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© Foto: wirestock/Freepik
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Grüner Stahl

Bis 2050 wird Stahl klimaneutral hergestellt. Die Industrie sorgt sich aber um seine Qualität. Ein Forschungsteam in Leoben sucht in einem neuen Christian-Doppler-Labor nach Lösungen.

von: Norbert Regitnig-Tillian

2050, so steht es auf der Homepage der voestalpine, soll die Stahlproduktion CO2-neutral sein. Damit wird auch jene Branche, die derzeit mit jährlich rund 15 Prozent des CO2-Ausstoßes Österreichs verantwortlich ist, ihren Transformationsprozess abgeschlossen haben und klimaneutral produzieren. Bis dahin sind freilich noch eine Reihe von Einzelschritten zu erledigen. Im März 2023 hat der Aufsichtsrat des Stahlkonzerns aber bereits grünes Licht für ein 1,5 Milliarden schweres Investitionsprogramm gegeben, um „greentec steel“, wie der Transformationsprozess genannt wird, zu konkretisieren. Zwei der fünf Hochöfen werden bis 2027 außer Betrieb gehen und durch Elektrolichtbogenöfen ersetzt. Sie können mit grünem Strom betrieben werden (eine UVP für eine 220-KV-Leitung ist abgeschlossen) und in Zukunft Stahl aus Eisenschwamm und Schrott  herstellen. Eisenschwamm ist dabei das poröse Produkt eines Prozesses, bei dem die Reduktion von Eisenoxiden zu Eisen auch mit grünem Wasserstoff klimaneutral erfolgen könnte. Gelingt es noch dazu, den unbedingt prozessnotwendigen Kohlenstoff für die Stahlproduktion im Kreislauf zu halten – etwa mit Carbon Capture & Utilisation (CCU)-Verfahren –, dann ist die „greentec Steel“-Vision perfekt. Grüner Stahl kann damit tatsächlich klimaneutral hergestellt werden.

Noch nicht alles grün

Bei der Umsetzung des „Green Deals“ in der Stahlproduktion gibt es freilich noch eine Reihe von Haken und Ösen. Abgesehen von derzeit noch offenen Fragen, wie etwa grüne Energie in der Größenordnung des halben österreichischen Gesamtstrombedarfes für die dekarbonisierte Stahlproduktion bereitgestellt werden soll und wie hoch die staatliche Förderquote für den Transformationsprozess des Stahlkonzernes ausfallen wird, könnte auch die grüne Stahlqualität zu einem Problem werden. Denn bei grünem Stahl wird Alteisen-Schrott eine wichtige Rolle spielen. Dessen Qualität lässt aber manchmal zu wünschen übrig. In Stahlschrott aus alten Waschmaschinen, Industrieabfällen aller Art oder Altautos von Autofriedhöfen finden sich bunt durcheinandergewürfelt und (oft) wenig sortiert Beimengungen von Kupfer, Molybdän, Chrom, Zinn, Nickel oder auch Arsen. Diese Begleitelemente gelten in der Metallurgie bereits in kleinsten Mengen als potenziell schädliche Elemente („tramp elements“), die Stahl verspröden lassen. Wird etwa ein Elektroauto beim Recycling nicht ordentlich zerlegt, können in den Stahlschrott vermehrt Kupferleitungen aus dem Elektroantrieb gelangen. „Kupfer lässt Stahl beim Walzen aber rissig werden“, erklärt Ronald Schnitzer, der Leiter des neuen Christian Doppler Labors für „Knowledgebased Design of Advanced Steels“ in Leoben. Die Crux dabei: Im Schmelzprozess lassen sich Begleitelemente aus dem Schrott oft nur schwer bis gar nicht aus dem Stahl entfernen.

Wachsender Schrottanteil

Szenarien gehen aber von immer höher werdenden Schrottanteilen aus. In Österreich wird er sich in den nächsten fünf bis sieben Jahren auf zwei Millionen Tonnen verdoppeln. Europaweit soll er 2030 bereits mehr als 60 Prozent betragen, 2050 sogar 75 Prozent.
Was aber bedeutet so viel Schrott für die Qualität? Gerade für Autohersteller wurden in den letzten Jahrzehnten Stahlsorten (hergestellt mit wenig Schrottanteil aus der Hochofenroute) entwickelt, die selbst im Leichtbau höhere Crash-Sicherheit boten – bei garantierten Qualitätsstandards. Stahlproduzenten könnte daher bald der besorgte Anruf von Industriekunden ereilen, ob die hohen Standards auch in Zeiten von klimaneutral produziertem Stahl mit hohem Schrottanteil garantiert werden können.

Grenzwerte unbekannt

Das Problem: Wo die maximalen Grenzwerte für qualitätsmindernde Begleitstoffe wirklich liegen, weiß man derzeit erst Daumen mal Pi. Im neuen Christian-Doppler-Labor „Knowledge-based Design of Advanced Steels“ in Leoben wollen Werkstoffforscher*innen der Sache auf den Grund gehen. „Wir wollen verstehen, wie diese Begleitelemente im Stahl wechselwirken, bis hinunter auf die atomare und quantenmechanische Ebene“, sagt CD-Laborleiter Ronald Schnitzer. Der dafür betriebene Aufwand ist jedenfalls hoch. Eingesetzt wird mehr oder weniger das gesamte Methodenarsenal der modernen Werkstoffforschung: KI-unterstützte Simulationsmethoden, mikromechanische Werkstofftests und „Superlupen“, mit denen im Atomgitter des Stahls sogar die Wirkung einzelner Begleit-Atome sichtbar gemacht werden können. Zum Einsatz kommen dafür unter anderem Österreichs einzige Atomsonden, aber auch hochenergetische Röntgentests im Hamburger Elektronensynchrotron „DESY“.

Grenzwert-Datenbank

Das Ergebnis sollte dann eine Art GrenzGrenzwert- Datenbank sein, die dokumentiert, ob und wie sich Begleitelemente im Schrott einzeln und im Bulk auf Stahl-Eigenschaften wie Zähigkeit, Festigkeit oder Verformbarkeit auswirken. Geht alles gut, könnten Qualitätsbedenken zerstreut, womöglich Grenzwerte für bestimmte Qualitäten sogar erhöht, wohlsortierter Schrott aber jedenfalls faktenbasierter auf einzelne Qualitätschargen aufgeteilt werden.
Die akribischen Material-Analysen könnten zudem für Überraschungen sorgen. Denn gefahndet wird auch nach sogenannten Getter-Elementen. Diese, auch als „Fangstoffe“ bezeichneten Elemente, könnten Verunreinigungen im Schrott sogar unwirksam machen. In der Stahlproduktion kennt man dafür etwa Titan. Dieses wird Stahllegierungen beigemengt, die mittels Bors härtbar gemacht werden sollen. Das Titan erhält dabei die positiven Eigenschaften des Bors und unterbindet gleichzeitig dessen Reaktion mit Stickstoff, was Bornitrat zur Folge hätte. Dieses ließe den Stahl verspröden. Ob und welche neuartigen „Getter-Elemente“ für Schrottverunreinigungen gefunden werden könnten, darüber könne man derzeit noch wenig sagen, meint Schnitzer. „In drei bis vier Jahren wissen wir aber mehr“.

Weitere Informationen unter: cdg.ac.at

 


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