Negative Emissions Technology „Biochar amendment“: Wird Pflanzekohle aka „Grillkohle” nach der Produktion nicht verbrannt, sondern als Dünger („Terra Pretta“) in den Boden eingebracht, entsteht eine CO2-Senke. Das technische Biochar-Senkenpotenzial für Österreich ist enorm.
© Biochar/creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/
Jetzt hat es die Europäische Union doch geschafft: Mit der Stimme von Österreichs (Noch)-Umwelt- und Klimaministerin Leonore Gewessler konnte bei der letzten Ratssitzung im Juni in Luxemburg die letzte Hürde genommen werden, um die notwendige Mehrheit für das Renaturierungsgesetz zu erzielen. Zwar hat sich Gewessler damit eine Ministerklage des Koalitionspartners ÖVP eingehandelt, in der Europäischen Union stehen nun aber alle Ampeln auf Grün, um die Verordnung nach langem Hin und Her für alle EU-Länder rechtskräftig werden zu lassen.
Die heiß umkämpfte „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Wiederherstellung der Natur“, für die es schon im Europäischen Parlament des öfteren Spitz auf Knopf gestanden war, sieht nur vor, dass ein Fünftel aller Flächen an Land und auf See bis 2030 wieder in einen ökologisch gesunden Zustand gebracht werden sollen. Bis 2050 sollen 90 Prozent aller beeinträchtigten Flächen renaturalisiert sein. Welche Maßnahmen die EU-Länder dafür unternehmen, schreibt die EU-Verordnung nicht explizit vor. Jedes Land soll dafür einen eigenen Plan vorlegen, wie zerstörte Naturgebiete wiederhergestellt, also Flüsse freier fließen, trockengelegte Moore wieder vernässt, Wälder aufgeforstet oder Städte mehr Grünraum bekommen sollen.
„Carbon Management Strategie“
Während in der Öffentlichkeit die Diskussion über das Renaturierungsgesetz vor allem den Schutz der Natur und der Artenvielfalt in den Vordergrund gestellt hat, könnte die Verordnung aber auch die Einführung und Umsetzung von „Negative Emission Technologies“ (NET) erleichtern, mit denen CO2-Emissionen durch die Bildung neuer Kohlenstoffsenken kompensiert werden könnten. Dieses Thema, unter dem unterschiedliche Methoden der (natürlichen) CO2-Speicherung subsummiert werden, führte bislang in der Öffentlichkeit eher ein Schattendasein.
Ende Juni aber hat die Regierung per Umlaufbeschluss ihre „Carbon Management Strategie“ beschlossen. Mit dieser sind nun die rechtlichen Grundlagen geschaffen, Kohlendioxid aus Rauchgas abzuscheiden, es unter Umständen per Pipeline bis in die Ostsee zu verfrachten oder in alten Gas- oder Ölförderstätten gleich vor Ort zu speichern. Ein wissenschaftlicher Expertenrat soll die Regierung in der Wahl der Mittel beraten, um dabei immer das „gelindeste Mittel“ zu wählen. Denn es gibt viele unterschiedliche Negativemissions-Technologien, die auch direkt oder indirekt im Rahmen von Renaturierungsprozessen durchgeführt werden könnten.
„Negative Emission Technologies“
Der IPCC listet an „Negative Emission Technologies“ eine ganze Reihe auf: etwa verbesserte Waldbewirtschaftung sowie Auf- und Wiederaufforstung (Afforestation & Reforestation (AR)/Forest Management) oder die Wiedervernässung von Mooren und Feuchtgebieten als eine Methode des „Soil Carbon Storage“ (SCS), aber auch sauerstoffarme Verbrennung von Biomasse in Pflanzenkohle durch den Prozess der Pyrolyse (Biochar mendment, BC). Die Pflanzenkohle wird dabei nicht verbrannt, sondern in den Boden als Dünger („Terra Preta“) eingebracht. Ergänzt werden diese NET-Methoden durch Technologien, die sich in der Hochskalierung befinden, wie etwa der Kohlendioxidabscheidung bei Verbrennungsprozessen (Bioenergy Carbon Capture and Storage, BECCS) – etwa durch katalysatorische Rauchgaswäsche – oder der Kohlenstoffabscheidung direkt aus der Luft, dem „Direct Air Carbon Capture and Storage (DACCS).
Neue Studien zeigen, dass naturnahe NET-Methoden gute Chancen haben, dem reinen „Carbon Capture & Storage“ (CCS) in leeren Fossillagerstätten in ihrer Wirksamkeit den Rang als gelindestes Mittel abzulaufen. Denn deren CO2-Senkenpotenzial ist für Österreich überraschend hoch. Der Grund dafür liegt in einem Faktum: Österreichs Waldreichtum. Fast die Hälfte der Staatsfläche (48 Prozent) ist bewaldet. Würde man Österreichs Wälder optimiert auf CO2-Speicherung und nicht auf Ertrag bewirtschaften – vereinfacht ausgedrückt, den Waldbau extensivieren, also weniger Holz einschlagen, Bäume erst im höheren Alter ernten und für eine nachhaltige (Wieder-)Aufforstung sorgen – könnte theoretisch halb Österreich in eine veritable CO2-Senke verwandelt werden.
Extensive Waldwirtschaft als Negative Emission Technology: Würde Österreichs Wald, der fast die Hälfe des Staatgebiets bedeckt (hier: Dachstein-Gosaugebiet) nicht auf Ertrag, sondern dezidiert auf CO2-Speicherung bewirtschaftet werden, könnte damit eine CO2-Senke geschaffen werden, die jährlich fast ein Viertel aller Klimagas-Emissionen kompensiert.
44 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent kompensieren
Konkrete Zahlen dazu liefert die Nachhaltigkeitsexpertin Mara Scheibenreif. Sie beschäftigte sich im Rahmen ihrer Masterarbeit 2023 im Energy- & Materials-Studium des Fachbereichs Sustainable Development an der holländischen Universität Utrecht intensiv mit dem österreichischen CO2-Senkenpotenzial durch NET-Methoden. Ihr Ergebnis: Bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten könnten 2050 insgesamt 44 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent in heimischen Senken kompensiert werden. Dieses „technische Potenzial“ entspricht in etwa 56 Prozent aller relevanten Klimagas-Emissionen Österreichs, die 2022 bei insgesamt 72,8 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent lagen. Das Überraschende dabei ist: Nur ein geringer Teil davon müsste potenziell in alte Fossillagerstätten per Pipeline verfrachtet werden, größtenteils würde CO2 mittels natürlicher Photosynthese durch optimierte Flächenbewirtschaftung der Luft entzogen werden.
Das größte Potenzial hätte dabei die extensivierte Waldbewirtschaftung. Diese NET-Methode würde zwar die Biomasseverfügbarkeit stark verringern, aber 2050 jährlich 19 Millionen Tonnen (MT) CO2-Emissionen kompensieren. Auf Rang zwei naturnaher Negativemissionstechnologien firmiert die Pflanzenkohlenproduktion aus (Abfall-)Biomasse. Ihr technisches Potenzial liegt 2050 bei beachtlichen 13 MT CO2-Äquvivalent. Erst auf Rang drei folgen neuere Methoden, wie etwa Kohlendioxidabscheidung aus Rauchgasen aus der Industrie, deren Größenordnung laut Scheibenreif in 2050 bei jährlich fünf Millionen Tonnen CO2 liegt. Auch dieses müssen nicht gebunkert werden, sondern können, wie andere Forschungsergebnisse zeigen, in der chemischen Indus-trie, etwa mit grünem Wasserstoff aus der Solar-Elektrolyse, zu grünen Treibstoffen, Grünerdgas oder sogar Proteinen weiterverarbeitet werden, die Soja in der Tierfütterung ersetzen könnten.
Zu beachten sei auch, so Scheibenreif, dass die naturnahen Methoden nicht für die Ewigkeit seien. Die Senkenleistung des Waldes nimmt ab, wenn er älter als 100 Jahre wird und kann, so Scheibenreif, „auf langfristige Sicht durch globale Erwärmung sogar zu einer CO2-Quelle werden.“ Außerdem müssten auch negative Effekte etwa bei der Pflanzenkohlenproduktion untersucht werden. „Langfristig kann der Boden durch Pflanzenkohlen nicht nur gedüngt werden, sondern auch Belastungen, etwa durch Schwermetalle, erfahren“, sagt Scheibenreif. Eine Möglichkeit, um schwer reduzierbare („hard to abate“) CO2-Emissionen ab 2040 oder 2050 zu kompensieren, verschaffen naturnahe plus technologiebasierte NET-Methoden aber allemal.
Kohlenstoffsenken im Burgenland
Interessant im Zusammenhang mit der Frage, welche CO2-Emissionen nun eigentlich „schwer reduzierbar“ wären, ist auch die Arbeit von Stefan Sadler. Er ging im Rahmen seiner Masterarbeit im Fachbereich „Energie und Umweltmanagement“ an der FH Burgenland der Frage nach, ob das Burgenland, das bis 2030 durch den weiteren Ausbau von Wind- und Solarenergie energieautark werden will, alle noch verbleibenden CO2-Emissionen, die durch Schwertransport, Industrie oder Bestandsanlagen weiterhin anfallen würden, nicht auch gleich vor Ort, in neu geschaffenen Kohlenstoffsenken im Burgenland selbst, kompensieren könnte. Sein überraschendes Ergebnis: Würde das volle technische Potenzial aller Flächen und Methoden ausgenützt werden, könnten im Burgenland Kohlenstoffsenken geschaffen werden, die die gesamten jährlichen Emissionen in der Höhe von 1,7 Millionen Tonnen CO2 und darüber hinaus binden könnten.
Bei der Untersuchung verschiedener NET-Methoden bringt Stadler auch etwas Licht in die Wirkung der einzelnen Technologien: Kaum ins Gewicht fällt etwa die Methode des direkten Kohlenstoffentzugs aus der Luft (DACCS), einer Technologie, die derzeit in Island erprobt wird. Sie wird sowohl von Scheibenreif als auch Sadler als vernachlässigbar angesehen. Im besten Fall könnten damit pro Jahr einige 1.000 Tonnen CO2 gespeichert werden.
Wiedervernässung von Mooren und Feuchtflächen
Wenig Senkenpotenzial bringe auch die Wiedervernässung von Mooren und Feuchtflächen. Zwar gibt es im Burgenland rund 60.000 Hektar, die für eine Wiedervernässung in Frage kommen, etwa im Neusiedler Seewinkel, im Lafnitztal oder in der Gegend der Güssinger Teiche („Ramsar-Feuchtgebiete“). Der so genannte Emissionsfaktor, der angibt, wie viel CO2 pro Flächeneinheit und Jahr gespeichert werden kann, liegt für „Wiedervernässung“ laut IPCC in mittleren Breitengraden, im besten Fall aber nur bei 0,25 Tonnen pro Hektar und Jahr. Damit können durch Wiedervernässung im Burgenland maximal ein Prozent der burgenländischen Emissionen gebunden werden“, sagt Sadler.
Allerdings: Nachlässig sollte man bei der Wiedervernässung dennoch nicht sein. Düngereinbringung aus benachbarter Landwirtschaft könnte etwa Methan aus Eutrophierungsprozessen entstehen lassen, schlechtes Wasserzu- und abflussmanagement, etwa unzureichender Rückbau von Drainagen, zu einem geringen Wasserstand führen. „Das könnte Feuchtgebiete dann auch zu Kohlenstoffquellen werden lassen.“
NET-Potenzial des Waldes im Burgenland
Würde man die Umtriebszeit, also die Zeit bis zur Schlägerung, auf allen Waldflächen des Burgenlandes – sie bedecken zirka ein Drittel der Landesfläche – erhöhen und zusätzlich noch 15 Prozent der Landesfläche aufforsten (alle Flächen, die nicht unbedingt für die Nahrungsmittelproduktion notwendig sind) sowie fast den gesamten jährlichen Holzeinschlag für Massivholzprodukte verwenden, könnte die NET-Methode „verbessertes Forstmanagement“ von den 1,7 Millionen Tonnen CO2 jährlich eine Million Tonnen ausgleichen. Die restlichen 700.000 Tonnen könnten durch Pflanzenkohleproduktion kompensiert werden. Dafür müsste die derzeitige burgenländischen Biochar-Produktion aber um den Faktor 750 vergrößert werden.
Stadlers Fazit: Technisch wäre damit eine vollständige Kompensation aller CO2-Emissionen im Burgenland durch naturnahe Negativemissionstechnologien möglich. Die gesellschaftliche Durchführbarkeit stehe allerdings auf einem anderen Blatt. Konflikte mit der heimischen Land- und Forstwirtschaft wären wohl vorprogrammiert.
Ausgeschöpft werden müssten die technischen Potenziale naturnaher NET-Technologie aber ohnehin nicht werden. Voraussetzung dafür: Österreich schafft die Energiewende und ist bis 2040 klimaneutral. Das Klimaschutzgesetz, das diese Ziele verbindlich festschreibt, ist allerdings noch nicht beschlossen.
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