ob man mitmacht, sondern wie man das gestaltet. Er sieht dabei keine Revolution, sondern eine Evolution. Voraussetzung für einen Erfolg sei jedenfalls die Bereitschaft, Daten zu teilen. "Durch die gute Vernetzung wird das bei uns rasch funktionieren, weil sich die Verantwortlichen vertrauen und diesbezüglich viel offener agieren", so Kinast. Oberösterreich bringe auf wissenschaftlicher und industrieller Basis alle Voraussetzungen mit, diese 4. Industrielle Revolution - "oder besser Transformation" - voranzutreiben.Zwtl.: Neue Chancen für Start-ups"Industrie 4.0 ist im Moment nicht nur eines der am häufigsten angefragten Themen vonseiten etablierter Industriekunden, es ist auch ein spannendes Thema für die Start-up-Branche", ergänzte Olaf Hahn von IBM Österreich. Die rasanten technologischen Entwicklungen im Bereich Cloud Computing und "Internet of Things" würden lokalen Software-Entwicklern und Jungunternehmern internationale Geschäftsmöglichkeiten ungeahnten Ausmaßes bieten. So sei das 2012 gegründete Unternehmen LineMetrics mittlerweile Innovationsführer im Bereich der einfachen Sensordatenerfassung."Ich habe die Sorge, dass das Thema Sicherheit im Bereich Industrie 4.0 zu kurz kommt", brachte Helmut Pöllinger, Geschäftsführer des Sicherheitsspezialisten Brainloop Austria & CEE, einen weiteren Aspekt in die Diskussion ein. In der derzeitigen Euphorie über die umfassende Vernetzung, die enge Kooperation und Maschinen, die miteinander kommunizieren, sei das Bewusstsein jedenfalls nicht sehr hoch. "Hier müssen wir stärker aufklären", so der Experte. Gerade beim Austausch von Daten über Unternehmensgrenzen hinweg beziehungsweise bei systemkritischer Infrastruktur werde Sicherheit künftig ein wesentliches Erfolgskriterium darstellen.Zwtl.: Sicherheitsschub durch Automobilindustrie"Ich gehe davon aus, dass das Problem sehr rasch von der Automobilindustrie in Angriff genommen und letztendlich gelöst wird", gab sich Sihn überzeugt: "Das autonome Fahren kommt sehr bald und muss absolut sicher sein. Beim ersten Toten wegen eines erfolgreichen Hackerangriffs ist das Thema tot."Auf die zunehmend größer werdenden Datenmassen in der Industrie 4.0 verwies Marco Mülleder vom IT-Systemhaus NAVAX. "Österreich ist ein Land von Mittelstandsunternehmen. Daher sollte der Fokus auf Kerndaten liegen, die wirklich benötigt werden. Es macht keinen Sinn, tausend Daten zu sammeln, ohne sie zu nutzen", so Mülleder. Notwendig seien dabei aufeinander abgestimmte Prozesse und Systeme, damit Informationsnetzwerke, Strukturen und Daten gegen den Zugriff von Werksfremden geschützt und sicher verfügbar gemacht werden können. |