AI: Als Archäologin am Naturhistorischen Museum und Wissenschaftsbotschafterin haben Sie umfangreiche Erfahrung in der Vermittlung von Wissen und Wissenschaft. Wie kann man Ihrer Meinung nach das Vertrauen in die Wissenschaft stärken?
Karina Grömer: Das ist eine komplexe Aufgabe. Einerseits erwarten sich Menschen, Wissenschaft plastisch und einfach erklärt zu bekommen, damit sie sie verstehen können. Auf der anderen Seite wird Wissenschaft aber auch als kompliziert und anspruchsvoll angesehen. Dieser Widerspruch kann schwierig aufzulösen sein. Eine Erklärung darf nicht zu simpel sein, aber auch nicht zu komplex. Es geht darum, eine Balance zu finden.
Welche Ansätze haben sich bewährt, um Wissenschaft spannend und vertrauensbildend zu vermitteln?
Grömer: Ein bewährter Ansatz ist es, Wissenschaft wie eine CSI-Story zu erzählen. Damit wird der Weg des Erkenntnisgewinnens Schritt für Schritt nachvollziehbar. In der Archäologie nutzen wir dieses Prinzip oft bei Dreharbeiten für TV-Dokumentationen. Dabei hilft uns, dass wir als geisteswissenschaftliches Fach auch naturwissenschaftliche Methoden nutzen, um Forschungsfragen zu klären. Wir können einen archäologischen Fund etwa in ein großes chromblitzendes Gerät stecken oder Bilder aus dem Rasterelektronenmikroskop erklären. Wenn sich damit ein Rätsel auflöst, sind die Zuseher in der Regel zufrieden und finden die Erklärungen nachvollziehbar. Kriminalgeschichten funktionieren. Das spiegelt sich auch in Fragen bei „Hinter-den-Kulissen-Führungen“ im Museum wider, die sehr beliebt sind.
Wie erklärt man Interessierten offene Fragen oder unterschiedliche wissenschaftliche Meinungen zu ein und demselben Forschungsgebiet?
Grömer: Man sollte nicht zu sehr mit der Tür ins Haus fallen. Ich könnte als Expertin etwa einen Vortrag über das Sozialsystem der Bronzezeit in Europa halten und dabei zugleich fünf verschiedene Modelle unter Anwendung vieler Fachbegriffe diskutieren. Das würde das Publikum irritieren. Wenn ich aber erkläre, dass wir Gräber untersuchen, darin bestimmte Gegenstände in verschiedener Anzahl und Qualität bei unterschiedlichen Bestattungen gefunden haben und metallurgische Analysen durchgeführt haben, die auf verschiedene Handelsnetzwerke hinweisen, wird die Frage schon interessanter, wie der Handel durch Sozialsysteme organisiert und kontrolliert wurde. Dann wird auch die Diskussion darüber, dass verschiedene Indizien mehrere Schlüsse zulassen, nachvollziehbarer.
Gibt es auch Grenzen, wenn es um die vertrauensbildende Wissenschaftsvermittlung geht?
Grömer: Definitiv. Die Pandemie hat uns das deutlich vor Augen geführt. In dieser Zeit haben selbst viele, der Wissenschaft eigentlich wohlwollend gegenüberstehende Menschen, das Vertrauen in die Wissenschaft verloren. Je länger die Pandemie dauerte, wie nach dem zweiten oder dritten Lockdown, desto schwieriger wurde es. Die Komplexität und die Schwierigkeit, die Situation und mögliche Lösungen zu erklären, haben dazu geführt, dass viele einen Punkt erreicht haben, an dem sie ausgestiegen sind. Dieser Kipppunkt ist individuell verschieden, aber er nähert sich dann, wenn Menschen sich in ihrer Entscheidungs- und Meinungsfreiheit eingeschränkt fühlen oder sich gedrängt fühlen, etwas zu tun, was sie nicht mehr wollen. Diese Kipppunkte zu erforschen, wäre eine lohnende Untersuchung für die Sozialwissenschaften.
Die Pandemie zeigte dann auch einen bemerkenswerten Widerspruch gegen die Wissenschaft.
Grömer: Im Prinzip ist Widerspruch gesund, da Demokratien davon leben und Fortschritt aus ihm entsteht. Widerspruch wird erst problematisch, wenn er zu sehr in eine individualistische und auf den eigenen Vorteil bedachte Haltung umschlägt und somit der Gesellschaft schadet.
Was kann man Ihrer Meinung nach daraus lernen?
Grömer: Die Pandemie hat gezeigt, dass Menschen stark danach verlangen, an der Wissenschaft teilzuhaben und persönlich – ohne erhobenen Zeigefinger – angesprochen zu werden. Kreativität und Neugierde sind grundlegende menschliche Bedürfnisse, ohne die es die vielen Entwicklungen und Erfindungen in der Menschheitsgeschichte nicht gegeben hätte. Sie haben uns vom Leben als Jäger und Sammler in der Steinzeit in die Jetztzeit gebracht. Die Herausforderung für die Wissenschaft liegt heute aber immer mehr darin, die Menschen trotz sozialer Medien, Meinungsblasen, Fake News und KI-generierter Deep-Fake-Bilder zu erreichen.
Was sind Ihre Erfahrungen als Wissenschaftsbotschafterin?
Grömer: Es ist wichtig, persönlich und authentisch zu kommunizieren und die Menschen aktiv in den Dialog einzubinden. Als Wissenschaftsbotschafter/in sollte man etwa bereit sein, mit Jugendlichen auf Augenhöhe zu diskutieren und auch Kritik einzustecken. In meinen Schulworkshops habe ich oft erlebt, wie sehr es Jugendliche schätzen, wenn ein authentischer Mensch vor ihnen steht, der sie ernst nimmt und mit ihnen diskutiert. Dabei darf man auch gerne den „Schmäh“ nicht zu kurz kommen lassen und die Wissenschaft mit einer gewissen Portion Humor vermitteln. Einfühlsames Zuhören und die Inhalte verständlich präsentieren sind ebenfalls wichtige Faktoren.
Kann man das Vermitteln von Wissenschaft lernen?
Grömer: Ja, absolut. Es gibt mittlerweile viele Möglichkeiten, das wissenschaftliche Wissen bildhaft und anschaulich zu vermitteln. Es ist nur jedem Uni-Institut zu empfehlen, Workshops zu Wissenschaftskommunikation, Science-Slams oder ähnliche Formate zu organisieren, bei denen Wissenschafterinnen und Wissenschafter lernen, ihre Forschungsergebnisse auf niederschwellige, inklusive und sogar unterhaltsame Weise zu präsentieren. Das vergrößert die Fertigkeit, zwischen verschiedenen Ebenen der Kommunikation zu oszillieren und das richtige Maß zwischen wissenschaftlicher Genauigkeit und unterhaltsamer Vermittlung zu finden. Die Wissenschaftskommunikation kann einen großen Beitrag dazu leisten, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken.