05/2024 Forschung
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Drug Delivery Systems: Punktgenauer Medikamententransport

Medikamente sollen in Zukunft im Körper punktgenau und nebenwirkungsfrei zu Tumorzellen und anderen Krankheitsherden transportiert werden. Dabei kommen auch Magnete zum Einsatz.

von: Redaktion

Um Medikamente präzise an jene Orte im Körper zu liefern, wo sie wirken sollen, ohne gesunde Zellen zu schädigen – was gerade bei der Krebstherapie ein großer Vorteil wäre –, arbeiten Forscherteams weltweit an innovativen „Drug Delivery Systems“.

Dabei will die Forschung ein bekanntes Problem bekämpfen, das bis jetzt noch nicht umfassend gelöst ist: Zwar kennt die Medizin hochpotente Wirkstoffe, um Infektionen zu bekämpfen oder Krebszellen zum Absterben zu bringen. Die Medikamente selbst, einmal geschluckt oder injiziert, sind oft hochgiftig – und können auch gesunde Körperzellen schädigen. Das Ergebnis: Zur eigentlichen Wirkung gibt es auch mehr oder weniger schwere Nebenwirkungen. Was also tun?

Die Grundideen, um dieses Problem zu behandeln, sind sehr ähnlich“, sagt Sebastian Schwaminger vom Lehrstuhl für Medizinische Chemie an der Medizinischen Universität Graz. Zumeist werden Wirkstoffe auf unterschiedlichste Transportsysteme aufgeladen, die den Wirkstoff „inkognito“ von A nach B bringen und genau dort abladen, wo der Wirkstoff benötigt wird, etwa bei den Tumorzellen.

Nanometergroße Transportsysteme

Mittlerweile hat die Forschung bereits eine Reihe von Systemen entwickelt, mit dem dieses Kunststück mehr oder weniger gut zustande gebracht wird: Wirkstoffe werden etwa in genetisch veränderten Viren („Vektoren“) transportiert oder in Systemen, bei denen die Wirkstoffe in neu designte Lipidmoleküle eingeschmolzen werden. Sehr neu und revolutionär sind auch „Drug Delivery Systems“, die auf mRNA-Technologien basieren: Dabei wird kein Wirkstoff mehr transportiert, sondern – so wie bei der Covid-19-mRNA-Impfung – nur mehr der „Bauplan“ für einen Wirkstoff verschickt, der dann an Tumorzellen andockt und diese, aber nur diese, unschädlich macht.

Am Otto-Loewi-Forschungszentrum der Medizinischen Universität Graz testet Sebastian Schwaminger nun einen weiteren neuen Ansatz, der für die punktgenaue Wirkstofflieferung ohne Nebenwirkung den Magnetismus einsetzt. Das spannende Grundprinzip ist dabei einfach und komplex zugleich: Da Eisenoxid magnetisch ist, kann man Wirkstoffe auch auf kleinen Eisenoxidpartikeln „ankleben“, diese in die Blutbahn injizieren und dann von außen durch einen Elektromagneten punktgenau dort hinleiten, wo das Medikament gebraucht wird. Die magnetischen Teilchen würden dann das Medikament genau dort ansammeln lassen, wo es benötigt wird. Kann der Klebstoff noch dazu so konstruiert werden, dass er sich bei Erwärmung auflöst, hätte man ein neues „Drug Delivery System“. „Wir verwenden für den Transport tatsächlich Nanopartikel von Magnetit, einem Eisenoxidmineral, das auch am Erzberg abgebaut wird“, sagt Schwaminger.

Magnetische „Nano-Smarties“

Die Nanoteilchen, die in einer schwarzen Suspension schwimmen, werden zuerst mit einer Schutzschicht aus Zuckermolekülen überzogen, wodurch man sich die Magnettransporter wie „Nano-Smarties“ vorstellen kann, sagt Schwaminger. Auf diesen Nano-Smarties kann der Wirkstoff mit verschiedenen Methoden befestigt werden, zum Beispiel in einem „Imprinting-Verfahren“. Dabei wird die Oberfläche der Nano-Smarties als Negativ-Form der Wirkstoffmoleküle modelliert, ein chemisches Schlüssel-Schloss-Prinzip: „So kann nur der Wirkstoff an das Transportsystem andocken und sonst nichts.“

Der Wirkstoff kann aber auch lose, umhüllt von anderen speziellen Schutzschichten, auf den Nano-Smarties „verklebt“ werden. Diese Polymere, die auch den Zweck erfüllen, den Wirkstoff während des Transports vor dem Immunsystem unsichtbar zu machen, reagieren auf Temperatur- oder pH-Wertveränderungen. „Vor allem in Tumorgewebe ist der pH-Wert oft in Richtung sauer verändert. Das kann man für die Medikamentenfreisetzung nutzen.“ Zudem können auf den Nano-Smarties auch noch funktionelle Oberflächenproteine der Zielregion mitgeführt werden. „Damit wird etwa Tumorgewebe erkannt und das Transportsystem dockt funktional sofort am richtigen Ort an.

Für die Freisetzung wird dann ein ganz besonderer magnetischer Effekt des „Superparamagnetismus“ genutzt: „Im Normalzustand sind Magnetit-Nanopartikel unmagnetisch,“ sagt Schwaminger. „Sie sind zu klein, um nach außen wirkenden Magnetismus dauerhaft entwickeln zu können.“ Für den Transport in den Blutbahnen des Körpers sei das ein Vorteil, denn „damit treten auch keine störenden Interferenzen mit elektronischen Geräten, etwa Herzschrittmachern, auf.“ Erst wenn die Nanopartikel einem elektromagnetischen Feld ausgesetzt sind, werden sie magnetisch und beginnen in den Wechselfeldern zu rotieren und sich zu erwärmen. Die Erwärmung bringt dann aber auch genau jene Polymere, die den Wirkstoff an die Nano-Smarties klebten, dazu, sich aufzulösen. Der Wirkstoff wird dann genau an jenem Ort, wo er benötigt wird, freigesetzt.

Vielversprechende Testergebnisse

In-Vitro- und Tierstudien zeigen,dass das Prinzip des magnetophoretischen Wirkstoff-Transports funktioniert. „In den besten Fällen können 95 bis 99 Prozent eines Wirkstoffs punktgenau freigesetzt werden“, sagt Schwaminger. Probleme bereiten derzeit mitunter noch die Bindekapazitäten, das heißt, dass nicht der gesamte Wirkstoff an das Transportsystem bindet oder unterwegs verloren geht. Studien am Menschen werden frühestens in fünf Jahren beginnen, prog-nostiziert Schwaminger.

Erste Anwendungen könnten für die Behandlung spezifischer Blutkrebsarten entwickelt werden, aber auch für den verbesserten Medikamententransport zu Gehirntumoren. Schwaminger: „Der magnetische Effekt würde dabei gezielt genutzt werden, um die Blut-Hirnschranke zu überwinden.

mRNA-Impfung gegen Krebs

Die Forschung an mRNA-basierten Therapien begann bereits in den 1990er-Jahren mit vielen Misserfolgen. Erst in den letzten Jahren konnten Forscher technische Barrieren überwinden und das volle Potenzial der Methode entfalten.

Das bestechende Prinzip: Im Gegensatz zu herkömmlichen Medikamenten, die therapeutische Substanzen direkt in den Körper bringen, wurde bei der mRNA-Technologie eine Methode entwickelt, die dem Körper ermöglicht, Wirkstoffe selbst zu produzieren – mittels injizierter genetischer Bauanleitung. mRNA steht dabei für „messenger RNA“ oder „Boten-RNA“. Sie trägt die genetische Information von der DNA im Zellkern zu den Ribosomen im Zytoplasma, wo Proteine synthetisiert werden. Bekannt wurde die Methode bei den mRNA-Covid-Impfstoffen. Dabei lehrten die mRNA-Impfstoffe, den Körper ein besonderes Oberflächenprotein („Spike-Protein“) des SARS-CoV-2-Virus zu produzieren. Das Immunsystem wurde so aktiviert, ohne dass das tatsächliche Virus vorhanden sein musste. Damit wurde ein mehr oder weniger großer Schutz bei Ansteckung ermöglicht. Krankheitsverläufe fielen schwächer aus, weil das Immunsystem vorbereitet war.

Mit demselben Prinzip arbeitet man mit der mRNA-Technologie auch in der Krebstherapie, jenem Forschungsbereich, für die die Methode ursprünglich auch entwickelt wurde. Die Idee hinter einer mRNA-Krebstherapie ist es, das Immunsystem des Körpers auf Proteine zu trainieren, die nicht auf Viren, sondern auf Krebszellen vorkommen. Dafür wird Patienten ein kleiner Abschnitt mRNA (also die Bauanleitung) eines krebstypischen Proteins geimpft. Dieses Markerprotein dient den T-Zellen dann sozusagen als Fahndungsbrief, um Krebszellen sofort als „körperfremd“ zu erkennen und zu bekämpfen. Körpereigene gesunde Proteine werden nicht angegriffen.

Klinische Studien zur mRNA-Lungenkrebsimpfung

Derzeit laufen bereits klinische Studien, die mRNA-Impfstoffe in der Krebstherapie testen. Erste Vorstudien waren etwa vielversprechend bei der Behandlung von nicht kleinzelligem Lungenkrebs (NSCLC), der häufigsten Form des Lungenkrebses. Ziel wäre es, Überlebensraten allgemein, auch in fortgeschrittenen Stadien, deutlich zu steigern. Abschließende Ergebnisse werden aber erst in drei bis fünf Jahren erwartet.

Das „Impfintervall“ bei der therapeutischen Krebsbehandlung ist relativ hoch. In ersten Studien bekamen Patienten den mRNA-Impfstoff über einen Zeitraum von sechs Wochen sechsmal wöchentlich verabreicht. Anschließend wurden sie für weitere zwölf Monate alle drei Wochen geimpft. Ob der Impfstoff in Folge das ganze Leben lang in mehr oder weniger hohen Intervallen verabreicht werden muss, ist noch offen.

Personalisierte mRNA-Krebsimpfungen

Vielversprechende Entwicklungen gibt es auch bei personalisierten mRNA-Impfstoffen. Dabei wird der Tumor eines bestimmten Patienten zuerst nach allen Regeln der Kunst analysiert und aus diesen Daten dann ein spezifischer personalisierter mRNA-Krebsimpfstoff maßgeschneidert. T-Zellen des Immunsystems können so genau auf die körpereigenen Tumorzellen trainiert werden. Im Prinzip kann der Impfstoff dabei immer wieder auf veränderte Tumorprofile angepasst werden. Geforscht wird zu personalisierten mRNA-Krebsimpfstoffen zu vielen Krebsarten, etwa bei Hautkrebs, Hirntumoren, Bauchspeicheldrüsenkrebs und auch Lungenkrebs.

Der mRNA-Technologie wird auch Potenzial für die Behandlung anderer Krankheiten attestiert. Derzeit werden mRNA-Therapien auch für den Einsatz bei HIV, Zika-Virus oder seltenen genetische Erkrankungen getestet. Als besonders vielversprechend gilt der Einsatz von mRNA-Methoden auch in der Gentherapie. Hier könnte die Technologie genutzt werden, um fehlende oder defekte Gene zu ersetzen oder zu reparieren.

Die Zukunft der individuellen Therapie

Im Zentrum der Präzisionsmedizin steht die genetische Forschung. Durch Fortschritte in der Genomsequenzierung kann die Medizin heute bereits das individuelle genetische Profil eines Patienten analysieren und theoretisch Behandlungsstrategien entwickeln, die genau auf diese Person zugeschnitten sind. Dies ist besonders wichtig bei komplexen Erkrankungen wie Krebs, bei denen unterschiedliche Mutationen in den Tumorzellen oft unterschiedliche Behandlungsansätze erfordern. So könnte eine gezielte Therapie, die auf bestimmte genetische Veränderungen abzielt, deutlich wirksamer sein als eine herkömmliche Standardbehandlung.

Biomarker und „targeted drugs“

Neben der Genomforschung spielt auch die Biomarkerforschung eine zentrale Rolle. Biomarker sind spezifische Moleküle im Körper, die auf bestimmte Krankheiten oder Zustände hinweisen können. In der Präzisionsmedizin werden diese Biomarker genutzt, um festzustellen, ob ein Patient für eine bestimmte Therapie geeignet ist oder nicht. So kann zum Beispiel bei Krebspatienten untersucht werden, ob sie bestimmte genetische Mutationen aufweisen, die sie zu Kandidaten für eine Therapie mit sogenannten „Targeted Drugs“ machen – Medikamenten, die gezielt auf diese Mutationen abzielen.

Ein weiteres wichtiges Werkzeug der Präzisionsmedizin ist die Bioinformatik. Durch den Einsatz von Hochleistungsrechnern und maschinellem Lernen können enorme Mengen an genetischen und klinischen Daten analysiert werden, um Muster zu erkennen und individuelle Behandlungsmöglichkeiten zu entwickeln. Dies hat bereits dazu geführt, dass neue Behandlungsstrategien für Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Krebs entwickelt wurden.

Personalisierte „Drug Delivery Systems“

Diese personalisierte Herangehensweise gilt auch für die Entwicklung von „Drug Delivery Systems“. Spezifische genetische Informationen eines Patienten können genutzt werden, um maßgeschneiderte Trägersysteme zu entwickeln, die gezielt an den betroffenen Zellen oder Geweben andocken.

Ein Beispiel ist die Nutzung von Nanopartikeln, die durch genetische oder molekulare Marker des Patienten an die richtigen Zellen gelangen. Dabei können Oberflächenmoleküle der Nanopartikel so programmiert werden, dass sie gezielt an Zellen mit bestimmten genetischen Mutationen binden, wie es bei Tumorzellen der Fall ist. Entwicklungen dazu laufen etwa am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dabei ist die Gruppe um Robert Langer führend in der Entwicklung von Nanopartikeln für gezielte „Drug Delivery Systems“, die auf molekulare Marker und genetische Informationen der Patienten abgestimmt sind. In Zusammenarbeit mit dem Biotech-Unternehmen wurde beispielsweise die mRNA-Technologie weiterentwickelt, um Nanopartikel so zu designen, dass sie sich genau an spezifische Mutationen von Tumorzellen binden.

Ein weiteres prominentes Beispiel ist auch die Arbeit der Gruppe um Mauro Ferrari, die sich auf multistufige Nanopartikel spezialisiert. Diese können durch bestimmte Reize wie pH-Wert-Veränderungen oder spezifische Proteine in Tumorgeweben aktiviert werden. Auch die Ferrari-Gruppe entwickelt derzeit Systeme, die individuell auf Patienten und ihre genetischen Profile abgestimmt werden, um Tumore mit minimalen Nebenwirkungen anzugreifen.


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