Als Elon Musks Unternehmen Neuralink im Jänner des heurigen Jahres ein mit einem Computer verbundenes kleines Gerät – den viel zitierte Chip – in das Gehirn eines ab der Schulter abwärts gelähmten Menschen implantierte, ging das als Breaking News um die Welt.
Eine große Sensation? Nicht wirklich, meinen renommierte europäische Wissenschaftler. Sie finden es zwar beeindruckend, wie Musk Top-Forscher auf diesem Gebiet für Neuralink gewinnt und sein Projekt mit beträchtlichem Kapitaleinsatz vorantreibt. Auch die Tatsache, dass das viel propagierte Implantat über 1024 fadenartige Elektroden verfügt, die ein Roboter mit dem Gehirn verbindet, bezeichnen Experten als bemerkenswert. Aber grundlegend neu sei das Konzept nicht, meinen Experten übereinstimmend. An Schnittstellen zwischen Mensch und Computer wird schon seit vielen Jahren geforscht.
Auch in Österreich: Mit deutlich geringerem öffentlichen Getöne und wesentlich weniger Kapital gibt es hierzulande beeindruckende Projekte auf diesem Gebiet, die in der Fachwelt durchaus internationale Beachtung finden. Gernot Müller-Putz beispielsweise, Universitätsprofessor und Leiter des Institutes für Neurotechnologie an der TU-Graz, beschäftigt sich seit 25 Jahren mit Gehirn-Computer-Schnittstellen. „Mit der Kraft seiner Gedanken“ hat er bereits während des Studiums gemeinsam mit anderen Studenten den Cursor-Schläger des legendären Video-Tischtennisspiels „Pong“ bewegt – das war vor rund zwei Jahrzehnten, statt eines Chips im Kopf nahm damals eine Elektroden-Kappe die Steuerbefehle aus dem Gehirn auf.
Brain-Computer-Interface-Technologie aus Graz
Heute arbeiten Müller-Putz und sein Team im EU-Projekt INTRECOM (Intracranial Neuro Telemetry to Restore Communication) gemeinsam mit dem Universitair Medisch Centrum im Utrecht, dem Wyss Center for Bio and Neuro Engineering in Genf sowie dem Elektrodenproduzenten CorTec in Freiburg an der Entwicklung einer vollständig implantierbaren Brain-Computer-Interface-Technologie. Das Projekt wird vom European Innovation Council (EIC) mit immerhin vier Millionen Euro und von der Schweizer Regierung mit zwei Millionen Euro gefördert.
Die Hardware ist weitgehend fertig, erzählt der Wissenschaftler. Derzeit wird an der Software gearbeitet, an Dekodieralgorithmen, mit denen die elektrischen Ströme aus dem Gehirn in konkrete Anweisungen umgewandelt werden. In Graz liegt der Fokus auf der Bewegungsdekodierung, in Utrecht auf Spracherkennung. In der nächsten Phase geht es um Vorbereitungsarbeiten für das Einsetzen des Implantates beginnend bei Sicherheitstests über Genehmigung des ersten Einsatzes durch die Ethikkommission bis zur Suche von freiwilligen Patienten in Österreich und den Niederlanden. Spätestens in zwei Jahren sollen Neurochirurgen der MedUni Graz das neue Gerät einem Menschen einsetzen. „Das System wird von der Hirnoberfläche Signale ableiten und drahtlos nach außen an einen Rechner senden“, erläutert Müller-Putz.
Die Isolation im eigenen Körper durchbrechen
An den Medizinischen Universitäten in Utrecht und in Graz werden Wissenschaftler dann die beiden ersten Patienten so trainieren, dass sie mit Hilfe der Signale ihres Gehirns einen Cursor auf einem Bildschirm steuern können, um Buchstaben und Worte auszuwählen und auf diese Weise mit ihrer Umwelt zu kommunizieren. „Die Technologie ist vor allem für Menschen bestimmt, die vom Locked-In-Syndrom betroffen sind, die also vollständig gelähmt sind und nicht mehr kommunizieren können, bei denen aber das Denken noch funktioniert“, erklärt der Grazer Wissenschaftler. Motoneuronerkrankungen wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) oder Spinale Muskelatrophie (SMA), aber auch Traumata oder Schlaganfälle können eine solche Isolation im eigenen Körper – ein für Patienten und Angehörige dramatischer Zustand – verursachen.
Das von den Wissenschaftlern der TU-Graz mit ihren Partnern entwickelte Brain-Computer-Interface-Technologie soll diesen Patienten dank KI-Nutzung erstmals ermöglichen, quasi in Echtzeit mit ihrer Umgebung zu kommunizieren. „Und das alles kann nach wenigen Tagen Aufenthalt im Krankenhaus auch im privaten Umfeld stattfinden,“ sagt Müller-Putz. Er ist „maximal optimistisch“, dass diese völlig neue Lösung alle Erwartungen erfüllen wird. „Wenn wir Erfolg haben, wird diese Technologie weltweit Aufmerksamkeit finden und neue Chancen für die Wissenschaft in Graz und in Österreich eröffnen.“
An der Klinischen Abteilung für Plastische Chirurgie der MedUni Wien arbeitet Universitätsprofessor Oskar C. Aszmann an einer anderen Lösung, um Nervenimpulse elektronisch zu erfassen und Patienten damit das Steuern von Arm- oder Beinprothesen zu ermöglichen. Aszmann und sein Team an der MedUni Wien sind weltweit führend bei der bionischen Rekonstruktion von Extremitäten. Um Bewegungssignale zu erfassen, so die Ansicht des Wissenschaftlers, ist die Hirnrinde der schlechteste Ort. „Das Denken einer Bewegung ist ein sehr komplexes neurophysiologisches Korrelat bei dem zahlreiche Faktoren bis hin zu den Hormonen eine Rolle spielen, das lässt sich nicht auf ein computeradäquates 0-1 reduzieren.“