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In Städten soll die Elektromobilität ein Segen sein. Geht alles nach Plan, wird der Straßenverkehr in gar nicht mehr so ferner Zukunft nur mehr als leises Rauschen wahrnehmbar sein: langsam fahrende Elektroautos, die auch bei Stop-and-Go-Verkehr und beim Anfahren an Kreuzungen kein lautes Aufheulen verursachen, Straßen mit Flüsterasphalt, der die Reifenabrollgeräusche schluckt. Dazu noch minimale Luftverschmutzung, weil Batterien nicht mit Kohlestrom, sondern mit Energie aus Wasser, Wind und Sonne geladen werden und keinen Feinstaub freisetzen. Viele Aspekte dieser Vision könnte durch städteplanerische und politische Vorgaben beschleunigt werden, etwa durch die Umstellung des öffentlichen Verkehrs auf leise Elektrobusse oder Müllfahrzeuge mit Wasserstoffantrieb.
Schnelle E-Mobile sind gleich laut wie CO2-Schleudern
Das Lärmproblem generell wird die Elektromobilität trotzdem nicht lösen können, sagen Lärmschutzforscher. Denn ab einer Geschwindigkeit von 50 Kilometern pro Stunde ist es nicht mehr der (Verbrenner-) Motor, der das „Totalgeräusch“ eines Fahrzeugs dominiert. Ab 100 Kilometern pro Stunde sind Elektroautos durch die Rollgeräusche genauso laut wie Verbrenner, wenn sie auf denselben Straßen mit derselben Bereifung fahren. Für Anrainer in der Nähe von Autobahnen wird es in Sachen Lärmemissionen keinen Unterschied machen, ob die Geräusche von CO₂-Schleudern oder klimafreundlichen Elektroautos stammen.
Der Lärmschutz wird daher auch in Zukunft eine der wichtigsten Fragen bleiben. Denn rund ein Viertel der österreichischen Bevölkerung und in Europa mehr als 140 Millionen Menschen fühlen sich durch Lärm gestört und werden dadurch auch in ihrer Gesundheit beeinträchtigt. Studien zeigen, dass Lärm dabei nicht nur durch den Schallpegel – das heißt die Lautstärke – stört.

Psychoakustik: Auf die Lärmqualität kommt es an
Die Psychoakustik brachte die Erkenntnis zutage: „Es kommt auch auf die Geräuschqualität an“, sagt der Lärmforscher Christian Adams. Der Experte für Lärmanalyse und -verhinderung hat an der Technischen Universität Graz eine Stiftungsprofessur für Akustik und Lärmwirkungsforschung inne. „Es stört nicht nur der laute Lärm.“ Das menschliche Stresssystem reagiert auf die unterschiedlichsten Lärmformen. Ein Pfeifton kann etwa als lästiger empfunden werden als ein gleichmäßiges Rauschen. Ein permanenter Brummton im niederfrequenten Bereich kann ebenso stressen wie auf- und abschwellende Geräusche.
“Durch die genaue Analyse von Lärmquellen mittels psychoakustischer Ansätze könnten in Zukunft auch neue Lärmschutzmaßnahmen entwickelt werden”, sagt Adams, zum Beispiel in der Lärmvermeidung. Am besten wäre es, den Lärm erst gar nicht entstehen zu lassen, sagt Adams. Er spricht dabei weniger von „Lärmvermeidung“ als vielmehr von „akustikgerechtem Gestalten“. So wie in der Kreislaufwirtschaft Produkte bereits im Hinblick auf ihre Recycling-Fähigkeit entwickelt werden, könnten auch Lärmquellen wie Flugzeugturbinen durch achtsame Konstruktion lärmmindernd gestaltet werden. Flughäfen erheben übrigens bereits höhere Start- und Landegebühren für laute Modelle, um den Bau leiserer Turbinen zu fördern.
“Durch die genaue Analyse von Lärmquellen mittels psychoakustischer Ansätze könnten in Zukunft auch neue Lärmschutzmaßnahmen entwickelt werden”, sagt Lärmforscher Adams.

Das Beste nach der Lärmvermeidung: Schallschlucken
Auch für die Lärmminderung auf Schnellstraßen und Autobahnen gibt es viele Stellschrauben. Da beim höheren Tempo das Abrollgeräusch von Fahrzeugen im Vordergrund steht, sind es vor allem die Reifen und die Fahrbahnoberfläche, die Lärm verhindern oder fördern können.
Das Reifenprofil sowie der Asphalt können lärmschluckend gestaltet werden. Besonders in Kombination – lärmarme Reifen auf Flüsterasphalt – kann der Lärm um ein Drittel bis zur Hälfte reduziert werden. Das Problem dabei: Das Schallverschlucken ist teuer. Der sogenannte „Flüsterasphalt“ wird zwar von Straßenanrainern geliebt, von Straßenerhaltern aber eher gemieden. Denn die nach oben offenen Asphaltporen, in denen sich zwischen grobkörnigem Gestein und Bitumen die Schallwellen verfangen, sind auch ein Einfallstor für Regenwasser. Besonders in alpinen Höhenlagen, wo sich Frost- und Tauwetterperioden häufig abwechseln, kann die Struktur des Flüsterasphalts schneller zerstört werden. Anstatt alle 15 Jahre stehen dann Neuasphaltierungen alle fünf bis sechs Jahre an.
Neue Additive können die Lebenszeit von Flüsterasphalt mittlerweile zwar auf zehn Jahre und vielleicht mehr verlängern, doch bleibt der Verbau in Zeiten knapper Budgets „immer auch eine politische Frage“, sagt Bernhard Hofko, Asphaltforscher an der Technischen Universität Wien.

Auch langlebiger Flüsterasphalt hat verstopfte Poren
Langlebigerer Flüsterasphalt könnte seinen Einsatz auch im urbanen Raum attraktiver machen. „In der Stadt müsste man allerdings spezielle Saug-Spülmaschinen einsetzen, um die Poren regelmäßig vom Straßenstaub zu reinigen.“ Verstopfen die Poren, ist auch der Schallschluck-Effekt dahin. Positiv dabei: Diese Reinigung entfällt auf Autobahnen. Ab einem Tempo von 70 Kilometern pro Stunde erzeugen die Reifen auf der Fahrbahnoberfläche einen Vakuumeffekt, der den Staub aus den Hohlräumen saugt.
Prinzipiell ließe sich Lärm immer mit einer Vielzahl an Maßnahmen minimieren: neben Flüsterasphalt durch leisere Reifen, kleinere Autos, Tempolimits und weniger Verkehr. Hofko meint: „Es wird wohl ein Mix an Maßnahmen werden.“
Hightech-Schallschutz: Metamaterialien
Eine weitere Stellschraube sind verbesserte Lärmschutzwände. Die Forschung zeigt, dass man ihre Schallschluck-Eigenschaften nicht nur durch die Höhe, sondern auch durch Geometrie und spezifische Materialien deutlich verbessern kann. So wirkt etwa eine zur Lärmquelle gekrümmte Wand in bestimmten Einsatzbereichen besser als eine gerade. Auch können immer wiederkehrende Strukturen aus Metamaterialien integriert werden, sagt Lärmforscher Adams.
Diese neuen Materialien, aus Kunststoff oder anderen Verbundstoffen, haben besondere akustische Eigenschaften, die in der Natur nicht vorkommen. Durch ihre spezifische Struktur beginnen sie genau in den Lärmfrequenzen zu schwingen und dämpfen so die Ausbreitung des Schalls. Dies eröffnet neue Möglichkeiten, um störende Geräusche gezielt zu reduzieren und Anrainer zu schützen, betont Adams.
Die Relevanz des Themas sei jedenfalls unbestritten, betont Adams. Er sieht großes Potenzial, durch ein tieferes Verständnis akustischer Prozesse und neue Technologien langfristig effektivere Lärmschutzmaßnahmen zu entwickeln.
Neues Masterstudium für Akustik und Lärmschutz
An der TU Graz soll demnächst ein neues forschungsgeleitetes Studium entstehen. „Wir sind gerade am Planen“, sagt Adams. „Es wird ein englischsprachiges Masterstudium.“
Das Ziel ist, Studierende in technischer Akustik auszubilden und ihnen das Wissen zu vermitteln, um bessere Lärmschutzmaßnahmen entwickeln und umsetzen zu können. „Bisher gibt es in Europa nur wenige vergleichbare Angebote, und wir wollen mit diesem Studiengang eine Lücke schließen.“
Die angehenden Lärm-Experten werden diesbezüglich auch neue, grundlegende Diagnose- und Analysemodelle erlernen. Um die Ausbreitung spezifischer Lärmquellen besser vorhersagen zu können, entwickelt Adams hierfür gerade neue numerische Berechnungsverfahren. „Damit können wir Schallemissionen mit hoher räumlicher Auflösung berechnen und gezielt planen, wo Schallschutzmaßnahmen, wie unter anderen Lärmschutzwände, optimal platziert werden sollten“, so Adams. Lärmschutzwände selbst werden in Zukunft so entwickelt, dass sie im Sinne der Kreislaufwirtschaft wiederverwertbar und gut recycelbar sind.
Norbert Regitnig-Tillian