Wirtschaft
© RAEng / Unsplash
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Frauen in der Technik und Wissenschaft

Der Anteil von Frauen in der Wissenschaft ist immer noch gering. Austria Innovativ stellt in dieser und künftigen Ausgaben einige Forscherinnen vor und lässt sie über ihre Forschung und Erfahrungen in einer männerdominierten Forschungswelt sprechen.

Christine Wahlmüller-Schiller, schon lange im IT-Frauen-Netzwerk WOMENinICT tätig und Marektingexpertin am AIT, half dabei, Statements einzuholen. Mehr zum Thema gibt es auch in unseren Mediekooperationen mit dem BMK und der FH OÖ.

GERTI KAPPEL - TU WIEN

Gerti Kappel kann wohl als eine der Pionierinnen an den Technischen Universitäten in Österreich betrachtet werden. Leider hatte Sie aktuell keine Zeit, direkt zu antworten. Da die Professorin für Wirtschaftsinformatik an der TU Wien aber sehr aktiv ist und als erste FEMtech-Expertin des Monats Mai 2005 Interviews für die BMK-Initiative FEMtech gab und jüngst wieder eines für die TU Wien-Serie "Woman in Science" mit Edith Wildmann, nachfolgend eine kurze Zusammenfassung einer außerordentlichen Karriere sowie ein Portrait einer ausgezeichneten Forscherin.

Beim Studium hat sich Gerti Kappel nicht viel Zeit gelassen. Bereits mit 24 Jahren schloss sie ein Doppelstudium als Magistra und Diplomingenieurin ab. Mit 33 Jahren wurde sie zur Professorin für Informationssysteme an die JKU Linz berufen, wechselte dann zur TU Wien und leitet hier das Institut für Softwaretechnik und Interaktive Systeme. Seit 2020 ist sie hier die erste Dekanin für Informatik. Seit langem ermutigt sie Frauen zu einer Karriere in der Technik und sorgt sich laufend um Frauenförderprogramme auf Universitätsebene. 2019 bekam Gerti Kappel den Sonderpreis „Digital Woman Leader“ im Rahmen der Prämierung beim „Staatspreis Digitalisierung 2019“.

Wo liegen Ihre ganz persönlichen Wurzeln (Interview 2005)?
Ich bin in Wien geboren. Aber meine Wurzeln liegen im Burgenland, in einem bäuerlichen Milieu. Meine Eltern arbeiteten von Montag bis Freitag in Wien und waren am Wochenende im Burgenland. Bis 16 habe ich meine gesamte Freizeit am Bauernhof und auf dem Feld verbracht. Das hat mir eine gute Startbasis fürs Leben gegeben: Ich hab körperliche Arbeit schätzen gelernt – und die Devise: Man muss etwas tun, dann kann man etwas erreichen.

Sie haben schnell Karriere gemacht. War das so geplant (2005)?
Es waren kleine Schritte – nach dem Studium wurde mir eine Assis- tentenstelle am Statistik- und Informatik-Institut von Professor Bruckmann angeboten. Also habe ich dissertiert – das hatte ich vorher gar nicht wirklich im Sinn. Nach der Promotion sagte mein Chef: Du musst unbedingt zu einem Post-Doc-Aufenthalt ins Ausland. Also ging ich an das Centre Universitaire d’Informatique in Genf. Nachdem ich zurückkam, habilitierte ich mich. Die Entscheidungen habe ich schrittweise getroffen. Aber sobald ich zu etwas entschlossen war, habe ich meinen Weg konsequent verfolgt. Für mich war auch klar: Solange ich dissertiere und mich habilitiere, werde ich keine Kinder kriegen. Danach kümmerte sich vor allem mein Mann, ebenfalls Informatiker, um die Kinder.

Was haben Sie für ein Verständnis von Teamführung (2023)?
Ich leite seit dreißig Jahren Forschungsgruppen. Dabei wird einem schnell klar: „Ich bin abhängig von meinen Mitarbeiter*innen, und meine Mitarbeiter*innen sind abhängig von mir“, nur gemeinsam sind wir stark.

Welche Maßnahmen braucht es, um junge Frauen zu überzeugen, eine Karriere in der Technik zu beginnen (2023)?
Wir leben nach wie vor in einer konservativen Gesellschaft, mit konservativem Schulsystem und konservativen Familien. Das muss aufgebrochen werden. Und es braucht role models, role models, role models ... erste Ansätze sind da, aber es gibt noch viel zu tun.

SIMONE KOPEINIK - Know-Center

Simone Kopeinik zog es nach dem Studium an der TU Graz nach Spanien und Australien, um schließlich ihre Dissertation wieder an der TU Graz zu absolvieren. Dabei befasste sie sich am Institut für Interaktive Systeme und Data Science mit Empfehlungssystemen für den Einsatz in digitalen Lernumgebungen und der Modellierung von kognitiven Prozessen, die als Grundlage dafür dienen. Im Jänner 2019 begann sie als Senior Researcher am Know-Center in Graz und ist aktuell als Deputy Research Area Manager – Fair AI mit einem absoluten Trend-Thema beschäftigt.

„Dabei geht es nicht nur um Deep Learning Algorithmen, sondern in Übereinstimmung mit dem AI Act um eine sehr breite Kategorie an Software, die anhand unterschiedlicher Methoden Menschen in der Entscheidungsfindung automatisiert unterstützt“, erklärt Kopeinik. „Mein Fokus liegt auf einer ganzheitlichen Betrachtung von AI-Systemen, die es erlaubt, Fairness-Verletzungen und Diskriminierung in AI zu verstehen. Die Fairness eines Systems kann in allen Phasen der Softwareentwicklung beeinträchtigt werden“, so die Forscherin.

Was ist das Spannendste an Ihrer aktuellen Forschungs-Arbeit?
Die Gewährleistung von Fairness wird beim aktuell immer breiteren Einsatz von Künstlicher Intelligenz als essenziell betrachtet. Es ist die Voraussetzung, um negativen Auswirkungen auf Individuen und Gesellschaftsgruppen, die systematisch Benachteiligung erfahren (haben), entgegenzuwirken. Ich interessiere mich vor allem für die Untersuchung von Biases, die durch vorab gesammelte Daten oder durch Daten, die in der menschlichen Interaktion mit dem System entstehen, in die Software gelangen. Diese Biases werden von den Algorithmen gelernt und repliziert und können zu Fairness-Verletzungen führen. Wichtig ist es, ein fundiertes Verständnis der Biases zu erlangen, um die Auswirkungen auf die Ergebnisse und potenziell auf die Gesellschaft zu verstehen und auch um mögliche Strategien zur Abschwächung dieser Biases zu entwickeln.

Was ist aktuell für Sie die größte Hürde oder Herausforderung?
Im Wesentlichen sehe ich zwei Herausforderungen, die aber eng miteinander verbunden sind: Zum einen neben den organisatorischen Aufgaben, die mittlerweile zu meinem Tätigkeitsfeld gehören, auch noch genug Zeit und Ruhe für tiefergreifende Forschungsarbeit zu finden, und zum anderen bei der rapide wachsenden Wissensbasis rund um das Themengebiet Fairness und Trustworthy AI stetig auf dem aktuellen Stand zu bleiben.

Haben es Frauen in der Forschung in Österreich schwer?
Ich denke generell, dass es Forscher*innen in Österreich schwer haben. An den Universitäten gibt es nur eine sehr beschränkte Anzahl an unbefristeten Forschungsstellen, und durch die neue Kettenvertragsregelung werden leider auch längerfristige Selbstfinanzierungen durch die Akquise von Drittmittelprojekten quasi unmöglich gemacht. Im Forschungsbereich fehlt es an Geld für sichere Arbeitsplätze. Das treibt viele hoch qualifizierte Forscher*innen in die Wirtschaft. Für viele Frauen kommt die Familienplanung noch (stärker als bei Männern) erschwerend dazu. Man muss sich genau überlegen, ob und wann es genug Platz für Karenzzeiten und Kinderbetreuung in welcher Karrierephase gibt.

Wie kann der Frauenanteil in der Forschung gesteigert werden?
Um mehr Frauen für Forschungsarbeit zu begeistern, sollte es Perspektiven auf sichere Arbeitsplätze geben. Ein erster Schritt hier wäre die Verbesserung der Arbeitsplatzbedingungen und die damit verbundene Schaffung längerfristiger Arbeitsverhältnisse. Hilfreich wäre auch eine differenziertere Bewertung der Forschungsleistung, die gegebenenfalls Toleranz für Lücken im Lebenslauf schafft. Problematisch sind die immer noch kaum vorhandenen weiblichen Vorbilder. Junge Frauen trauen sich bei gleicher Kompetenz oft weniger zu als ihre männlichen Kollegen, weshalb sie oft auf gängige Karrierewege wechseln. Ein besser durchdachtes Angebot an Sommerpraktika und stipendierten Sommerkursen sowie das Sichtbarmachen von in der Forschung erfolgreichen Frauen mit diversen demografischen Merkmalen und Lebensläufen wären die ersten beiden Schritte auf meiner Liste.

Welche Tipps haben Sie für junge Frauen?
Ich würde ihnen raten, ihren Interessen zu folgen, sich nicht einschüchtern zu lassen und es einfach auszuprobieren. Ansprechpersonen und Netzwerke von Gleichgesinnten können außerdem dazu dienen, sich über tägliche Herausforderungen und Zweifel auszutauschen. Da merkt man schnell, dass viele mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben.

JULIA HIMMELSBACH - AIT Austrian Institute of Technology

Julia Himmelsbach, Kommunikationswissenschaftlerin und seit 2014 Forscherin am AIT Center for Technology Experience, hat sich bereits in ihrer Diplomarbeit mit der Frage beschäftigt, wie ältere Menschen Erfolg und Misserfolg im Umgang mit Technologien erklären. Forscherin wollte sie schon frühzeitig werden: „Es ist eine Arbeit, die es erlaubt, sowohl kreativ zu sein als auch analytisch zu denken und die das Potenzial hat, etwas zu bewirken.“

Die Diversity-Expertin forscht im Bereich diversitätssensible Technologieentwicklung. „Mein Anliegen ist es, dass Technologieentwicklung auch oft weniger adressierte Nutzer*innen-Gruppen, etwa Frauen oder ältere Menschen, berücksichtigt und die digitale Handlungsmacht und das Selbstvertrauen unterschiedlichster Menschen gestärkt werden.“ Im aktuellen Projekt DemiCare geht es um technologiegestützte Unterstützung von pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz. „Alle Projekte sollen zu einer gerechteren und nachhaltigeren Gesellschaft beitragen“, unterstreicht Himmelsbach.

Was ist das Faszinierendste an Ihrer aktuellen Forschungs-Arbeit?
Neue Technologien sind allgegenwärtig und verändern, wie wir miteinander umgehen und zusammenleben. Momente zu identifizieren, die auf individueller und sozialer Ebene zu einer gerechteren Welt beitragen, ist für mich das Spannendste an meiner Arbeit. Genau dazu forschen wir, übrigens immer unter Einbeziehung von potenziellen Nutzer:innen . So gewinnen wir berührende und spannende Einblicke und entwickeln Prototypen, die wir dann gemeinsam mit Unternehmen und NGOs in die Praxis bringen.

Was ist aktuell für Sie die größte Herausforderung?
Ich versuche in meiner Forschung Stereotypen und Vorurteilen, die wir all haben, explizit entgegenzuwirken und auch Entwickler:innen darin zu unterstützen, ihre Designs und Technologien diversitätssensibler zu gestalten. Diese Selbstkritik braucht häufig Überwindung, Zeit und den Willen, sich mit eigenen Privilegien und negativen Erfahrungen aufgrund der eigenen Identität auseinanderzusetzen. In der Forschung braucht es noch mehr Bewusstsein für die Einflüsse der eigenen soziale Identität auf unsere Ergebnisse.

Haben es Frauen in der Forschung in Österreich schwer?
Die Forschungslandschaft ist noch immer durch maskuline Normen geprägt. Häufig findet z. B. eine Überbetonung von Konkurrenz statt, obwohl Wissenschaft von Kooperation und Zusammenarbeit profitiert. Feminin konnotierte Eigenschaften, wie Empathie und Kommunikationsstärke, werden dann weniger geschätzt, obwohl sie gerade bei der Erforschung von individuellen und sozialen Erfahrungen zentral sind. Damit einhergehend werden Frauen und nicht-binäre Personen häufig unterschätzt.

Wie kann der Frauenanteil in der Forschung gesteigert werden?
Ich denke, dass eine Verbesserung nicht durch einzelne Maßnahmen erreicht werden kann, sondern nur durch gezieltes Zusammenwirken von Maßnahmen, die auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen. Maßnahmen sollten Personalrekrutierung, berufliche Entwicklung, Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Privatleben, Organisationskulturen, räumliche Ausstattung etc. berücksichtigen. Wichtig ist dabei, dass Frauen nicht als homogene Gruppe gesehen werden, sondern anerkannt wird, dass Frauen oft unterschiedliche Benachteiligungen erfahren: als Mütter, Women of Color, Frauen mit Behinderung(en). Außerdem braucht es Mut, diese Benachteiligungen auch als Diskriminierungen zu benennen – nur dadurch können wir sie überwinden.

Welche Tipps haben Sie für junge Frauen, um in der Forschung Karriere zu machen?
Mein Ratschlag für Studentinnen und junge Wissenschaftler:innen ist, dass sie sich Verbündete suchen und in Gruppen zusammenarbeiten, die sich gegenseitig unterstützen. Solidarität und Empathie sind wichtig – auf individueller Ebene, organisationaler Ebene und Ebene der Scientific Community.

Wo wollen Sie in fünf Jahren stehen?
Ich möchte gerne meinen Weg weiter gehen und als Forscherin zu einer gerechteren und nachhaltigeren Gesellschaft beitragen. Wir arbeiten aktuell in einem großartigen Team aus Forscher:innen aus unterschied- lichen Disziplinen. Ich hoffe, dass dieses Team weiterwachsen kann und wir unsere Herangehensweisen weiter etablieren und so zu diversitätssensibleren Technologieentwicklungen beitragen können.

Lesen Sie den ungekürzten Artikel ab Seite 8 der aktuellen Ausgabe 3-23 oder am KioskAustria!


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