Die ersten Ansätze für die tier- und pflanzenlose Lebensmittelproduktion wurden in den 1960er-Jahren entwickelt. Der Schlüssel dazu ist der Kohlenstoff, sagt Diethard Mattanovich vom Institut für Mikrobiologie und mikrobielle Biotechnologie an der Wiener Universität für Bodenkultur. „Damals überlegte die Forschung noch, wie man Kohlenwasserstoffe, vor allem Erdgas, zur Nahrungsmittelproduktion einsetzen könnte.“ Die Lösung: Kohlenwasserstoffe lassen sich mittels Energie und chemischen Prozessen in die Einzelbestandteile zerlegen – etwa Essig- oder Ameisensäure, aber auch Alkohole wie Methanol oder Ethanol. Mikro-organismen – Hefen, Bakterien oder Pilze – könnten diese einfachen chemischen Verbindungen dann zu Aminosäuren oder Proteinen verstoffwechseln.
Das Interessante dabei, das Mikro-benfutter kann auch aus anderen Quellen stammen: „Heute nimmt man den Kohlenstoff für solche Prozesse nicht mehr aus fossilen Quellen, sondern aus dem Klimagas CO2“, sagt Mattachovich.
NASA-Studie machte den Anfang
Einst, in den 1960er-Jahren, war wie so oft die Weltraumforschung vorn mit dabei. So hat die NASA 1967 eine Studie publiziert, die erläutert, wie sie eine 100-köpfige Crew auf einem mehrjährigen Flug zum Mars mit Nahrung versorgen würde.
Die Studie beschreibt detailliert die Möglichkeiten der Biosynthese von Aminosäuren und Proteinen durch Mikroorganismen, die Folgeprodukte aus dem CO2 der Atemluft der -Astronauten verstoffwechseln. Schon damals war aus der Forschung der Petrochemie bekannt, dass man mit entsprechenden Mikroorganismen Nahrungsprodukte mit einem Proteingehalt von 70 bis 75 Prozent erzeugen könnte.
Größter Effekt: Lebensmittel
Die Forschung in der mikrobiellen Biotechnologie ist heute freilich schon wesentlich weiter. Hefen, Bakterien und Pilze können mittels gentechnischer Eingriffe so designt werden, dass sie sich direkt aus CO2 und CO2-Folgepprodukten (C1-Produkte) ernähren und mit ihrem Stoffwechselprozess eine breite Produktpalette erzeugen können – nicht nur hochwertige Proteine, sondern auch Plastik und Benzine. Und auch die Abspaltung von CO2 aus Luft und Rauchgas ist inzwischen weit fortgeschritten.
Im Rahmen des Klimaschutzes hätten vor allem tier- und pflanzenlos erzeugte Lebensmittel den größten Effekt. Denn „die Landwirtschaft ist heute für 25 bis 30 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich“, sagt die Mikrobiologin Simone Bachleitner. Sie hat mit ihrer Kollegin Özge Ata und Diethard Mattanovich Ende letzten Jahres einen Artikel über das Potenzial mikrobieller Biotechnologie zur Bekämpfung der Klimakrise in „Nature communications“ veröffentlicht.
Entlastung in der steigenden Landnachfrage
Da die Weltbevölkerung weiterwächst und im Jahr 2050 voraussichtlich 10,4 Milliarden Menschen erreichen wird, könnte mikrobiell erzeugte Nahrung für eine Entlastung in der steigenden Landnachfrage sorgen. Derzeit wird etwa die Hälfte der Agrarfläche für die Futtermittelproduktion von Tieren verwendet. Soja für die Tierfütterung könnte aber sukzessive durch mikrobielle Proteine ersetzt werden, die von -Mikroorganismen erzeugt werden, die Kohlenstoff aus der Luft verstoffwechseln. Aber auch die Produktion von Fischfutter oder der Ersatz von Palmöl könnte in Zukunft nicht am Land, sondern in Bioreaktoren stattfinden. Möglich ist es bereits – so wie die Fütterung von Mikroben mit „Luft-Kohlenstoff“ für die mikrobielle Herstellung von Milch-, Ei- und Fleischprodukten. Auch das wäre ein wertvoller Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise. Denn die weltweite Fleisch- und Milchproduktion ist mittlerweile für 14,5 Prozent der jährlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich.
Die Bill & Melinda Gates Foundation und die Novo Nordisk Foundation unterstützen bereits ein neues Konsortium, das CO2 in Proteine für Lebensmittel umwandelt. Ziel ist, innerhalb von zwei Jahren Demons-trationsmaßstäbe für diese Technologie zu erreichen, die das Potenzial haben, die Ernährungssicherheit besonders in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen zu verbessern.