Oberösterreich hat als Industrieland in letzter Zeit einige große Herausforderungen zu meistern. Hohe Energiepreise, instabile Lieferketten, blockierte Handelswege und große Wandlungsprozesse im wichtigen Mobilitätssektor fordern Wirtschaft und Politik. So beschäftigt der Trend zur Elektromobilität nicht nur die Fahrzeughersteller und Motorproduzenten, sondern besonders stark auch die zahlreichen Zulieferbetriebe. Viele Bauteile klassischer Verbrennungsmotoren haben eine Ablaufzeit, neue Ideen und Produkte sind gefordert. Neben den üblichen Technologiezyklen beschäftigt der Klimawandel und die große Herausforderung, die Klimaneutralitätsziele zu erreichen, die ganze Wirtschaft, Industrie und Gesellschaft.
Deshalb wird intensiv an neuen Lösungen für die große grüne Transformation geforscht, die zugleich dem zweiten großen Vorhaben der Menschheit, dem digitalen Wandel, gemeinsame Wege sucht, um höchste Effizienz zu erreichen und smarte wie auch nachhaltige Systeme, Prozesse und Produkte zu schaffen. Nachdem Austria Innovativ sich im Vorjahr besonders der Digitalisierung und KI gewidmet hat, steht diesmal die Mobilität im Vordergrund.
Future Mobility Region
In Oberösterreich sind in der Automotive-Branche rund 280 Unternehmen und Forschungseinrichtungen, darunter Größen wie Steyr Automotive, BMW, Rosenbauer, Miba oder FACC, vertreten. Sie erwirtschaften 11,5 Milliarden Euro Umsatz, erzielen 3,6 Milliarden Euro Wertschöpfung und beschäftigen mehr als 31.000 Leute. Mit den indirekten Beschäftigungseffekten sind es gar 87.000 Arbeitsplätze. Geforscht wird in zahlreichen Gebieten wie Simulationen, Leistungselektronik, Energiespeicher, elektrische Antriebe, Leichtmaterialien oder Kreislaufwirtschaft.
Die Initiative Future Mobility Region bietet eine Plattform, die die Kompetenzen sichtbarer machen soll und zur Vernetzung dient. Als Basis dient die neue Website „futuremobility-region.at“. „Sie macht die sechs Themenfel- der der Future Mobility Region sichtbar und wird ständig um neue Success Storys, Best-Practice-Beispiele und aktuelle Projekte erweitert“, erklärt Florian Danmayr, Manager des Automobil-Clusters und Schirmherr der „Future Mobility Region“.
Neue Fördermittel
Für innovative Projekte gibt es auch Förderungen. So wurden im Mai von einer internationalen Expertenjury sechs „Future Mobility“-Projekte zur Förderung empfohlen, an denen elf Unternehmen, vier außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, JKU mit zwei Instituten und die FH OÖ beteiligt sind. „Die Gesamtinvestitionssumme der ausgewählten Projekte beträgt 5,84 Millionen Euro. Das Wirtschaftsressort stellt 4,3 Millionen Euro Landesförderung bereit“, erklärt Wirtschafts- und Forschungs-Landesrat Markus Achleitner.
Forschungsthemen sind unter anderem Radarantennen im 3D-Druck, an denen Profacator aus Steyr, Infineon Technologies Linz, Silicon Austria Labs Linz und Tiger Coatings aus Wels forschen. Weiters werden neue Mikromobilitätsantriebe mit Zahnrädern mit funktionaler Beschichtung, die mit Sinter- Technologie hergestellt werden, entwickelt (Miba Sinter Austria, High Tech Coatings und die FH Oberösterreich). Ganz dem Reuse-Gedanken verpflichtet, entwickelt Schwarzmüller mit TCKT Wels, FH OÖ, TRIPAN und Synron Ladeböden für Nutzfahrzeuge und Anhänger, die aus recycelten Windradrotorblättern aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK) hergestellt werden.
Nachhaltigere Batterien
Gleich drei Projekte beschäftigen sich mit Batterien. Im kooperativen Forschungsprojekt „BattBox“ forschen der Maschinenbauer Fill aus Gurten, die AVL und die TU Graz an der nachhaltigen Produktion von effizienten Lithium-Ionen-Batteriesystemen für die Elektromobilität und einem Kreislaufwirtschaftskonzept. Das Bauunternehmen Swietelsky, Miba Battery Systems, Netz Oberösterreich und das Energieinstitut der JKU arbeiten wiederum an neuen Konzepten für die Elektrifizierung von Baustellen und den dazu passenden Energiespeichern. Ein zweites Leben will ein Konsortium um die Profactor im Projekt „BatteryLife“ Batterien aus Elektrofahrzeugen geben – etwa als Hausspeicher oder Pufferspeicher für Ladesäulen.
Stahl für die grüne Transformation
Österreichs größter Energieverbraucher, die voestalpine Stahl, forscht und arbeitet schon länger in vielen Bereichen an der grünen Transformation des Stahlsektors. Etwa auch an der Entwicklung neuer, elektrisch betriebener Hochöfen sowie der Wasserstoffproduktion, um das wichtige Produkt Stahl grüner zu machen. Zur Klimaneutralität tragen aber andere Bereiche bei. So wurden in Linz vor rund 20 Jahren die heute unverzichtbaren hochfesten, pressgehärteten Stähle entwickelt, die dank eines genialen Verzinkungsverfahren auch korrosionsfest sind.
Erfunden wurde das Verfahren von einem Team rund um Josef Faderl, dem heuer eine besondere Ehre zukommt. Denn die patentierte Erfindung wurde für den renommierten European Inventor Award 2023 nominiert (siehe Interview auf S.40). Heute sind die pressgehärteten Stähle in fast allen Autos in tragenden Bereichen im Einsatz und sorgen hier für mehr Sicherheit, ermöglichen geringes Gewicht, wodurch weniger Stahl erforderlich ist und zugleich der Treibstoffverbrauch sinkt.
Leichter und klimafreundlicher
Leichtere Bauteile und Fahrzeuge sind wichtig, um die CO2-Emissionen weiter zu reduzieren. Ein Spezialist auf diesem Gebiet ist das LKR Leichtmetallkompetenzzentrum Ranshofen des AIT, an dem schon einige wichtige Verfahren entwickelt wurden, um etwa den Ressourcenverbrauch in der Leichtmetallindustrie zu reduzieren. Eines dieser vom LKR geleiteten Projekte, opt1mus, beschäftigt sich etwa mit digitalen Assistenzsysteme zur Prozessoptimierung im Aluminiumstrangguss. Aluminium und andere Leichtmetalle als Bestandteile von leichten und zugleich robusten Fahrzeugbauteilen sind ein weiterer Beitrag zur Erreichung der Klimaziele, haben aber einen Nachteil. Die Herstellung und Verarbeitung ist sehr energieintensiv. Die Prozesse lassen sich aber mittels Cyber-Physischer Systeme (CPS) erheblich verbessern und energieeffizienter gestalten.
Dazu kommen nun digitale Zwillinge für die virtuelle Optimierung der Produktion. Der Vorteil: In den virtuellen Modellen lassen sich unzählige Varianten durchspielen. Die neuen, ganzheitlichen digitalen Assistenzsysteme ermöglichen es, die Produktion rasch an innovative Prozesse und neue Legierungen anzupassen.
Bessere Wasserstofftanks
Am LKR wird aktuell auch im EU-Projekt MAST3RBoost an neuartigen Wasserstofftanks gearbeitet. Dabei geht es besonders um die Entwicklung einer neuen Generation von ultraporösen Speichermaterialien (Aktivkohlen/ACs und metallorganische Gerüstverbindungen/MOFs) für wasserstoffbetriebene Fahrzeuge, inbesondere für Lastwagen, Busse, Schiffe und Zügen. Zugleich wird an einer industrietaugliche Lösung für die H2-Speicherung bei kryogener Speichertemperatur (-180°C) unter Kompression (100 bar) gearbeitet. Dadurch soll die H2-Aufnahmekapazität um 30 Prozent gesteigert werden.
Das Marktvolumen in der EU wird für Wasserstoffantriebslösungen auf 130 Milliarden Euro geschätzt. Die neue Generation ultraporöser Materialien wurde übrigens mittels Machine-Learning-Methoden optimiert. Das LKR bringt besonderes seine Expertise im Bereich Wire-Arc Additive Manufacturing (WAAM) ein. „Das Demonstratorbauteil, ein neuartiger Wasserstofftank, soll am LKR mittels WAAM hergestellt werden. Dabei werden spezielle am LKR entwickelte Aluminium- und Magnesiumlegierungen zum Einsatz kommen“, erklärt der AIT-Projektverantwortliche Stephan Ucsnik.
Selbstoptimierte Fertigungsprozesse
Machine Learning spielt auch im Projekt Data-T-Rex eine wichtige Rolle, das sich mit der Entwicklung nachhaltiger, intelligenter und selbstoptimierender Fertigungsprozesse für hochqualitative Leichtmetallprodukte beschäftigt. Intensiv wurde über zahlreiche weitere Projekte für grüne Prozesse, nachhaltigere Materialien oder die „Grüne Gießerei 4.0“ auf den 12. Ranshofener Leichtmetalltagen im Oktober 2022 diskutiert. Etwa auch über das europäische Projekt SUSTAINair, das noch bis 2024 läuft und einen wichtigen Beitrag für eine grünere Luftfahrt dank der Entwicklung von leichteren, intelligenten und funktionsintegrierten Struktur- und Triebwerkskomponenten leisten wird.
Die neue TU Linz
Für viel Aufsehen und heiße Diskussionen sorgt die neu geplante TU Linz schon seit ihrer ersten Ankündigung. Wie sich das Institute of Digital Sciences Austria (IDSA) in der Landschaft der technischen Universitäten Österreichs und gegenüber der Johannes Kepler Universität (JKU) in Linz, die ja selbst technische Institute hat, positionieren wird, wird sich erst zeigen. Auch, ob es eine Erfolgsgeschichte wie etwa das längst sehr renommierte Institute of Science and Technology Austria (ISTA) in Klosterneuburg wird. Das hat freilich eine andere Mittelausstattung und ist als rein postgraduales Spitzenforschungsinstitut konzipiert.
Doch vieles kann man sich hier sicher Abschauen. Für Spannung ist auf alle Fälle gesorgt. Jedenfalls wurde jüngst nach einigen Querelen Stefanie Lindstaedt zur Gründungspräsidenten designiert. Sie ist eine renommierte Professorin für Informatik an der TU Graz und zugleich Geschäftsführerin des sehr erfolgreichen Know-Center in Graz, das auf datengetriebene Wirtschaft und Künstliche Intelligenz spezialisiert ist. In Summe gab es 15 Bewerbungen für diesen Job, sieben stellten sich letztlich dem Hearing des Gründungskonvents.
Neuer JKU-Rektor
Unter den Bewerbern war auch Meinhard Lukas, seit 2015 Rektor der JKU, dessen Funktionsperiode im September 2023 ausläuft. Für das Rektorat an der JKU hat er sich nicht mehr beworben. Als neuer JKU-Rektor wurde Anfang Mai der Wirtschaftsinformatiker Stefan Koch gewählt. Er ist seit 2019 Vizerektor für Lehre und Studierende an der JKU. Habilitiert hat der Wirtschaftsinformatiker an der Uni Wien, internationale Erfahrung konnte Koch von 2008 bis 2016 an der Boğaziçi University in Istanbul sammeln, wo er vier Jahre das Department of Management geleitet hat, um dann als Vorstand des Instituts für „Wirtschaftsinformatik – Information Engineering“ an die JKU zu gehen.
Eine Herausforderung wird sicher die Zusammenarbeit und Abstimmung mit dem IDSA, das sich mit der JKU den Campus teilt, was gemeinsame Forschungsprojekte und Veranstaltungen erleichtern wird. „Die JKU möchte das Motto ‚Zwei Universitäten, ein Campus‘ proaktiv leben und langfristig zu einer Win-win-Situation für alle und einem gemeinsa-men strategischen Wachstum beitragen. Konkret müssen Forschungskooperationen mit dem IDSA oder abgestimmte und sich ergänzende Studienprogramme dazu führen, dass der Standort insgesamt mehr Studierende und Forscher*innen anzieht,“ sagt dazu Koch.
Wasserstoff-Offensive
In Oberösterreich benötigt der produzierende Sektor rund 40 Prozent des Endenergieverbrauchs. Da insbesondere Erdgas nicht überall rasch ersetzt werden kann, wurde im Land ob der Enns von der Landesregierung die Wasserstoff-Offensive 2030 gestartet. „Eine Transformation des Energiesystems ist nur möglich, wenn Industrieprozesse, Strom, Wärme und Mobilität als großes Ganzes be- trachtet werden“, erklärt Landeshauptmann Thomas Stelzer.
Neues Wasserstoff-Forschungszentrum
Geplant sind ein Wasserstoff-Forschungszentrum in Wels, das in der ersten Phase vom Land mit sechs Mio. Euro gefördert wird, ein Wasserstoff-Netzwerk sowie die Förderausschreibung „Future Energy Technologies“, die vom Land mit drei Mio. Euro gefördert wird. Die Förderquote liegt bei bis zu 85 Prozent. Einreichungen sind bis 14. September 2023 möglich. Die Wasserstoff-Offensive will nicht nur vernetzen, sondern besonders auch neue, innovative und auch kooperative Projekte fördern.
Bosch entwickelt etwa seit 2022 in Linz wichtige Komponenten wie Einblasventile, Tankventile und Elektrolyse-Stack für grüne Wasserstoff-Anlagen. „Mit vereinten Kräften von Wirtschaft, Politik und Bildung kann es gelingen, einen Spitzenplatz in der Europaliga der Wasserstoff-Forschung, -Entwicklung und -Herstellung inklusive der stofflichen Verwertung zu erzielen“, meint Christian Ganser, Standortleiter Bosch in Linz, der auch Mitglied im Strategieboard der Wasserstoff-Offensive 2030 ist.
Jüngst ging auch der geologische Wasserspeicher von „Underground Sun Storage“ in Rubensdorf in Betrieb.: „In unserer richtungsweisenden Demonstrationsanlage bringen wir 4,2 Millionen Kilowattstunden Sommerstrom in Form von Wasserstoff in den Winter und machen die Erneuerbaren damit versorgungssicher“, erklärt Markus Mitteregger, CEO der RAG Austria, die das Projekt leitet. Zahlreiche weitere Lagerstätten sollen folgen.