04/2024 Forschung
Alle Fotos: © Recendt
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Fusionsforschung Schwingende: Diamant-Klangschalen

Mit der Entwicklung einer neuen Präzisionsmessmethode lösten Linzer Forscher ein Messproblem für die US-amerikanische Kernfusionsforschung.

von: Norbert Regitnig-Tillian

Bei „Klangschalen“ denkt man zwar automatisch zuerst an asiatische Musikinstrumente, bei der eine Metallschale mittels Klöppel zum Schwingen und Klingen gebracht wird. Das Prinzip der Schwingungserzeugung wird aber nicht nur für musikalische Wohlfühltherapien verwendet, sondern auch für die präzisesten Werkstoffvermessungen, die derzeit möglich sind.

Für die Linzer Forscher vom Research Center for Non-Destruc-tive Testing (RECENDT) war das „Klangschalen“-Prinzip denn auch der Ausweg, mit dem sie eines der kniffligsten Probleme der derzeitigen Kernfusions-Forschung am Lawrence Livermore National Laboratory (LLNL) in Kalifornien lösen konnten. Dort hatte man nach jahrzehntelanger Forschung mit der „National Ignition Facility“, einer stadiongroßen Laseranlage, 2022 das Kunststück zuwege gebracht, dermaßen hohe Tempera-turen zu erzeugen, dass in einer pfefferkorngroßen Brennstoffkammer Wasserstoffplasma erzeugt und eine Kernfusion ausgelöst werden konnte.

Zwar verschmolzen in dem Hochtemperaturplasma schwere Wasserstoffatome aus Deuterium und Tritium nur für einen winzigen Bruchteil von einer Sekunde und es konnten auch nur kleine Energieüberschüsse erzeugt werden (und das auch nur dann, wenn man die Energie für die Laserstrahlproduktion nicht miteinrechnete). Das NIF-Team konnte aber dennoch weltweit erstmals zeigen, dass ihr Fusionsprinzip funktioniert – eine Sensation, die international weit über die Forschungscommunity hinaus für großes Aufsehen sorgte.

Brennstoffkammern aus ­perfekten Hohlkugeln

Bei der nachfolgenden Analyse der Fusionsversuche kam dann aber ein überraschendes Ergebnis zu Tage: Ob eine Fusion überhaupt eintrat und, wenn ja, wie hoch die Energieausbeute werden konnte, war von einem entscheidenden Faktor abhängig: Die Experimente funktionierten nur dann, wenn die Brennstoffkammern aus geometrisch nahezu perfekten Hohlkugeln bestanden. Die „Targets“, auf die 196 Laserstrahlen ihre gebündelte Energie abfeuern, bestehen aus 0,08 Millimeter dünnen Hohlkugeln aus synthetischem Diamant.

Die Analysen zeigten, dass erst dann, wenn dieses Material so gut wie ohne Verunreinigungen und noch dazu „kugelrund“ war, die Brennstoffkammer durch den Laserbeschuss zuerst explodieren und dann, quasi im selben Moment, durch die hohe Energieeinbringung perfekt in Richtung Mittelpunkt implodieren konnte. Oder anders formuliert: Erst eine perfekte Geometrie der Hohlkugeln ließ es zu, dass genügend Energie auf den Hotspot übertragen wurde, um im entstehenden Wasserstoffplasma Kernfusionen anzuregen.

Zwar haben die Fusionsforscher seit 2022 erfolgreiche Fusionsereignisse bereits mehrmals wiederholen können. Für größere Energieausbeuten reichte es aber nicht. Nun wurden zwar Methoden gefunden, um geometrisch mitunter makellose Hohlkugeln anfertigen zu können. Das Problem dabei war allerdings: Um die winzigen Kügelchen auf ihre Makellosigkeit überprüfen zu können, fehlten die Messgeräte.

Noch nie erreichte Präzision

Hier kamen nun die Linzer Recendt-Forscher ins Spiel: Sie überlegten sich eine Methode, um die hauchdünnen Dimanthohlkugeln mit noch nie erreichter Präzision zu vermessen. Die erforderlichen Messgenauigkeiten in der Größenordnung von einigen Nanometern lassen sich normalerweise zwar mit Interferometern erreichen, die mit dem Prinzip der Lichtwellen-Reflexion arbeiten. „Das Material der untersuchten Hohlkugel ist aber fast intransparent“, sagt Martin Ryzy von RECENDT. „Daher kann man diese optische Methode, die bisher verwendet wurde, nur unzureichend anwenden.“

In Kooperation mit dem Target-Zulieferer General Atomics aus Kalifornien entwickelte das Linzer Team nun eine neue Präzisions-Messmethode, die auf dem Phänomen der Resonanzschwingungen aufbaut: Regt man eine dünne Hohlkugel genau mit jenen Frequenzen zu schwingen an, die mit einer der natürlichen Eigenfrequenzen des Objekts übereinstimmen, entsteht auf der Oberfläche eine „stehende Welle“. Diese repräsentiert genau jene „Tonhöhe“, die einer Eigen-frequenz der Hohlkugel entspricht. Das hohle Diamantkügelchen wird zur Klangschale. Im Falle des getesteten Brennstofftargets liegen diese Frequenzen im unhörbaren Ultraschallbereich. Aber auch wenn die erzeugten Wellenberge und -täler der nun schwingenden Klangschale noch so klein sind, können sie nun mit einem hochauflösenden Interferometer exakt vermessen werden.

Präzisionsmessungen in Linz

Die praktische Umsetzung des „Klangschalen-Prinzips“ hatte freilich einige Stolpersteine: „Eine der größten Herausforderungen bestand darin, die Ultraschallwellen präzise in einem sehr kleinen Bereich zu erzeugen – und zu messen, ohne die empfindlichen Kügelchen zu beschädigen“, sagt Ryzy. Eingesetzt wurde dafür ein pulsierender Laser, der im Material periodische Temperaturänderungen erzeugt und dadurch die Ultraschallwellen anregt. Mit einem zweiten Laser, der Teil eines hochsensiblen Laser-Interferometers ist, wurden dann die winzigen Auslenkungen der Oberfläche detektiert. Sie bewegen sich in der Größenordnung von wenigen Pikometern, was gerade einmal ein paar Milliardsteln eines Millimeters entspricht.

Aus diesen Messdaten können dann mit mathematischen Modellen Wanddicken-Abweichungen der Diamantkapseln erfasst werden, die sich im Bereich von 10 Nanometern (10 Millionstel Millimetern) bewegen – eine zuvor noch nie erreichte Genauigkeit. Aktuell werden die Präzisionsmessungen noch in Linz durchgeführt. Ziel ist es nun, die Messmethode so weiterzuentwickeln, dass sie bei den Projektpartnern in Kalifornien automatisiert durchgeführt werden kann. Damit können nun die besten Target-Exemplare selektiert werden, um künftige Fusionsexperimente noch erfolgreicher zu machen. 

Lesen Sie diesen Text ab Seite 24 der aktuellen Ausgabe 4-24 oder am Austria Kiosk!


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