06/2024 News mittlere Spalte Wirtschaft
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Balanceakt KI-Implementierung

„KI als Jobkiller“? Verlust menschlicher Kontrolle? Vor dem Hintergrund von Sorgen angesichts des aktuellen Umbruchs der Arbeitswelt ist es für Unternehmen besonders wichtig, ihre Mitarbeitenden in die digitale Zukunft zu begleiten.

von: Helene Fiegl

Die Arbeitswelt ist durch die neuen technologischen Errungenschaften massiv im Umbruch. Künstliche Intelligenz (KI) hat branchenübergreifende Veränderungen in Gang gesetzt, die erst am Anfang stehen. Der Einsatz von KI verspricht viele Erleichterungen, sorgt jedoch auch für Unsicherheiten.

Was können also Unternehmen tun, um ihre Mitarbeitenden gut auf diese neue Technologie vorzubereiten? Antworten darauf hat uns die Unternehmensberaterin Sabine Singer gegeben, Gründerin von Sophisticated Simplicity, Österreichs erster Agentur für ethische KI und wertebasierte Geschäftsmodelle.

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AUSTRIA INNOVATIV:Weiß man, wie viele Jobs von KI tatsächlich betroffen sind?

Sabine Singer:Laut einer McKinsey-Studie aus diesem Jahr werden bis 2030 bis zu 300 Millionen Jobprofile weltweit signifikant transformiert oder sogar obsolet sein. Diese Zahl zeigt, dass wir uns an einem Wendepunkt befinden, der die traditionelle Arbeitswelt nachhaltig verändern wird. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig den Verlust dieser Arbeitsplätze, sondern vielmehr eine grundlegende Umgestaltung von Aufgaben, Prozessen und Rollen.

Die heutige Diskussion muss sich also weg von einer reinen „Jobverlust“-Perspektive hin zu einer strategischen Kompetenz- und Organisationsentwicklung bewegen. Ein zentrales Ergebnis der McKinsey-Studie ist die Erkenntnis, dass repetitive und administrativ geprägte Tätigkeiten vermehrt durch KI ersetzt werden, was wiederum Raum für neue, wertschöpfende Aufgaben schafft, die menschliche Expertise erfordern. So berichten Unternehmen, die KI bereits strategisch integriert haben, von Produktivitätssteigerungen um bis zu 35 Prozent und neuen beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten für ihre Mitarbeiter.

Beispiele aus unterschiedlichen Branchen – von der Industrie über den Finanzsektor bis hin zum Gesundheitswesen – zeigen, wie KI neue Berufsfelder schaffen kann. Unternehmen, die KI strategisch implementieren, ermöglichen so eine erweiterte Aufgabenpalette, etwa in den Bereichen Datenanalyse, Ethik und Use-Case-Entwicklung sowie Sicherheitsmanagement für KI-Systeme.

Die Zahl der betroffenen Berufe wird auch in Europa und Österreich zunehmen, was eine proaktive Herangehensweise unerlässlich macht. KI-gestützte Technologien durchdringen nicht nur Arbeitsprozesse, sondern bieten zugleich auch einen Wettbewerbsvorteil. Die Arbeitswelt wird sich von repetitiven Tätigkeiten hin zu hybriden Rollen wandeln, die auf menschlicher Kreativität und strategischem Urteilsvermögen basieren und durch KI unterstützt werden.

Welche Berufe werden durch KI verschwinden?

Jede Form von Wissensarbeit ist durch diese neue Form von Künstlicher Intelligenz grundlegend disruptiert. Während traditionelle Berufe bislang durch klare Rollenbilder und definierte Aufgabenbereiche charakterisiert waren, verändert KI dieses Verständnis von Grund auf. Diese neue Technologiearchitektur, die durch selbstständiges Lernen und die Ausführung komplexer Denkprozesse besticht, stellt eine fundamentale Transformation dar. Sie ist in der Lage, die Effizienz in vielen Bereichen drastisch zu steigern und herkömmliche Denkprozesse zu übernehmen. So haben Studien gezeigt, dass bis zu 30 Prozent der heute geleisteten Arbeitsstunden bis 2030 automatisiert werden könnten.

Berufe, die vorwiegend adminis-trative und repetitive Aufgaben umfassen wie Datenverarbeitung, Buchhaltung und Teile des Kundenservices, Vertriebs und Einkaufs sind besonders stark von dieser Automatisierung betroffen. Der Begriff „verschwinden“ greift jedoch zu kurz: Vielmehr geht es um eine Evolution und Neustrukturierung von Rollen, in der menschliche Arbeitskraft und KI optimal miteinander kooperieren. Während sich einige Berufe stark wandeln oder in hy-briden Positionen aufgehen werden, entstehen zugleich neue Aufgaben und Berufsbilder, die KI-gestützte Kompetenzfelder abdecken.

In dieser neuen Arbeitswelt benötigen wir daher weniger traditionelle Berufsbilder als vielmehr dynamische Kompetenzprofile. Der Wandel erfordert, dass Mitarbeitende umgehend, kontinuierlich und intensiv in Sachen KI ausgebildet werden, um optimal deren Potenzial zu erkennen und ausschöpfen zu können sowie neue digitale und analytische Fähigkeiten zu entwickeln. Unternehmen sollten diese Transformation als Chance sehen, um durch einen strukturierten und werbebasierten Ansatz menschliches Potenzial im Einklang mit technologischen Fortschritten zu nutzen.

KI schürt auch Ängste. Sind diese berechtigt?

Angst ist nie ein guter Berater. Was die KI-Transformation jetzt erfordert, sind Achtsamkeit und mutige Neugier, um den Wandel proaktiv zu gestalten. Jede neue Technologie bringt eine neue Form von Verantwortung mit sich – das gilt sowohl für die Art und Weise, wie Unternehmen diese einsetzen, als auch für die Unterstützung der Belegschaft in diesem Prozess. Vermeiden Unternehmen es, sich aktiv mit der KI-Transformation auseinanderzusetzen, riskieren sie nicht nur Wettbewerbsnachteile, sondern auch die Existenzgrundlage ihres Geschäftsmodells.

Ein zukunftsgerichteter Transformationsprozess braucht eine klare Vision, die Integration eines strukturierten Wertekompasses und eine transparente Kommunikationskultur. Diese Elemente schaffen Vertrauen und fördern ein Verständnis dafür, dass KI die Produktivität steigern kann, ohne das menschliche Miteinander zu ersetzen. Ja, im Gegenteil, ich gehe davon, dass die menschliche Interaktion eine neue Qualität bekommen wird, wenn wir uns darauf fokussieren können, weil wir von mühsamen Prozessen und dem reinen Abarbeiten von Tasks freigespielt sind.

Was heißt das für Unternehmen?

Ein werbebasierter Ansatz zur KI-Integration, der auf die Kompetenzen und Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingeht, fördert die Akzeptanz und mindert Ängste. Untätigkeit in Zeiten dieses rasanten Fortschritts wäre fahrlässig – vielmehr sollten wir die Chance nutzen, KI strategisch und verantwortungsvoll in bestehende Prozesse zu integrieren.

Unternehmen sollten aktiv daran arbeiten, ihre Mitarbeitenden in die Transformation einzubeziehen und gezielt zu schulen, um den Wandel als kontinuierlichen Lernprozess zu begleiten. Die Bedenken der Mitarbeitenden sind nur dann berechtigt, wenn Unternehmen die ethischen und sozialen Implikationen der KI-Integration vernachlässigen. Zukunftsorientierte Unternehmen sehen diese neue Technologie und deren verantwortungsbewussten Einsatz als Wettbewerbsvorteil.

Welche Vorbehalte gibt es bei Mitarbeitenden häufig?

Neben der Sorge wegen eines möglichen Jobverlusts -äußern viele Mitarbeitende Bedenken bezüglich der Nachvollziehbarkeit von KI-Entscheidungen und der Möglichkeit, dass KI-basiertes Vorgehen zu unfairen oder voreingenommenen Resultaten führt. Besonders kritisch wird die Datennutzung gesehen, da viele Mitarbeitende Zweifel hinsichtlich des Datenschutzes und der Sicherheit ihrer persönlichen Informationen haben. Grundsätzlich gilt: Ohne Datenstrategie, keine KI-Strategie! Je höher die Datenqualität, umso besser die Ergebnisse der KI. Hier ist zu ergänzen: Datenqualität muss aus zwei Blickwinkeln beurteilt werden: Sind meine Datensätze vollständig und faktisch richtig? Und: Sind diese Daten noch zukunftsfähig oder spiegeln sie eine Vergangenheit, die unser Geschäftsmodell nicht nachhaltig erfolgreich hält?

Zusätzlich stellt die Unsicherheit über den Nutzen und die Funktionsweise von KI einen großen Vorbehalt dar. Daher ist es fundamental wichtig, die Einsatzmöglichkeiten von KI gemeinsam mit den betroffenen Stakeholdern abzustimmen, um langfristig Unterstützung und Akzeptanz zu schaffen. Eine zentrale Herausforderung für Unternehmen ist also die Schaffung von Transparenz und Fairness in der Implementierung. Ein wertebasierter Ansatz, der auf die Prinzipien eines Digitalen Humanismus setzt, ist ein entscheidender Schritt, um Vertrauen in KI-Systeme aufzubauen. Die Methodik zur Umsetzung des Digitalen Humanismus – Value-based Engineering – ist ein stategischer Ansatz, um ethische Werteerwartungen der Stakeholder, Investionssicherheit und antizipatives Risikomanangement in konkreten Anforderungen an System und Organisation zu übersetzen.

Was können Unternehmen tun, um Mitarbeiter:innen gut auf die geänderten Anforderungen durch KI vorzubereiten?

Singer: Um die Mitarbeitenden umfassend auf die Anforderungen der KI-basierten Arbeitswelt vorzubereiten, ist ein mehrdimensionaler Transformationsplan unerlässlich. Ein solcher Plan sollte strategische Kompetenzentwicklung mit einer klaren Werteorientierung und einer transparenten Kommunikation kombinieren. Vier zentrale Handlungsfelder sollten dabei im Fokus stehen:

1. Kompetenzentwicklung: Unternehmen müssen gezielte Weiterbildungsprogramme entwickeln, um digitale Kompetenzen und ein tiefes Verständnis für KI zu fördern. Dies umfasst nicht nur technische, sondern auch ethische Schulungen, die den Mitarbeitenden ermöglichen, die Auswirkungen und Funktionsweisen von KI zu verstehen.

2. Ethische Leitlinien und Governance: Die Etablierung eines AI-Excellence-Centers sowie eines integrierten Ethik-Komitees ist die Basis, um sicherzustellen, dass bei der -Implementierung von KI ethische Standards und Unternehmenswerte gewahrt und geschützt werden. Ein wertebasierter Rahmen gibt Orientierung und schafft Vertrauen.

3. Sichere Innovationsräume („Safe Spaces“): Unternehmen sollten Räume schaffen, in denen Mitarbeitende in einem geschützten Umfeld mit KI experimentieren und lernen können, ohne Angst vor Fehlern zu haben. Diese Räume fördern ein Klima der Innovation und Neugier.

4. Evaluationsmechanismen: Eine fortlaufende Evaluierung der eingesetzten KI-Systeme ist wichtig, um deren langfristige Auswirkungen auf das Unternehmen und die Mitarbeitenden zu überwachen. Ein solcher Mechanismus ermöglicht es, frühzeitig Anpassungen vorzunehmen und die KI-Strategie iterativ zu optimieren.

Durch einen ganzheitlichen und strukturierten Ansatz kann ein Unternehmen sicherstellen, dass KI nicht nur eingeführt, sondern auch verantwortungsvoll und im Sinne eines Digitalen Humanismus im Einklang mit menschlichen und gesellschaftlichen Werten genutzt wird. Dies erfordert eine Balance zwischen technologischer Innovation und einer menschenorientierten Unternehmenskultur, bei der KI als integraler Bestandteil einer zukunftsfähigen Organisation verstanden wird.

Unternehmen erwarten sich von KI gemeinhin eine Effizienzsteigerung. Wie ist es hier um KI-Ethik bestellt – steht diese der Effizienz im Weg?

Business-Ethik ist nicht nur eine moralische Orientierung, sondern der essentielle Wertekompass für den langfristigen Unternehmenserfolg. In der schnelllebigen, technologie-getriebenen Welt ist es unerlässlich, ethische Prinzipien zu definieren und fest im Unternehmensalltag zu verankern. Denn erst wenn dieser Kompass im Einklang mit den Interessen aller Stakeholder steht, können Unternehmen sicherstellen, dass er auch von einem KI-System respektiert wird.

Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass unüberlegte datengetriebene Geschäftsmodelle, wie sie in Teilen des Social-Media-Sektors zu finden sind, oft massive negative gesellschaftliche Folgen nach sich ziehen können. Solche Implikationen werden in der Entwicklung von KI-basierten Geschäftsmodellen zunehmend berücksichtigt, und Unternehmen erkennen, dass eine ethische KI-Strategie nicht nur einen Wettbewerbsvorteil darstellt, sondern auch das entscheidende Kriterium für nachhaltigen Geschäftserfolg ist.

Eine werteorientierte KI-Strategie schützt den Kern eines Unternehmens und sorgt für eine langfristige Ausrichtung, die auf Vertrauen, Fairness und Verantwortlichkeit basiert. Ethik ist in diesem Sinne kein Hindernis für Effizienz, sondern fördert diese sogar: Mitarbeitende arbeiten engagierter und zufriedener, wenn das gemeinsame Ziel klar formuliert ist und sie wissen, dass ihre Arbeit durch ethische Standards abgesichert ist. Die Beziehung zu Kund:innen und anderen Partnern des digitalen Ökosystems wird ebenfalls gestärkt, wenn der Wertekompass des Unternehmens sichtbar und auch in den KI-gestützten Dienstleistungen klar erlebbar ist.

Sie beschäftigen sich mit der ethischen Integration von KI in Unternehmen. Was bedeutet das kurzgefasst in diesem Zusammenhang?

In wenigen Worten erklärt, ist die Integration ethischer Werte in die KI-Strategie nicht eine moralische „Verpflichtung“, sondern ein strategischer USP. Sie ist das Fundament, auf dem die Innovationskraft und die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens beruhen. Indem Unternehmen ihre ethischen Prinzipien und Business-Ethik als Grundlage für Investitionsentscheidungen und das Risikomanagement definieren, können sie sicherstellen, dass die eingesetzten Technologien im Einklang mit den Unternehmenszielen stehen und so langfristigen Wert schaffen –
sowohl für das Unternehmen als auch für die Gesellschaft.

Danke für das Gespräch!

Lesen Sie dieses Interview ab Seite 40 der aktuellen Ausgabe 6-24 im Austria Kiosk!


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