Fälschung und Steuerbetrug: Ein neuer Papyrus aus Israel enthüllt einen spektakulären Kriminalfall aus dem Römischen Reich

12.02.2025 | Forschung

Wissenschaftler der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, der Universität Wien und der Hebräischen Universität Jerusalem präsentieren ein einzigartiges Papyrus aus den Sammlungen der Israelischen Antikenbehörde, das seltene Einblicke in römische Rechtsverfahren und das Leben im römischen Nahen Osten gewährt. © Israel Antiquities Authority

In einer neuen Veröffentlichung in der internationalen Fachzeitschrift Tyche zeigt das Forschungsteam, wie der römische Staat Finanzverbrechen – insbesondere Steuerbetrug mit Sklaven – in den römischen Provinzen Judäa und Arabia verfolgte. Der neue Papyrus bietet eine bemerkenswert direkte Perspektive auf die römische Rechtsprechung und Rechtspraktiken sowie bedeutende neue Informationen über eine turbulente Epoche, die von zwei großen jüdischen Aufständen gegen die römische Herrschaft erschüttert wurde.

Das längste jemals in der judäischen Wüste gefundene griechische Papyrus mit über 133 Zeilen Text wurde nun erstmals veröffentlicht. Ursprünglich fälschlicherweise als nabatäisch klassifiziert, blieb der Papyrus jahrzehntelang unbeachtet, bis es 2014 von Prof. Hannah Cotton Paltiel, emeritierte Professorin der Hebräischen Universität, wiederentdeckt wurde. „Ich hatte mich freiwillig gemeldet, um dokumentarische Papyri im Labor für Schriftrollen der Israelischen Antikenbehörde zu ordnen. Als ich es sah, mit der Markierung ‚Nabatäisch‘, rief ich aus: ‚Das ist für mich Griechisch!‘“, erinnert sich Prof. Cotton Paltiel. In Anerkennung ihrer Entdeckung wurde der Papyrus gemäß papyrologischen Konventionen P. Cotton benannt.

Angesichts der außergewöhnlichen Länge, des komplexen Stils und möglicher Bezüge zu römischen Rechtsverfahren stellte Prof. Cotton Paltiel ein internationales Team zusammen, um das Dokument zu entziffern. Das Team, bestehend aus Dr. Anna Dolganov von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Prof. Fritz Mitthof von der Universität Wien und Dr. Avner Ecker von der Hebräischen Universität, identifizierte das Dokument als Protokollnotizen für einen Prozess vor römischen Beamten am Vorabend des Bar-Kochba-Aufstands (132–136 n. Chr.), einschließlich eines hastig erstellten Transkripts der Gerichtsverhandlung selbst. Die Sprache ist lebendig und direkt – ein Ankläger berät den anderen über die Stärke verschiedener Beweise und entwickelt Strategien, um Einwände zu antizipieren. „Dieses Papyrus ist außergewöhnlich, weil es einen direkten Einblick in die Prozessvorbereitungen in diesem Teil des Römischen Reiches bietet“, sagt Dr. Dolganov. Dr. Ecker ergänzt: „Dies ist der am besten dokumentierte römische Gerichtsfall aus Judäa – abgesehen vom Prozess Jesu.“

Der Papyrus schildert einen fesselnden Fall von Urkundenfälschung, Steuerhinterziehung und dem betrügerischen Verkauf und der Freilassung von Sklaven in den römischen Provinzen Judäa und Arabia, die in etwa dem heutigen Israel und Jordanien entsprechen. Die Hauptangeklagten, Gadalias und Saulos, werden der Korruption beschuldigt. Gadalias, der Sohn eines Notars und möglicherweise römischer Bürger, hatte eine kriminelle Vergangenheit mit Gewalttaten, Erpressung, Geldfälschung und Aufstandshetze. Sein Komplize Saulos organisierte den fiktiven Verkauf und die Freilassung von Sklaven, ohne die dafür fälligen römischen Steuern zu entrichten. Um ihre Aktivitäten zu verschleiern, fälschten die Angeklagten Dokumente. „Fälschung und Steuerbetrug wurden nach römischem Recht mit harten Strafen geahndet – von Zwangsarbeit bis hin zur Todesstrafe“, erklärt Dr. Dolganov.

Dieser Kriminalfall spielte sich zwischen zwei großen jüdischen Aufständen gegen die römische Herrschaft ab: dem jüdischen Diaspora-Aufstand (115–117 n. Chr.) und dem Bar-Kochba-Aufstand (132–136 n. Chr.). Besonders bemerkenswert ist, dass der Text Gadalias und Saulos in aufständische Aktivitäten während des Besuchs von Kaiser Hadrian in der Region (129/130 n. Chr.) verwickelt und Tineius Rufus erwähnt, den Statthalter von Judäa zu Beginn des Bar-Kochba-Aufstands. Vor dem Hintergrund vorheriger Unruhen betrachteten die römischen Behörden die Angeklagten vermutlich mit Argwohn und sahen ihre Verbrechen als Teil größerer Verschwörungen gegen das Imperium. „Ob sie tatsächlich an einer Rebellion beteiligt waren, bleibt offen, aber die Andeutungen verdeutlichen die angespannte Atmosphäre jener Zeit“, bemerkt Dr. Dolganov. Dr. Ecker merkt an, dass die Art des Verbrechens Fragen aufwirft: „Die Freilassung von Sklaven scheint kein besonders lukratives Geschäftsmodell zu sein.“ Die Herkunft der versklavten Personen bleibt unklar, doch der Fall könnte mit illegalem Menschenhandel oder der jüdischen biblischen Pflicht zur Auslösung versklavter Juden zusammenhängen.

Der Papyrus liefert neue Erkenntnisse über das römische Recht im griechischsprachigen Osten des Imperiums und verweist auf die Assisenreise des Statthalters von Judäa sowie den verpflichtenden Jurydienst. „Dieses Dokument zeigt, dass zentrale römische Institutionen, die wir aus Ägypten kennen, auch im gesamten Imperium umgesetzt wurden“, betont Prof. Mitthof. Der Papyrus demonstriert zudem die Fähigkeit des römischen Staates, private Transaktionen selbst in entlegenen Regionen zu regulieren. Vermutlich stammt es aus einer Versteckhöhle in der judäischen Wüste während des Bar-Kochba-Aufstands, doch seine sorgfältige Aufbewahrung bleibt ein Rätsel, und der Ausgang des Prozesses könnte durch die Rebellion unterbrochen worden sein.

Der Forschungsartikel mit dem Titel „Forgery and Fiscal Fraud in Iudaea and Arabia on the Eve of the Bar Kokhba Revolt: Memorandum and Minutes of a Trial before a Roman Official (P.Cotton)“ ist nun in Tyche veröffentlicht und abrufbar unter diesem Link.

https://doi.org/10.25365/tyche-2023-38-5; Credit: Shai Halevi, Courtesy of the Leon Levy Dead Sea Scrolls Digital Library, Israel Antiquities Authority

Forscher:

  • Anna Dolganov – Department of Classical Studies, Austrian Archaeological Institute, Austrian Academy of Sciences, anna.dolganov@oeaw.ac.at
  • Fritz Mitthof – Department of Ancient History, Epigraphy and Papyrology, Faculty of Historical and Cultural Studies, University of Vienna, fritz.mitthof@univie.ac.at
  • Hannah M. Cotton Paltiel – Department of Classical Studies and Department of History, Hebrew University of Jerusalem (emerita), hannah.cotton@mail.huji.ac.il
  • Avner Ecker – Institute of Archaeology and Department of History, Hebrew University of Jerusalem, 
    avner.ecker@mail.huji.ac.il
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