Wenn Manfred Hafner Vorlesungen über die Wasserstoffökonomie der Zukunft hält, flechtet er immer gerne eine gute Nachricht ein: „Es gibt grüne Energie im Überfluss“, sagt der Experte für die Energiewende von der Johns-Hopkins University. Dann zeigt er bunte Weltkarten, auf denen ein paar kleine schwarze Punkte den Weltenergieverbrauch in Form von eingestrahlter Sonnenenergie darstellen, oder Wind-Atlanten auf denen die 20 besten Winderntegebiete der Welt eingezeichnet sind. Die Nordsee, Kap Hoorn und das Kap der guten Hoffnung sind da auch dabei. Betrachtet man die atmosphärischen Turbulenzen als Kraftwärmemaschinen, so produziert die Erde auch allein mit Wind den hundertfachen jährlichen Energieverbrauch, sagt Hafner.
35 Gigatonnen CO2
Die Botschaft: Das Nachdenken über die Energiewende lohnt sich, auch wenn es noch haufenweise Herausforderungen gibt. Denn die Zeit drängt. Derzeit werden weltweit jährlich 35 Gigatonnen, also 35 Milliarden Tonnen Kohlendioxid freigesetzt. Zwar gab es eine kleine Delle aus Pandemiezeiten. Aber 2021 waren die Emissionen wieder auf „Normalniveau“. Um das Pariser Klimaziel mit einem maximalen Temperaturanstieg von 1,5 Grad einzuhalten, muss „business as usual“ aber ehebaldigst der Vergangenheit angehören. Denn das CO2 -Budget, das dazu noch in die Luft geblasen werden darf, beläuft sich laut IPC-Report nur noch auf knappe 500 Milliarden Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente. Ob eine CO2 -frei produzierende Welt noch schaffbar ist? Ja und nein. Nach den politischen Roadmaps wird es knapp. Denn selbst in den avanciertesten Klimaschutzszenarien, die mehr oder weniger alle Absichtserklärungen der Industrieländer beinhalten, wird man bis 2050 schwer das 1,5 Grad Ziel einhalten und eher die 2-Grad-Erwärmungs-Grenze schrammen. „Es muss deutlich schneller gehen“, sagt daher das wissenschaftliche Konsortium „Climate Action Tracker“, das die Maßnahmen aller Industriestaaten weltweit beobachtet.
Die fehlenden vier Fünftel
Das Grundproblem, das weltweit besteht, ist nicht ohne: Für zero-net-emission müssen alle fossilen Quellen Erdgas, Erdöl, Koks und Kohle aus der Bilanz der Primärenergie eliminiert werden. Von den rund 160.000 Terrawattstunden, die 2021 global verbraucht wurden, stammt aber derzeit nur knapp ein Fünftel aus erneuerbaren Quellen wie Wasser, Wind und Sonne. 80 Prozent der Primärenergie ist fossil. Auch Strom wird weltweit noch zu 70 Prozent aus fossilen Quellen Gas und Kohle erzeugt. Die Aufgabe der Energiewende besteht nun darin, nicht nur die Stromproduktion, sondern den gesamten Primärenergieverbrauch aus erneuerbaren Quellen zu bestreiten. Und das ist durchaus ambitioniert bis 2050.
Ab ins Stromzeitalter
Technisch möglich ist es. Das haben bereits eine Reihe von Studien durchgerechnet. Besonders prominent ist dabei die von der finnischen Universität LUT, die 2019 veröffentlicht wurde. Nach vierjährigen Vorarbeiten modellierte sie eine globale Weltenergieversorgung anhand von realen Daten und Kosten, die zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammt. Grundvoraussetzung: Alle Energiesektoren werden elektrifiziert und die gesamte Stromerzeugung auf das Vier- bis Fünffache des jetzigen Verbrauchs gesteigert. In den energieoptimierten Szenarien soll Primärenergie spätestens 2050 zu 69 Prozent aus Solartechnik und zu 18 Prozent aus Windkraft stammen. Der Rest kommt aus Wasserkraft (3 %), Bioenergie (6 %) und Geothermie (2 %). 2050 wird der Stromverbrauch daher 90 Prozent des Primärenergiebedarfes ausmachen. Gleichzeitig wird die Produktion fossiler und nuklearer Energie eingestellt.