Accidental Manager – Plötzlich Chef:in!

05.03.2025 | Themen, Wirtschaft

Accidental Manager – wenn gute Mitarbeitende ungewollt zur Führungskraft werden … Führungskräfte-Coachin Dr. Elisabeth Proksch und Kosima Kovar, CEO der Gender-Equity-App „Viora“, erklären, was das für das Unternehmen und die Mitarbeitenden bedeutet und warum dieser Ansatz so häufig Probleme mit sich bringt.

Interview: Marion Breiter-O‘Donovan

In Zeiten des Fachkräftemangels sind gute Führungskräfte rar. Unternehmen befördern daher oft intern leistungsstarke Mitarbeiter:innen in eine leitende Rolle – ungeachtet ihrer Führungserfahrung oder -ambitionen. Das Phänomen der „Accidental Manager“ ist Realität, bestätigt Führungskräfte-Coachin Dr. Elisabeth Proksch, die seit über 20 Jahren Unternehmen und Change-Prozesse begleitet. Fehlende alternative Karrieremodelle und mangelnde Vorbereitung auf Führungsrollen verstärken das Problem. Doch die Bereitschaft für leitende Aufgaben ist größer als gedacht, insbesondere bei Frauen, wie Kosima Kovar, CEO der Gender-Equity-App „Viora“, betont. Im Interview erklären sie, wie Unternehmen jetzt reagieren müssen.

Austria Innovativ: Frau Dr. Proksch, Sie arbeiten seit Jahren mit „Accidental Managern“ und begleiten diese auch auf dem Weg zur „guten Führungskraft“ – was genau versteht man unter „Accidental Manager“?
Dr. Elisabeth Proksch: Ein Accidental Manager ist jemand, der zufällig in eine Führungsposition aufgestiegen ist – das heißt, die Rolle war nicht angestrebt, noch ist die Person ausreichend durch Schulungen oder Erfahrung auf die Aufgabe vorbereitet. Mitarbeiter:innen werden oft aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz und Leistung befördert – nicht zuletzt, um sie zu „belohnen“. Doch was Unternehmen damit eigentlich erreichen, ist häufig genau das Gegenteil davon: Die Person fühlt sich aufgrund der mangelnden Vorbereitung oft unter Druck gesetzt – und gibt diesen Druck ans Team weiter. Das Ergebnis: Unternehmen verlieren eine gute Fachkraft und gewinnen eine schlechte Führungskraft. Der Mangel an führungsspezifischen Kenntnissen in Kommunikation, Delegation, Teamdynamik, Personalmanagement oder strategischer Planung kann für alle Beteiligten zur Herausforderung werden. Der Fairness halber muss man aber sagen, dass es auch sehr fähige Accidental Manager gibt und auch bei geschulten oder erfahrenen Manager:innen gibt es keine „Gute-Führungskraft-Garantie“. Am Ende kommt es auf die Persönlichkeit und den Willen an, sich weiterzuentwickeln.

Warum ist das Thema gerade jetzt relevant?
Elisabeth Proksch: Wir sind auf dem Arbeitsmarkt nicht nur mit einem Fachkräftemangel, sondern auch einem Führungskräftemangel konfrontiert. Dadurch passiert es noch häufiger, dass interne Mitarbeiter:innen kurzerhand befördert und wenig vorbereitet werden. Das führt zu einem Teufelskreis, denn: Studien zeigen, dass schlechte Führungskräfte zu den Top-Gründen für Kündigungen zählen. In Zeiten des Fachkräftemangels machen Unternehmen also fast alles, um attraktive Arbeitgeber:innen zu sein, außer offenbar eines: Führungskräfte sorgfältig zu auswählen und ausreichend zu schulen.
Kosima Kovar: Seit mehr als fünf Jahren zeigt die Harvard-Business-Report-Studie, dass Frauen in 17 von 19 Führungskompetenzen besser abschneiden. Dennoch sehen wir, dass häufiger Männer in Führungspositionen befördert werden, selbst wenn manche davon diese Rolle gar nicht aktiv anstreben. Das resultiert oft aus dem genannten Grund, dass man sie für ihre fachliche Kompetenz belohnen will – egal, ob sie gute Führungs-Skills besitzen. In Zeiten, in denen sich Unternehmen Gleichberechtigung an die Fahnen heften, ist das unbedingt mitzudenken.

Dr. Elisabeth Proksch: „Im ersten Schritt muss sich eine Führungskraft selbst verstehen und sich laufend mit der eigenen Persönlichkeit auseinandersetzen, bevor sie sich mit anderen Menschen und ihren Bedürfnissen befassen kann. Im Umkehrschluss: Menschen, die keinen Zugang zu sich selbst haben, sehe ich nicht in Führungspositionen.”

Welche Gefahren bergen ­Accidental Manager im Unternehmen?
Elisabeth Proksch: Zu viele Accidental Manager im System können schlimmstenfalls die Existenz eines Unternehmens gefährden. In den meisten Fällen wird zum Glück „nur“ das Potential der Mitarbeiter:innen nicht genutzt und weniger Erfolg erzielt, als eigentlich möglich wäre. Insgesamt können sie die Produktivität, die Arbeitsatmosphäre und langfristige Stabilität eines Unternehmens ernsthaft beeinträchtigen. Kurz: Sie haben einen negativen Einfluss sowohl auf den wirtschaftlichen Erfolg als auch auf das Team.

Was ist ausschlaggebend für diesen negativen Effekt auf das Team und Unternehmen?
Elisabeth Proksch: Bei Accidental Managern mangelt es oft schon an Grundkenntnissen. Sie haben womöglich nie gelernt, wie man Teams effektiv führt oder motiviert. Das sorgt für eine ineffektive und ineffiziente Führung, dadurch geringe Teamleistung mit gleichzeitig erhöhtem Stressniveau, Konflikten und Missstimmung und dadurch verstärkte Fluktuation. Zudem fehlt häufig das strategische Denken im Sinne des Unternehmens, zum Beispiel in Richtung visionäre Führung oder Team- und Organisationsentwicklung – der Fokus eines Accidental Manager liegt häufig auf dem operativen Tagesgeschäft – wo er vorrangig nicht hingehört. Es besteht die Gefahr der Überforderung durch fehlende Abgrenzung. Sie müssen plötzlich organisatorische oder zwischenmenschliche Probleme lösen, für die sie nicht ausgebildet sind.Was sehen Sie dabei als die größte Herausforderung für den Accidental Manager und auch das Team?
Elisabeth Proksch: Unsicherheit und Unklarheit sind das größte Gift für ein Team und eine Führungskraft, beispielsweise unklare Führung, Kommunikation oder Delegation von Aufgaben. Sie sorgen für Unsicherheiten und Unruhen im Team. Accidental Managern mangelt es selbst oft an Klarheit über den eigenen Handlungsspielraum und die Führungsrolle selbst. Das führt zu Druck, Überforderung und ungesundem Stress. Gleichzeitig fehlt es ihnen oft an Zeit für begleitendes Coaching und Programme oder generell für Führungsarbeit. Aufgrund der Unklarheit über ihre eigentlichen Aufgaben stecken sie oft in zu vielen operativen Tätigkeiten. Das Ergebnis: Das gesamte System leidet darunter.

Welche Skills müssten Accidental Manager entwickeln, um eine gute Führungskraft zu werden und wie können sie unterstützt werden?
Elisabeth Proksch: Zuallererst müssen Kapazitäten freigemacht werden, um sich der neuen Aufgabe zu stellen und sich darauf vorzubereiten. Es müssen Kompetenzen in dem Bereich Leadership (Mitarbeiter:innenführung) und Management (wirtschaftliches Wissen) entwickelt und gelernt werden. Im Bereich Leadership sehe ich die Führungskraft als Coach. Dazu muss vorrangig an der Persönlichkeitsentwicklung gearbeitet werden, also am Bewusstsein über die eigenen Verhaltensmuster „Wie ticke ich?“ und über blinde Flecken und Lernfelder. Dazu braucht es unbedingt Offenheit für Weiterentwicklung und Veränderungsbereitschaft als Mensch. Reflexionsfähigkeit ist die wichtigste Voraussetzung für eine Führungskraft. Zudem ist Basiswissen über das Wesen Mensch und wie er unterstützt und gefordert werden kann erforderlich – kurz: „Wie ticken die anderen?“ In weiterer Folge muss auch der Umgang mit Team­dynamiken und die Entwicklung von Teams sowie Konfliktprävention und -management erlernt werden. Vor allem bei Accidental Managern muss ein bewusster Wechsel vom Umsetzungsmodus in den Delegations- und Entwicklungsmodus trainiert werden – also weg von den operativen Tätigkeiten hin zu den eigentlichen Führungsaufgaben. Auf der Managementseite müssen kaufmännische und rechtliche Skills angeeignet werden, die in einer Führungsrolle notwendig sind, beispielsweise Vertragsmanagement, Verhandlungstechniken, Budgetplanung, Controlling, Kostenanalysen, steuerrechtliches Grundwissen und vieles mehr.

Was kann man tun, um Accidental Manager zu verhindern bzw. wie geht man es richtig an, wenn man intern jemanden befördern möchte?
Elisabeth Proksch: Rechtzeitig gezielte Entwicklung, Schulungen und Unterstützung sind entscheidend, um langfristig erfolgreich zu bleiben – unabhängig davon, wie sie in ihre Position gekommen sind. Laufende Fort- und Weiterbildungen sowie Coaching und Supervision sind wesentlich. Der ideale Weg ist, als Basis ein Führungskräfteentwicklungsprogramm vor Antreten der Position sowie Coaching und Supervision zu absolvieren – verstärkt in der Anfangsphase, in weiterer Folge anlassbezogen. Insgesamt müssen aber die Energie und Bereitschaft für Entwicklung spürbar sein – vor allem im persönlichen Bereich. Wenn das nicht der Fall ist, muss ein alternativer Karriereweg geboten werden, um gute Mitarbeiter:innen zu fördern.

Welchen alternativen Karriere­weg gibt es zur Führungsposition?
Elisabeth Proksch: Alternativen zur Führungsrolle könnten die Einführung von Expert:innen-Karrieren oder Positionen als Projektleiter:innen sein – wie es die Stadtwerke Amstetten unter dem Change-Management Prozess von Geschäftsführer Jürgen Hürner umgesetzt haben, um ein konkretes Beispiel aus der Praxis zu nennen. Er hat schnell erkannt, dass leistungsstarke Mitarbeiter:innen zwar nach einer Karriere streben, aber nicht zu sehr von ihrer Leidenschaft als Techniker:innen wegdriften möchten. Werden leidenschaftliche „Macher:innen“ dennoch in eine Führungsposition befördert, entwickeln sie sich oft zu Micromanager:innen, weil sie beim Fachlichen weiter mitdiskutieren wollen. Das ist ein riesiger strategischer Fehler. Deshalb hat er Fachkräftekarrieren entwickelt, in denen die Personen weiter ihrer operativen Tätigkeit nachgehen, aber zusätzlich beispielsweise neue Mitarbeiter:innen ausbilden oder einzelne Prozesse neu gestalten können. Ich habe die weitergesponnene Idee der „Leistungsträger:innen-Karriere“ erarbeitet. Hier stellt man sich die Frage: Welche Person im Unternehmen wäre ein wirklicher und auffallender Verlust? Wer liefert einen entscheidenden Beitrag? Diese Personen sind Leistungsträger:innen. Zur Messung könnte man beispielsweise ein Level 1 bis 5 einführen – unabhängig davon, ob man als Leistungsträger:in eine Führungskraft, Expert:in oder Junior ist. Entscheidend ist dazu die Erarbeitung von Kriterien und die Bewertung dieser für das jeweilige Level. Aus meiner Erfahrung werden Leistungsträger:innen oftmals honoriert,auch beispielsweise mit Freiheiten, das unterliegt aber der individuellen Auffassung der oder des jeweiligen Vorgesetzten und ist nicht in ein Leistungs- oder Entwicklungssystem integriert. Somit ist das System für die Mitarbeiter:innen nicht durchschaubar und unklar. Im schlimmsten Fall kommt es zu Unmut, wenn das Team das System als willkürlich und damit unfair empfindet.

Wie lassen sich bereits bestehende Accidental Manager im Unternehmen identifizieren, um sie zu qualifizierten Führungskräften zu entwickeln?
Elisabeth Proksch: Der erste Schritt ist die Evaluierung der bestehenden Führungskräfte. Die erste Frage ist hierbei, ob die Position angestrebt wurde oder die Führungskraft zufällig befördert wurde. Danach geht es an die Evaluierung der Führungskompetenzen und Mitarbeiter:innen-Zufriedenheit. Dazu zählen Tools und Indikatoren wie das 360°-Feedback, die Mitarbeiter:innen-Befragung, der Grad der Zielerreichung, die Fluktuation etc. Dadurch erfährt man: Wo besteht Handlungsbedarf in der Entwicklung von Führungskompetenzen und Skills? Wie ist das Verhältnis der unzufriedenstellenden Ergebnisse bei Accidental Managern im Vergleich zu qualifizierten Managern? Wie werden beide „Arten“ generell bewertet? Basierend darauf setzt man die notwendigen Maßnahmen – auch bei „Nicht-Accidental Managern“. Bei Führungskräfte-Coachings geht es schließlich darum, die Führungsqualität insgesamt zu verbessern, egal ob Accidental oder nicht.

An welchen Skills erkennen Unternehmen gute Führungs­kräfte von morgen, wenn nicht rein an der Leistung?
Elisabeth Proksch: Ich sehe Führungskräfte als Coaches. Dazu braucht es ein Bewusstsein über die eigenen Verhaltensmuster und Offenheit für die Weiterentwicklung als Mensch. Reflexionsfähigkeit ist eine Voraussetzung als Führungskraft. Ich schließe meine Keynotes gerne mit „Werde ein reflektierter und bewussterer, reifer Mensch, dann bist du eine gute Führungskraft“. Das heißt: Im ersten Schritt muss sich eine Führungskraft selbst verstehen und sich laufend mit der eigenen Persönlichkeit auseinandersetzen, bevor sie sich mit anderen Menschen und ihren Bedürfnissen befassen kann. Im Umkehrschluss: Menschen, die keinen Zugang zu sich selbst haben, sehe ich nicht in Führungspositionen. Da entstehen Dynamiken, die nicht förderlich oder gar hinderlich für die Leistungserbringung und -steuerung sind, um die Vision und Strategie des Gesamtsystems umzusetzen und damit dessen Existenz zu sichern. Eine Führungskraft sollte fähig sein, flexibel, adäquat, motivierend und leistungsfördernd zu agieren und auch „out of the box“ zu handeln. Gleichzeitig hat sie gelernt, fair und berechenbar Grenzen und Konsequenzen zu setzen, aber sie auch zu akzeptieren. Wichtig ist sowohl strategisches und visionäres Denken als auch Handeln. Nachhaltiges und langfristiges unternehmerisches Denken und Handeln ist die DNA der Führungskraft von morgen.
Kosima Kovar: Wir müssen endlich anerkennen, dass wir stark biased sind, wenn es darum geht, Menschen in eine Führungsrolle zu befördern. Wir sollten diejenigen in diese Positionen bringen, die höhere Führungskompetenzen aufweisen und diese Verantwortung auch wirklich annehmen wollen. Wir müssen unseren Blick auf Führung öffnen und Frauen gezielt als Zielgruppe für Führungsrollen adressieren. Auch ein McKinsey-Report zeigt die tiefgreifende Wirkung von Geschlechterdiversität und verknüpft mehr weibliche Führungskräfte mit bis zu 50 Prozent höheren Gewinnen. Frauen zu fördern, ist also keine „Nächstenliebe“-Aktion, sondern wirtschaftlich sinnvoll.

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