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Erneuerbare Energietechnologien: Über den Tellerrand geschaut

Nachhaltige Energietechnologien sind dringend notwendig, um den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und die Klimakrise einzudämmen. Derartige Energielösungen sind jedoch auch nicht ohne ökologische oder soziale Belastungen möglich. Eine neue Untersuchung widmet sich der Vielschichtigkeit dieser Problematik.

von: Helene Fiegl

Erneuerbare Energietechnologien sind ein Eckpfeiler für die Klimawende. Doch die Kehrseite der Medaille ist, dass z. B. Windkraft oder Photovoltaik auf mineralische Rohstoffe wie Kupfer, Nickel, Lithium oder Aluminium angewiesen sind. Zusätzlich ist weltweit mit einem Anstieg des Verbrauchs von Baumaterialien und Metallen zu rechnen: Sowohl der Erhalt und die Nachhaltigkeits-Transformation der bestehenden Infrastrukturen, Gebäude und Maschinen benötigen Ressourcen als auch der notwendige Ausbau derselben in vielen Ländern des globalen Südens.

Werden fossile Energien im Sinne der Klimawende reduziert, braucht es daher auch ausgewogene Maßnahmen, um nicht neue Probleme zu generieren, die durch einen veränderten Umgang mit Rohstoffen entstehen können. Eine internationale Studie „Demand-side Strategies Key for Mitigating Material Impacts of Energy Transitions“ beleuchtet u. a. diese Thematik.

Austria Innovativ hat dazu mit zwei beteiligten Studienautoren vom Ins-titut für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur Wien gesprochen: Univ.-Prof. Dr. Helmut Haberl und Univ.-Ass. Dr. Dominik Wiedenhofer. Der Schwerpunkt von Haberls Forschungstätigkeit umfasst u. a. die Themen Energie und Gesellschaft, Klimawandel, integrierte Landsystem-Forschung, Bioenergie und die Wechselwirkung zwischen Nachhaltigkeit, Gesellschaft und Natur. Wiedenhofer setzt sich in seiner Arbeit neben nachhaltiger Ressourcennutzung, Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft mit nachhaltigen Lebensstilen und einer sozial-ökologischen Transformation auseinander.

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Austria Innovativ: Was ist die große Herausforderung beim Umstieg auf erneuerbare Energietechnologien?

Univ.-Prof. Dr. Helmut Haberl: Fossilenergie deckt heute etwa drei Viertel des globalen Primärenergiebedarfs. Die Gewinnung verbraucht zwar relativ wenig Fläche, aber sie verursacht enorme Umweltschäden. Neben der Klimakrise sind das etwa toxische Emissionen, Verseuchungen durch Ölaustritte, Umweltschäden durch Kohlebergwerke sowie massiver Druck auf Biodiversität und Ökosysteme. Ein Umstieg erfordert neue Anlagen und Maschinen, die ebenfalls Fläche und Rohstoffe verbrauchen. Weiters werden in Zukunft vermehrt diverse kritische und strategisch wichtige Ressourcen benötigt, um das Energiesystem am Laufen zu halten und die fortschreitende Digitalisierung sowie die Transformation und den Ausbau von Infrastrukturen, Gebäuden und Maschinen zu bewältigen. Auch das kann Umweltpro-bleme hervorrufen, die zwar kleiner sind als jene der Fossilenergie, aber dennoch minimiert werden müssen.

Der Abschied von der Fossilenergie und Fortschritte in Richtung Nachhaltigkeit braucht daher beides, einerseits den Ausbau der Erneuerbaren und andererseits die Schaffung von Strukturen, in denen ein gutes Leben mit insgesamt weniger Energie- und Rohstoffverbrauch möglich ist.

Wie greifbar ist derzeit ein Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen?

Univ.-Ass. Dr. Dominik Wiedenhofer:Die Kosten für Photovoltaik und Stromspeicher fallen derzeit rasch, damit wird der Umstieg auf Solarenergie immer kostengünstiger. Auch Windkraftwerke und Geothermie können wichtige Beiträge leisten. Bei Biomasse hingegen sind die nachhaltigen Potenziale bereits weitgehend ausgeschöpft. Entscheidend ist aber, nicht nur mehr Erneuerbare in den Markt zu pumpen, sondern darauf zu achten, dass pa-rallel der Verbrauch an Fossilenergie entsprechend zurückgeht, also ein „Phase-out“ stattfindet.

Wo liegen die besonderen Problemstellungen bei kohlestoffarmen Technologien?

Haberl: Ein zentrales Problem ist die Speicherung von Strom. Elektrizität ist aus thermodynamischer Sicht der hochwertigste Energieträger, den wir zur Verfügung haben. Dieser kann mit extrem hoher Effizienz von nahezu 100 Prozent in Nutzenergie umgewandelt werden. Für eine möglichst breite Anwendung sind rapide Fortschritte in der Batterietechnik entscheidend.

Wiedenhofer: All diese Technologien benötigen diverse kritische und strategisch wichtige Rohstoffe, u. a. Lithium, Kobalt, Kupfer, Dysprosium als auch Neodymium. Insgesamt sind daher auch hier flankierende Maßnahmen notwendig, die hohe Material- und Energieeffizienz sowie langlebige, reparaturfähige und recyclingfähige Produkte gewährleisten, um eine rasche absolute Reduktion von Treibhausgas-Emissionen und Umweltproblemen zu erzielen.

In der Studie wurde ein „Risikoprofil“ erstellt – was dürfen wir uns darunter vorstellen?

Wiedenhofer:Anhand einer umfassenden Analyse der aktuellen Literatur wurde eine Übersicht über globale Dynamiken von Ressourcen-Extraktion und Umweltproblemen erstellt, in der soziale und umweltbezogene Risiken zusammengefasst wurden. Fossil-Energieträger erzeugen in beiden Risiko-Dimensionen die meisten Probleme, nicht nur bezüglich der Klimakrise, sondern auch aufgrund von toxischen Emissionen, der Verletzung von Menschenrechten sowie geopolitischen Risiken und hohen Abhängigkeiten, etwa von Russland. Rohstoffe, die für die Klimawende benötigt werden, haben generell niedrigere Risiken, jedoch ist mit einem sehr starken Wachstum der Produktion und Nachfrage zu rechnen.

Wo wird es die größten Zuwächse geben – wie können diese am besten gehandhabt werden?

Haberl: Es ist damit zu rechnen, dass Photovoltaik als auch Batterien und Strom-Netzwerke weiter rasant ausgebaut werden. Thema ist hier einerseits die Speicherung von Elektrizität, andererseits die Umwandlung in speicherbare Brennstoffe wie Wasserstoff und Methanol. Letztere sind mit höheren Energieverlusten verbunden als der direkte Einsatz von Elektrizität. Daher sollte Elektrifizierung die erste Priorität haben und grüner Wasserstoff oder grünes Methanol erst die zweite.

Dem wachsenden Bedarf an kritischen Materialien kann durch nachfrageseitige Strategien gegengesteuert werden. Das ist möglich, indem zentrale Versorgungssysteme, die für ein gutes Leben nötig sind, also Mobilität, Ernährung, Hygiene, Bildung, Gesundheit usw., in hoher Qualität, aber mit niedrigem Ressourcenbedarf erbracht werden. Ein Umsteuern ist sofort möglich und nötig.

Wiedenhofer:Etablierte Politikinstrumente versuchen, Kostenwahrheit durch die Bepreisung von Ressourcen- und Energieverbrauch sowie von Treibhausgasen zu schaffen. Hier ist zusätzlich ein rascher Abbau umweltschädlicher Subventionen notwendig – Stichwort steuerfreies Kerosin für Flugzeuge sowie die Pendlerpauschale. Das notwendige Wissen ist vorhanden und vielfach belegt, etwa durch den Weltklimarat oder den Weltbiodiversitätsrat. Hier geht es neben Klima- und Umweltzielen auch um eine Verringerung der Abhängigkeiten von problematischen Handelspartnern wie Russland sowie eine Verbesserung der europäischen Kapazitäten und des Know-hows.

Neuere Strategien wie die Kreislaufwirtschaft mit beispielsweise höheren Effizienzstandards von Produkten, einem verbesserten Recycling und auch das Renaturierungsgesetz sind hier äußerst hilfreich und notwendig, um den Ressourcenverbrauch generell nachhaltiger zu gestalten. Dafür braucht es klare Regeln und Ziele sowie eine rasche Umsetzung.

Unterm Strich: Sind wir – Ihrer Meinung nach – mit erneuerbaren Energietechnologien im Sinne der Klimawende auf dem richtigen Weg?

Haberl: Dass in Österreich in den letzten Jahren der Ausbau von Windkraft, Solarenergie und Geothermie massiv gesteigert werden konnte, ist ein wichtiges Hoffnungszeichen. Ebenso dass Treibhausgas-Emissionen in Österreich, auf hohem Niveau gestartet, langsam sinken. Auch einige Maßnahmen zur Erhöhung der Attraktivität des öffentlichen Verkehrs und – in manchen, viel zu wenigen – Bereichen die Förderung des Radfahrens sind positiv. Hingegen geht es aber etwa beim Bodenverbrauch, bei der Zersiedelung und den Emissionen aus der Mobilität, speziell des Autofahrens und Fliegens, nach wie vor rasant in die falsche Richtung. Hier ist rasches Umsteuern gefragt.

Wiedenhofer:Die zügige Reduktion der Nutzung fossiler Energieträger hat höchste Priorität. Die Energiewende benötigt zwar zusätzliche Ressourcen, deren Umweltfolgen sind jedoch um einiges geringer als die von Öl, Gas und Kohle. Es braucht ein verbindliches Klimagesetz, welches bereits beschlossene europäische Ziele umsetzt.   

Lesen Sie dieses Interview ab Seite 40 der aktuellen Ausgabe 4-24 oder am Austria Kiosk!


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